Weniger …
… mehr
Punkt 1: Nicht in allen Gruppen sinkt die Arbeitslosigkeit. Von allen arbeitslos gemeldeten Personen waren im September mehr als 95.000 über 50 Jahre alt – das ist fast ein Drittel aller Arbeitslosen. Bei Menschen mit Behinderungen oder mit gesundheitlichen Einschränkungen ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit (unter 25-Jährige) sinkt zwar auch leicht, ist aber immer noch sehr hoch.
Nicht in allen Gruppen sinkt die Arbeitslosigkeit.
… schwächer
Punkt 2: Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und Institut für Höhere Studien (IHS) gehen zwar nicht von einer Rezession, aber doch von einer Abkühlung der Konjunktur aus. Das wird ein Ende der Arbeitsmarkterholung nach sich ziehen. Die Konjunktur ist in Österreich im Vergleich zu Deutschland bislang relativ robust geblieben, so die Einschätzung der Wirtschaftsforscher. Trotzdem: „Die österreichische Wirtschaft verliert weiter an Schwung und wächst im Prognosezeitraum nur mäßig“, prophezeit das WIFO Anfang Oktober.
Die österreichische Wirtschaft verliert weiter an Schwung.
Schlechtes Timing
Die schwächelnde Wirtschaft und der zu erwartende Anstieg der Arbeitslosigkeit – allgemein und besonders in bestimmten Gruppen – erfordern rasch entschlossene Maßnahmen der Politik. Ob die noch amtierende Bundesregierung hier energisch gegensteuern wird, ist fraglich. Und eine neue Bundesregierung wird wohl noch länger auf sich warten lassen.
Allzeit bereit?
So weit aktuelle Zahlen. Aber nicht erst diese machen Aktivitäten am Arbeitsmarkt dringlich. Der Druck auf die ArbeitnehmerInnen steigt und steigt, ein Ventil ist derzeit nicht in Sicht. Die Arbeitsverdichtung nimmt zu, die beruflichen Anforderungen steigen, die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmt für immer mehr Beschäftigte. In einer Online-Umfrage haben Beschäftigte der Arbeiterkammer mitgeteilt, dass 81 Prozent von ihnen ständig für die Arbeit erreichbar sind, 61 Prozent fühlen sich dadurch gestört und belastet. Grund für die Anrufe aus der Arbeit in der Freizeit sind in den meisten Fällen kurzfristige Dienstplanänderungen. Damit steigt auch der Druck im Privat- und Familienleben.
Der Druck auf die ArbeitnehmerInnen steigt und steigt, ein Ventil ist derzeit nicht in Sicht.
Apropos Druck: Österreich ist in der Europäischen Union eines der Länder mit den längsten Arbeitszeiten: Mehr als 41 Stunden arbeiten wir im Schnitt pro Woche. Pro Jahr werden 255 Millionen Mehr- und Überstunden gemacht. Von den geleisteten Überstunden werden 43 Millionen nicht bezahlt, so die Statistik Austria. Die unbezahlten Stunden ergäben umgerechnet 25.000 Vollzeit-Arbeitsplätze.
Zu wenig Schlaf
Dass wir so lange arbeiten, ist nachgewiesenermaßen nicht gesund: Das betrifft nicht nur die vielen Überstunden – bezahlt oder nicht –, sondern auch die neuen Möglichkeiten des 12-Stunden-Tages. Die Österreichische Gesellschaft für Arbeitsmedizin warnt bereits davor, dass es durch die Ausweitung der täglichen, wöchentlichen und jährlichen Höchstarbeitszeit zu mehr arbeitsbedingten Erkrankungen kommen wird. Dass überlange Arbeitszeiten krank machen, ist vielfach belegt: Nach neun Stunden steigt das Verletzungsrisiko enorm, nach zwölf Stunden besteht ein um 173 Prozent erhöhtes Verletzungsrisiko und ein höheres Risiko für Schlaganfälle. Bei 12-Stunden-Schichten bleibt vor und nach der Arbeit wenig Zeit für persönliche Verrichtungen, für echte Freizeit. Der Schlaf ist in der Regel nach so langen Arbeitstagen kürzer als die empfohlenen 7,5 bis 8 Stunden. Eine „echte Freizeit“ ist ebenfalls nicht mehr möglich.
Die Österreichische Gesellschaft für Arbeitsmedizin warnt bereits davor, dass es durch die Ausweitung der täglichen, wöchentlichen und jährlichen Höchstarbeitszeit zu mehr arbeitsbedingten Erkrankungen kommen wird.
Arbeit fair teilen
Neue Arbeit schaffen
Gestern …
Christine ist jetzt 72. Sie hat nach der Handelsschule bei einem Haushaltsgerätehersteller als Büroassistentin gearbeitet und ist bis zu ihrer Pension dort geblieben. Ein sicherer Arbeitsplatz, ein stabiles Einkommen, berechenbare Arbeitszeiten, klare Trennung von Arbeit und Freizeit, ein gewisses Maß an Selbstbestimmung, ein Betriebsrat, nach 25 Dienstjahren sechs Wochen Urlaub – das war Christines Arbeitsleben.
… heute …
Hannah ist 25. Sie hat nach Abbruch der AHS ihre Lehre als Hotel- und Gastgewerbeassistentin im Jahr 2015 abgeschlossen. Seither hat sie in vier verschiedenen Hotels gearbeitet. Die Personalfluktuation ist in allen Hotels enorm, bei Weitem nicht alle Stellen werden nachbesetzt, die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter springen ständig ein. Per WhatsApp werden Schichtpläne gemacht, es wird erwartet, dass man auch in der Freizeit permanent online ist – man könnte ja gebraucht werden. Die Freizeitplanung ist schwierig: dass Hannah Treffen mit FreundInnen und Familie absagen muss, um einen Dienst zu übernehmen, ist keine Seltenheit. Einen Betriebsrat, der die MitarbeiterInnen unterstützt, gibt es nicht. Das ist Hannahs Arbeitsrealität.
… und morgen?
Was Hannah bräuchte, um so zufrieden und gesund wie Christine arbeiten und dann in Pension gehen zu können, ist auch keine Atomphysik: Arbeitszeiten, die planbar sind; Vorgesetzte, die sowohl ihre MitarbeiterInnen als auch die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit respektieren; mehr Zeit für Ausgleich und Erholung; die Chance, auch einmal sechs Urlaubswochen genießen zu können; Betriebsräte, die mitbestimmen und mitgestalten; Kinderbetreuungseinrichtungen, die Vollzeitarbeit ermöglichen; ein gutes soziales Netz, wenn sie es einmal brauchen sollte, zum Beispiel Qualifizierung durch das AMS.
Von all dem haben alle etwas: die Menschen, die Unternehmen, die Sozialsysteme, das Gesundheitssystem, die Wirtschaft. Vor allem bringt es die Beschäftigten wieder ein gutes Stück näher zu guter Arbeit und einem guten Leben.
Nani Kauer
Mediensprecherin von AK-Präsidentin Renate Anderl
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/19.
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