Hohe Fluktuation
Während der Job von Rauecker-Döll erst in den letzten Jahren frauendominiert wurde, arbeitet Karin Samer in einem Beruf, in dem traditionell mehrheitlich Frauen arbeiten: Sie ist Betriebsratsvorsitzende der Wiener Kinderfreunde. Die gebürtige Wienerin absolvierte eine fünfjährige Ausbildung zur Kindergartenpädagogin mit Matura. Seit ihrem Abschluss 1987 ist sie bei den Wiener Kinderfreunden beschäftigt. Zehn Jahre arbeitete sie in ihrem Beruf, später leitete sie mehrere Häuser. „Bereits früh habe ich mich für Bildungspolitik interessiert und eingesetzt.“ Im Jahr 2010 kandidierte Samer mit Kolleginnen für den Betriebsrat und gewann acht von dreizehn Mandaten.
Gerne erinnert sie sich an eine Episode als frischgebackene Betriebsratsvorsitzende im Jahr 2011 zurück. Damals besuchte sie jenes Haus, das sie zuletzt geleitet hatte. Wer denkt, dass „ihre“ Kinder sie nach einem halben Jahr vergessen hätten, der irrt. „Die Karin ist wieder da!“, hätten fünf Kinder gerufen und seien ihr nachgelaufen, erzählt sie nicht ohne Stolz.
Als Betriebsratsvorsitzende ist Karin Samer freigestellt. Die 48-Jährige vertritt die Interessen von 1.082 Pädagoginnen und 18 Pädagogen an 155 Standorten. Im Büro im achten Wiener Bezirk bereitet sie sich gerade auf Kollektivvertragsverhandlungen vor. Die jährliche Anpassung des Mindestlohns um 2,5 bis drei Prozent sowie die Abgeltung von Vorbereitungszeiten sind Erfolge, aber es gibt einige Bausteine. Da wäre zum einen die sehr hohe Fluktuation bei den PädagogInnen. „Vor allem die Jungen, die gerade maturiert haben, bleiben oft nur drei Jahre und studieren danach“, erzählt Samer. Jene, die sich erst nach der Schule für ein Kolleg entscheiden, haben sich den Einstieg in das Berufsfeld besser überlegt und bleiben eher.
Einheitliches Gehalt als Ziel
Mit der Fluktuation verbunden ist die Entlohnung. Bei einer 40-Stunden-Woche verdienen Pädagoginnen in privaten Kindergärten wie den Kinderfreunden ab 2.214 Euro brutto. Innerhalb Österreichs gibt es 60 verschiedene Gehalts- und Lohntabellen. „Wir brauchen ein einheitliches Gehaltsschema, denn es darf keinen Unterschied machen, in welchem Bundesland ich arbeite“, fordert Samer. Sie fordert auch ein Bundesrahmengesetz, in dem Arbeitsbedingungen klar geregelt sind. Da wäre etwa der Betreuungsschlüssel: In Wien darf eine Kindergartenpädagogin in einer Gruppe 25 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren betreuen. Samer fordert einen Schlüssel von 1:10. Bei Ein- bis Dreijährigen kommen auf eine Pädagogin 15 Kinder. „Zehn Kinder und zwei Pädagoginnen wären toll.“
Als Einzelkämpferin sieht sich Samer nicht. „Es braucht unser gesamtes Betriebsratsteam, den Austausch mit den KollegInnen in den Kindergärten, um etwas zu verändern.“ Der Alltag als Betriebsrätin sei sehr abwechslungsreich. „Wir prüfen, ob Bestimmungen im Dienstvertrag eingehalten werden, das Gehalt den Qualifikationen entspricht, behandeln Anfragen von Mutterschutz bis Altersteilzeit.“ Manchmal gehe es um Sonderurlaub für die Pflege von erkrankten Angehörigen, dann wieder um Fortbildung oder Bildungskarenz. War ein Arbeitstag schwierig, erinnert sich Samer an den „Kinderdienst“, wie sie die Arbeit im Kindergarten nennt. „Kinder nehmen dich an der Hand, wollen, dass du mit ihnen spielst, und sie können so unverblümt sein“, schmunzelt sie. Als sie sich einen roten Kurzhaarschnitt zulegte, sagte ein Bub: „Du bist so schiarch.“ Samer nahm ihm das nicht übel. „Er war halt ehrlich.“
Karin Samer betont, dass das Berufsbild der Kindergartenpädagogik in den letzten Jahren stark aufgewertet wurde. Um aber an den Arbeitsbedingungen etwas zu ändern, braucht es Aufmerksamkeit, auch über Proteste. „Wir müssen Menschen vermitteln, dass unsere Lebensumstände das Umfeld ihrer Kinder sind.“ Samer will die Kollegenschaft ermuntern, für sich einzustehen. Das sei schwierig: Es fehlen vielen die Zeit und die Kraft zum Protestieren. Ihr Engagement erforderte auch von Samer viel Zeit. „Ich hatte Rückhalt aus meiner Familie, meine Kinder mussten oft länger im Kindergarten und Hort bleiben.“ Wie sie alles geschafft habe, frage sie sich manchmal selbst, sagt Samer: „Ich habe nicht viel nachgedacht, sondern es einfach gemacht.“
Entscheidung für das Engagement
Zurück zu Aida. Sabine Rauecker-Döll hat sich bei den letzten Betriebsratswahlen kurz überlegt, ob sie abermals für den Vorsitz kandidieren möchte, und sich dafür entschieden. Ihr Engagement ist ungebrochen. Eines möchte sie unbedingt an ihre Stellvertreterin weitergeben. „Dass sie auch so hart kämpft, wenn es nötig ist. Es geht darum, dass Menschen nicht ausgenutzt werden. Am Ende des Tages zahlt es sich aus.“
Udo Seelhofer und Sandra Knopp
Freie JournalistInnen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/18.
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