Es geht um die Würde von Menschen

Michael Gruber / EXPA / picturedesk.com

Inhalt

  1. Seite 1 - Was die Abschaffung der Beschäftigungsaktion 20.000 für Betroffene beteutet
  2. Seite 2 - Hintergründe
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Mit der Abschaffung der Beschäftigungsaktion 20.000 hat die Bundesregierung gleich in ihren ersten Arbeitstagen eine sinnvolle arbeitsmarktpolitische Maßnahme beendet.
Stefan R. ist 51 Jahre alt. Als seine alte Firma durch den Zahlungsausfall eines großen Kunden Insolvenz anmelden musste, verlor auch er im Juni 2016 seinen Arbeitsplatz als Lagerleiter. Seit diesem Zeitpunkt war er auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. Auf seine mehr als sechzig Bewerbungen erhielt er nicht einmal bei der Hälfte eine Antwort. Vorstellungstermine bekam er überhaupt nur drei.

Knapp die Hälfte

Statt 2.000 Euro netto zu verdienen, musste er auf einmal mit knapp der Hälfte davon auskommen und sein Leben drastisch umstellen. „Ohne Unterstützung von Familie und Freunden wäre ich nicht über die Runden gekommen. Als Erstes hat mir meine Bank gleich den Überziehungsrahmen gekürzt“, erinnert er sich an die ersten Monate zurück.

Neben der angespannten finanziellen Situation kamen sehr rasch auch Probleme der sozialen Dimension hinzu. „Wenn du dir nichts leisten kannst, zu Hause Bewerbungen ins Leere schreibst und immer das Gefühl vermittelt bekommst, du bist zu alt und zu teuer, deprimiert dich das ungemein“, beschreibt Stefan R. seine Zeit in der Arbeitslosigkeit. Mit der Aktion 20.000 eröffnete sich aber auch für Stefan R. eine neue Chance. „Ich habe mich bei einer großen sozialen Organisation als Lagerarbeiter beworben und bin von siebzehn Bewerbern schlussendlich genommen worden“, freut er sich über seine neue Aufgabe.

Sinnstiftende Aufgabe

Obwohl Stefan R. mit der Notstandshilfe und der Möglichkeit, geringfügig dazuverdienen zu können, etwas mehr Geld hätte als mit seinem jetzigen Einkommen, hat er keine Sekunde gezögert, die Stelle anzunehmen. „Natürlich ist es nach wie vor auch finanziell nicht einfach und es wäre schön, wenn ich wieder mein altes Einkommen hätte, aber Geld ist auch in meiner Situation nicht alles. Ich habe wieder eine sinnstiftende Aufgabe, bin motiviert und habe das Gefühl, gebraucht zu werden. Auch mein Freundeskreis hat das bemerkt“, sagt der 51-Jährige und freut sich, wieder ein soziales Umfeld zu haben – und das Gefühl los zu sein, am Abstellgleis zu stehen.

Mit Ende Jänner 2018 waren 2.722 Personen in einer ähnlich glücklichen Lage wie Stefan R., über die Aktion 20.000 einen neuen Arbeitsplatz gefunden zu haben. Insgesamt wären Finanzmittel für 4.400 Arbeitsplätze vorgesehen gewesen. Die ersten Zahlen zeigen, dass mit dem Programm, das ja bisher nur in Modellregionen umgesetzt wurde, die Arbeitslosigkeit von langzeitbeschäftigungslosen älteren Menschen um 5,1 Prozent gesenkt werden konnte. In allen anderen Regionen ist die Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen hingegen im selben Zeitraum um 2,1 Prozent gestiegen.

Angesichts dieser Zahlen ist es umso unverständlicher, warum dieses Programm in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eingestellt wurde. Auch wenn die zuständige Ministerin nicht müde wird zu betonen, dass es sich um eine „Sistierung“ und nicht um eine Abschaffung handle, liegt der Schluss nahe, dass hier rein parteipolitisch und nicht im Interesse der betroffenen Personen gehandelt wurde.

Unverständlich ist dieser Schritt der Bundesregierung auch deshalb, weil österreichweit enorme Anstrengungen unternommen wurden, um die nötigen Plätze zu akquirieren und gemeinnützige Einrichtungen sowie die Kommunen dafür zu motivieren. Dank des außerordentlichen Engagements vieler Menschen – von den AMS-MitarbeiterInnen über BürgermeisterInnen bis hin zu den sozialen Einrichtungen – war es möglich, das Programm so erfolgreich zu starten.

Völlige Aufgabe

Der Verdacht einer politisch motivierten Entscheidung, fern jeglicher sachlicher Begründung, erhärtet sich auch, wenn man die Argumentation der Regierungsparteien für die „Sistierung“ betrachtet. So lautet etwa eine Behauptung, dass Arbeitsplätze nur von der Wirtschaft geschaffen würden und nicht von der Politik. Diese Aussage offenbart das völlige Aufgeben der politisch Handelnden. Natürlich geht es nicht darum, dass von der Politik direkt Arbeitsplätze geschaffen werden. Sehr wohl aber geht es darum, für entsprechende Rahmenbedingungen und Anstöße zu sorgen.

Mit der Beschäftigungsaktion 20.000 wurde einer am Arbeitsmarkt besonders benachteiligten Personengruppe ermöglicht, sich direkt an einem Arbeitsplatz zu behaupten. Es ist auch jene Personengruppe, die vom derzeit absehbaren Aufschwung und der damit einhergehenden leichten Entspannung am Arbeitsmarkt am wenigsten profitiert. Denn langfristiges Ziel der Aktion war, den betroffenen Arbeitgebern zu zeigen, dass auch ältere Beschäftigte einen sinn- und wertvollen Beitrag leisten können, eine Bereicherung für das Unternehmen darstellen und daher auch nach dem Förderzeitraum behalten werden sollten.

Als weiteren Grund bringt die Regierung vor, dass durch Qualifizierung nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Dieser grundsätzlichen Aussage kann zwar zugestimmt werden; liest man diese aber im Zusammenhang mit dem Regierungsprogramm und der darin angeführten Ideen, etwa zur Veränderung des Arbeitslosengeldes oder der Verlagerung von Schulungen direkt in die Betriebe, kann man vermuten, wohin die Reise geht: Es stehen nicht die Interessen der arbeitsuchenden Menschen im Mittelpunkt, sondern allein jene der Betriebe.

Nichts Gutes zu erahnen

Selbstverständlich ist auch einer neuen Regierung zuzugestehen, laufende Programme zu evaluieren. Und es war und ist auch die Position der VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen im AMS, für Gespräche jederzeit zur Verfügung zu stehen. Einer Diskussion zur Anpassungen der Maßnahme hin zu mehr Nachhaltigkeit oder geänderten Instrumenten verschließt sich die ArbeitnehmerInnenseite sicher nicht. Der aber schon in den ersten Tagen der neu angetretenen Bundesregierung sich abzeichnende Stil lässt für zukünftige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nichts Gutes erahnen.

Politisches Kleingeld

Das Handeln der politisch Verantwortlichen erweckt den Anschein, dass hier auf dem Rücken arbeitsuchender Menschen politisches Kleingeld gemacht wird. Hierbei stehen die Sachlichkeit und die Bedürfnisse der Betroffenen im Hintergrund. Das Schicksal von Stefan R. ist kein Einzelfall, sondern vielmehr die traurige Realität für viele Betroffene. Diesen wieder einen sinnstiftenden Arbeitsplatz zu ermöglichen, sie wieder vom Rand der Gesellschaft in die Mitte zu holen und ihnen schlussendlich wieder ein Stück Würde zu geben: Das ist die Aufgabe der Politik. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung selbst erkennt, dass diese Aufgabe gemeinsam gelöst werden muss und nur im Dialog zum Erfolg führen kann.

Stefan R. hat zum Abschluss noch eine Botschaft: „Ich wünsche mir, dass diejenigen, die solche sinnvollen Maßnahmen mit einem Federstrich streichen, nur ein paar Tage das erleben, was ich durchgemacht habe, bevor sie entscheiden.“

Hintergrund

Die Beschäftigungsaktion 20.000 startete am 1. Juli 2017 in neun Modellregionen und sollte mit 1. Jänner 2018 österreichweit umgesetzt werden. Ziel war es, die Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen langfristig zu halbieren.

Gefördert wurden Arbeitsplätze bei Gebietskörperschaften, in überwiegend im öffentlichen Eigentum stehenden Einrichtungen sowie bei gemeinnützigen Unternehmen. Diese mussten zusätzliche Arbeitsplätze sein, d. h. mit einer existenzsichernden Beschäftigung bzw. Teilzeitbeschäftigung ab 30 Wochenstunden und kollektivvertraglicher Entlohnung.

Zielpersonen mussten mindestens 50 Jahre oder älter und mindestens zwölf Monate beim AMS vorgemerkt sein. Gefördert wurden bis zu 100 Prozent der kollektivvertraglichen Lohn- und Lohnnebenkosten für maximal zwei Jahre.

Für das Programm wurden für den gesamten Projektzeitraum von 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2019 insgesamt 778 Millionen Euro budgetiert. Inbegriffen waren schon 578 Millionen Euro, die bereits als Unterstützungsleistungen aus der Arbeitslosenversicherung für die betroffene Zielgruppe zur Verfügung standen.

Von
Alexander Prischl

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.

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