Sparen am falschen Platz
Vom Abwasser bis hin zu den Gärten, von den Bahnlinien bis hin zu Straßen und Brücken: Die öffentliche Hand kümmert sich bei uns um vielfältige Einrichtungen und Strukturen. Sie sichern den Lebensstandard – und ohne staatliche Unterstützung würde es sie nicht geben. Daher dürfen sich Staat, Städte oder Gemeinden aus der „öffentlichen Grundversorgung“ nicht zurückziehen, sind AK und Gewerkschaften überzeugt. Dabei wird nicht nur auf den Einsturz in Italien verwiesen, sondern auch auf die maroden britischen Eisenbahnen.
Auch ein Blick in die USA zeigt, welche negativen Folgen Privatisierungen haben. „Alles, was keinen unmittelbaren Gewinn bringt, wird vernachlässigt“, erzählt Matthias Falter von der Arbeiterkammer Wien. Er verbrachte einige Jahre in Minneapolis in den USA. Investitionen in die öffentlichen Stromleitungen oder in den Erhalt von Brücken fließen hier nur spärlich, oft unterbleiben sie auch gänzlich. Und wenn, dann dienen sie hauptsächlich der Aufrechterhaltung, nicht jedoch der Modernisierung, hält Falter fest. „Das führt etwa bei der Stromversorgung häufig zu Unterbrechungen, da die Leitungen nicht nur alt sind, sondern auch weiterhin in Hochlage neben den Straßen verlaufen und Wind und Unwetter kaum widerstehen“, erzählt er. In den Bundesstaaten sei es außerdem nach wie vor unpopulär, zusätzliche Gebühren für den Erhalt, die Modernisierung und den Ausbau der Infrastruktur einzuheben. „Public goods“, wie Falter sagt, wurden lange Zeit zurückgedrängt. Minneapolis beschreitet heute im Übrigen einen anderen Weg. Hier werden auch die öffentlichen Verkehrsmittel wieder ausgebaut.
Nicht nur die Marktlogik selbst ist bei einer solch sensiblen Infrastruktur, wie es Straßen und Brücken sind, ein Problem. Mindestens so problematisch ist es, wenn sich der Staat aus der Qualitätskontrolle verabschiedet.
Schon vor dem Einsturz der Morandi-Brücke gab es Diskussionen, wie es um die Sicherheit der Brücke bestellt sei. Das Bittere daran: „Es wurden Korrosion und andere Schäden genau an der Stelle festgestellt, an der die Brücke am 14. August einstürzte. Weder der Brückenbetreiber noch das italienische Verkehrsministerium sollen eine grundlegende Sanierung für notwendig erachtet haben“, kritisiert Martin Stuber vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) im A&W-Blog. Nicht nur die Marktlogik selbst ist bei einer solch sensiblen Infrastruktur, wie es Straßen und Brücken sind, ein Problem. Mindestens so problematisch ist es, wenn sich der Staat aus der Qualitätskontrolle verabschiedet.
Nachhaltiges Investment
Infrastruktur kann in unterschiedlichen rechtlichen Organisationsformen bereitgestellt werden, gemeinsam ist ihnen eines: Die öffentliche Hand und die Planung habe „eine Gewährleistungsverantwortung“, erklärt Michael Getzner, Leiter des Instituts für Raumplanung an der TU Wien. Infrastruktur müsse aber nicht direkt von ihr bereitgestellt werden, so der Experte. Möglich seien auch Eigenbetriebe und Ausgliederungen. „Private können sich – für die öffentliche Hand allerdings häufig teurer – in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften beteiligen“, so Getzner. Genau solche Partnerschaften sind AK und Gewerkschaften ein Dorn im Auge. DGB-Experte Stuber: „Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) sind im Bereich der Daseinsvorsorge grundsätzlich abzulehnen. Sie sind für die Allgemeinheit teurer, intransparent und stellen über ihre – in der Regel jahrzehntelange – Bindung eine schleichende Kapitalprivatisierung öffentlicher Infrastruktur dar.“
Humaner Selbstzweck
Somit ist fraglich, ob privat wirklich immer sinnvoller ist als staatlich. Der deutsche Soziologe Wolfgang Streeck argumentiert etwa: „Fundamentalökonomische Infrastrukturen lohnen sich, indem sie die Gesellschaft als Gesellschaft gleicher Bürger zusammenbringen, zum Zweck gesteigerter einzelwirtschaftlicher Produktivität ebenso wie als humaner Selbstzweck“, schreibt er im Vorwort des Buches „Die Ökonomie des Alltagslebens“.
Dies erfordere aber langfristige Investitionen mit niedrigen Renditen – diese werden jedoch durch ein geringes Risiko aufgewogen, betont der Soziologe. Fundamentalökonomie rechne sich am besten, wenn sie eine öffentliche sei, „also vor allem vom Staat oder unter strenger staatlicher Aufsicht und staatlichem Schutz betrieben wird“.
Drei Fragen zum Thema an
Thomas Moldaschl
Gewerkschaft Vida Wirtschaftsreferat
Was sind die Folgen von Privatisierungen?
Nach schweren Zugunglücken kaufte Großbritannien die zuvor privatisierte Schieneninfrastruktur wieder zurück. Das kostete das Land mehr als die Privatisierung der britischen Bahngesellschaft. Seither muss das Land mehr an staatlichen Zuschüssen ins Bahnsystem einzahlen als vor der Privatisierung.
Wie hoch ist der volkswirtschaftliche Nutzen gut ausgebauter Infrastruktur?
Wir haben bei gewissen Investitionen in die Bahninfrastruktur eine Wertschöpfung von 1 zu 4. Auch Sekundäreffekte wie etwa Betriebsansiedlungen ziehen diese mit. Dadurch steigt die Wirtschaftsleistung. Außerdem gehen die Verkehrsunfälle auf der Straße zurück und die Umweltbelastung sinkt, weil der Personen- wie auch der Güterverkehr dann auf der Schiene rollt. Umgekehrt ist es schlecht, mit notwendigen Erneuerungen zu warten: Je länger man sie hinausschiebt, desto größer wird das Risiko von Katastrophen. Grundsätzlich ist die österreichische Straßeninfrastruktur in einem besseren Zustand als jene in Deutschland oder Italien. Aktuell nimmt der Verkehr auf Schiene und Straße aber zu – allein das macht stärkere Investitionen als in unseren Nachbarländern erforderlich.
Privat versus Staat?
Ein privater Unternehmer kalkuliert beinhart: Er setzt günstiges, oft geringer qualifiziertes Personal ein, stellt ältere, oft erfahrene MitarbeiterInnen nicht ein. Private schauen mehr auf den zu erzielenden Gewinn als auf die Sicherheit. Bei uns sind Schiene und Straße weiterhin in öffentlicher Hand – und das ist auch gut so.
Christopher Erben
Freier Journalist
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/20.
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