Von Familienbonus und Frauenhaus
Blauensteiner, eine der Vizepräsidentinnen der AK Wien, engagiert sich für berufliche Gleichstellung. Im Ausschuss Frauen- und Familienpolitik ist sie Ersatzmitglied: „Wir begutachten Gesetze, sprechen mit Frauenvereinen und diskutieren Maßnahmen wie den Familienbonus.“ Letzteren lehnt die FSG ab, benachteiligt er doch GeringverdienerInnen. Der Ausschuss diskutiert auch über Gender-Pay-Gap, Kinderbetreuung und Familienförderung. Empört zeigt sich Blauensteiner etwa, wenn Frauenhäuser hinterfragt werden. „Die sollen Familien zerstören? Ein Blödsinn, Frauen brauchen sich nicht zu verstecken, wenn sie Gewalt ausgesetzt sind.“
Vielfalt der Fraktionen
Bei den Wahlen 2014 gewann die FSG mit 57 Prozent und lag damit vor den Christlichen Gewerkschaftern (ÖAAB-FCG) mit 21 Prozent, den Freiheitlichen Arbeitnehmern (FA) und den Alternativen und Grünen GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen (AUGE/UG) mit zehn bzw. sechs Prozent. Im Wiener ArbeitnehmerInnenparlament sind elf Fraktionen vertreten. Erol Holawatsch ist Beitragsprüfer bei der Wiener Gebietskrankenkasse und Kammerrat für den ÖAAB. Er lobt die Zusammenarbeit der Fraktionen: „Es wird an einem Strang gezogen, um das Beste für ArbeitnehmerInnen zu erreichen.“ Holawatsch ist etwa im Ausschuss für Verkehr und Tourismus tätig, ihm liegt der öffentliche Verkehr am Herzen: „Pendler müssen unkompliziert vom Auto in die Öffis umsteigen können.“ Der Kammerrat erzählt, dass es im Ausschuss den Antrag gegeben hat, in Wiens Außenbezirken einen „Schnellbahnring“ zu errichten. „Zwischen Donaustadt und Floridsdorf gibt es zwar die Linie 26, aber es muss eine bessere Anbindung für über 300.000 Menschen möglich sein.“ Im Frühjahr tritt er nicht mehr an: „Es ist wichtig, dass sich immer wieder neue Menschen mit Ideen einbringen.“
Informationsgewinn
Im Gegensatz zu Holawatsch tritt der Banker Friedrich Schiller von der Fraktion AUGE auch 2019 an. Schiller, Betriebsratsvorsitzender der Raiffeisen Kapitalanlagen GmbH, ist seit zehn Jahren Kammerrat. Er vertritt die AUGE in der Vollversammlung der AK Wien und in jener der Bundesarbeitskammer. Der Ökonom ist unter anderem in den Ausschüssen Finanz- und Wirtschaftspolitik tätig, die viermal im Jahr tagen. „Die AK hat exzellente SpezialistInnen, die uns einen Überblick geben, was aktuell debattiert wird, welche Stellungnahmen die AK abgibt“, führt Schiller aus. In den Ausschüssen werde über Anträge aus der Vollversammlung diskutiert. Es gäbe auch Referate zu Schwerpunktthemen, wie zu steuerpolitischen Änderungen oder zum Dienstleistungsbilanzdefizit. „Ich lerne sehr viel“, gibt Schiller zu. Eine zentrale Forderung seiner Fraktion ist eine ökologisch verträgliche Wirtschafts- und Finanzpolitik. „Wir wollen keine dritte Piste am Flughafen Wien Schwechat und keine Untertunnelung der Lobau“, so Schiller. In den Ausschüssen spricht er sich für nachhaltige ökologische Erbschafts- und Vermögenssteuern aus und für eine Entlastung der Lohnsteuer.
Die Anliegen der ArbeitnehmerInnen lagen Schiller schon immer am Herzen, stammt er doch aus einer Arbeiterfamilie, hat eine Lehre gemacht und später studiert. Das Ziel für die AK-Wahlen: „Wir wollen zulegen und die Freiheitlichen überholen.“
Sascha Ernszt sitzt für die FSG im ArbeitnehmerInnenparlament. Er engagiert sich für Zukunftsthemen und ist Mitglied im Ausschuss für Lehrlings- und Jugendschutz. Eine dort diskutierte Gesetzesänderung betrifft die überbetriebliche Lehrausbildung. „Bisher haben Jugendliche über 18 eine erhöhte Deckung des Lebensunterhalts bekommen. Diese hat die Regierung nun dramatisch gesenkt“, beklagt Ernszt. Gekürzt wurde von 753 Euro auf 326 Euro – die jungen ArbeitnehmerInnen bekommen nun weniger als die Hälfte!
Mehr als 400 Euro brutto weniger bedeutet oft, dass Betroffene ihre Ausbildung abbrechen müssten. „Die Regierung soll ihr Sparziel nicht auf dem Rücken von Jugendlichen finanzieren, die schon am Rande des Existenzminimums leben“, beklagt Ernszt. Der Ausschuss habe trotz unterschiedlicher Auffassung ein Statement gegen diese Maßnahme verfasst. So haben etwa die Christlich-Sozialen der Regierung zugestimmt, dass Jugendliche ihre Lehre in einem Betrieb machen sollen. Das findet Ernszt scheinheilig: „In den letzten 10 Jahren sind rund 10.000 Ausbildungsbetriebe verloren gegangen.“ Gab es 2006 noch 37.783 Betriebe, die Lehrlinge ausgebildet haben, so sind es 2016 nur mehr 28.204, das ist ein Viertel weniger. „Es ist besser, ein Jugendlicher macht eine überbetriebliche Lehre als keine“, sagt Ernszt. Er war früher Jugendvertrauensrat bei Siemens und Vorsitzender der ÖGJ.
Zu kurze Ruhezeiten
Debattiert wurde auch die Ruhezeit von jugendlichen ArbeitnehmerInnen in der Gastronomie. „Die Wirtschaft will, dass diese kürzer wird.“ Außerdem werde laut Ernszt versucht, über die Rot-Weiß-Rot-Karte Angehörige aus Drittstaaten ins Land zu holen, statt Jobs attraktiver zu machen. Das sehen viele im Ausschuss kritisch. Es werde versucht, alle Fraktionen mit ihren Meinungen ins Boot zu holen. „Funktioniert das nicht, zählt ein Mehrheitsbeschluss“, so Ernszt. Er wird sich 2019 nicht mehr der Wahl stellen. „Ich fange nächsten Sommer bei der Gewerkschaft an. In der Vollversammlung der AK sollen aber vor allem Betriebsräte das Wort haben.“
Die Zukunft der AK
Es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie sich die AK bis 2024 weiterentwickeln soll. So sieht Friedrich Schiller die AK gut aufgestellt, was Expertise und Beratung sowie die Gesetzesbegutachtung anlangt. Er wünscht sich aber mehr Offensive. „Die Kammer muss sich in politischen Fragen gegen Unternehmensverbände stärker einbringen“, so der AUGE-Kammerrat. Erol Holawatsch vom ÖAAB fordert, dass sich die AK verstärkt neuen Berufsfeldern widmet, die mit der Digitalisierung entstehen. Sascha Ernszt von der FSG hofft, dass das Serviceangebot ausgebaut wird, etwa Termine schneller und auch online vereinbart werden können.
Modernisierung und Digitalisierung sind Renate Blauensteiner wichtig: „Menschen brauchen hierbei Unterstützung.“ Ein Mittel ist der AK-Zukunftsfonds. 150 Millionen Euro stellt die AK für Projekte zur Verfügung, die die Auswirkungen der Digitalisierung auf ArbeitnehmerInnen abfedern sollen. Insgesamt gibt es viele ambitionierte Vorhaben, die nur umgesetzt werden können, wenn die AK nicht an Kraft verliert. Eine Kürzung der Kammerumlage würde das aber bewirken. „Dann gäbe es Verschlechterungen im Insolvenzschutz, Konsumentenschutz und Arbeitsrecht. Die Regierung hat Angst vor der AK, weil sie die einzige gesetzliche Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen ist“, so Blauensteiner. Umso wichtiger sei es, dass KammerrätInnen über die Arbeit der AK aufklären. Denn jeder unselbstständig Beschäftigte ist eigentlich Chef der Kammer. „Sie gehört uns allen.“
Anmerkung: Keine Infos gab es von der Fraktion Freiheitlicher Arbeitnehmer. Trotz mehrfacher Anfragen bei KammerrätInnen war niemand bereit zu einem Gespräch.
Udo Seelhofer und Sandra Knopp
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/18.
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