Von wegen Scheinjob. Eine Reportage

Sozialökonomische Betriebe geben langzeitarbeitslosen Menschen einen sinnvollen Job und helfen ihnen, den Weg zurück ins Berufsleben zu finden.
Fotos (C) Andreas Riedmann

Inhalt

  1. Seite 1 - Wirtschaftliche Ziele mit sozialen Ansprüchen
  2. Seite 2 - Vom Transitarbeitsplatz zur Festanstellung
  3. Seite 3 - Stück für Stück Leute aufbauen
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In Sozialökonomischen Betrieben soll langzeitarbeitslosen Menschen geholfen werden, über sinnstiftende und würdevolle Arbeit einen Weg in eine neue Vollzeitstelle zu finden. Eine Reise in eine Spar-Filiale und ein Restaurant des Inigo-Programms der Caritas.

Liebst du niemanden so sehr, wie deinen Sohn, dann bleibst du bei ihm. Wenn du niemanden mehr hast, außer ihn, wirst du wohnen, wo er wohnt. Selbst wenn Siemens dir ein Jobangebot macht, das zwar gut ist, für das du aber weit, weit wegziehen müsstest. Obwohl du weißt, dass es wegen deines Alters vielleicht das letzte Angebot für eine Vollzeitstelle gewesen sein könnte, das du bis zu deiner Pensionierung bekommst. Völlig egal, ob du zwei Universitätsabschlüsse hast, Ingenieur bist und sechs Sprachen sprichst. Die Liebe zu deinem Sohn und dein Alter sind Nachteile, die ein Arbeitsmarkt nicht verzeiht. Also bleibst du in Wien und arbeitest im Supermarkt.

Das war nicht irgendeine Geschichte, sondern die Geschichte von Jawdat Salam. Und er arbeitet nicht in irgendeinem Supermarkt, sondern in der Spar-Filiale in der Quellenstraße. Wien Favoriten. Dieser Markt wird von der Caritas im Rahmen des Sozialökonomischen Betriebes INIGO betrieben. Dessen Ziel ist es, langzeitarbeitslose Menschen – davon gibt es derzeit in Österreich rund 121.000 – zumindest für sechs Monate einen sinnvollen Job zu geben, ihnen etwas beizubringen und im besten Fall so viel Berufserfahrung an die Hand zu geben, dass sie eine Stelle im Einzelhandel finden. Es ist das Grundkonzept der Sozialökonomischen Betriebe.

Wirtschaftliche Ziele mit sozialen Ansprüchen

Um dieser Aufgabe nachzukommen, führt die Caritas unter anderem ein Restaurant im ersten Bezirk, betreibt die Gastronomie in einem Pflegeheim in Schönbrunn und zwei Spar-Filialen als Franchise-Nehmer. Mit allen Rechten und Pflichten, die solche Projekte mit sich bringen. So müssen die Niederlassungen betriebswirtschaftlich geführt werden, erwirtschaften sie einen Verlust, schadet das dem Franchise-Nehmer.

Dabei hat es die Caritas doppelt schwer. Denn diese harten, wirtschaftlichen Ziele stehen den sozialen Ansprüchen im Weg. Schließlich benötigt dieser Spar etwa doppelt so viele MitarbeiterInnen wie ein konventioneller Supermarkt. So gibt es sechs Facharbeitskräfte, die mit etwa 25 bis 30 langzeitarbeitslosen Personen zusammenarbeiten, ihnen Tätigkeiten zeigen und Aufgaben erläutern. Finanziell unterstützt wird die Caritas vom Arbeitsmarktservice (AMS), das den Lohn für die beschäftigten Langzeitarbeitslosen subventioniert.

Unsere Hauptherausforderung ist die Balance der Anforderungen aus der Wirtschaft und unserer eigenen.

Birgit Reingruber, stellvertretende Geschäftsführerin INIGO Handel

Ein Balanceakt, für den unter anderem Birgit Reingruber zuständig ist. Als stellvertretende Geschäftsführerin von INIGO Handel ist sie für beide Spar-Supermärkte zuständig. Sie pflegt die Kontakte zur Supermarktkette, kümmert sich darum, dass die Abrechnung passt und die Ausbildung so gut ist, dass die Menschen auch einen neuen Job finden. „Unsere Hauptherausforderung ist die Balance der Anforderungen aus der Wirtschaft und unserer eigenen.“

Jede Geschichte der Arbeitslosigkeit ist anders, jede ist gleich

Firaz Khalaf (50)
Für Firaz Khalaf war die Anstellung bei Spar der Schritt aus der Arbeitslosigkeit.

Wie lange waren Sie hier?

Zwei Wochen hatte ich Schulung, dann war ich fünf Monate angestellt.

Was haben Sie davor gemacht?

Ich war zehn Jahre Vorarbeiter bei einer Reinigungsfirma, dann war ich etwa acht Monate arbeitslos. Es gab Probleme zwischen mir und der Projektleiterin. Kurz nach mir wurde sie aber auch gekündigt.

Was haben Sie hier gemacht?

Kassa hauptsächlich, aber natürlich auch drinnen viel geholfen, wenn eine Lieferung kam.

Was machen Sie jetzt?

Ich bin in einem anderen Spar. Die Ausbildung hier hat mir sehr geholfen. Das Arbeitsklima hier war super, ich vermisse die Mitarbeiter. Es ist ein Klima wie in der Familie. Aber das ist im neuen Spar auch so.

Wurde Ihnen hier geholfen?

Ja. Mir wurde gesagt, dass ein anderer Spar jemanden sucht. Sie achten hier auf die Leute und finden einen neuen Job. Sie machen Schulungen und sind sehr freundlich.

Manuela Bordan (36)
Manuela Bordan kommt aus dem Einzelhandel. Auch in iher Anstellung in der Spar-Filiale ist es dieselbe Arbeit, aber das Betriebsklima ist besser.

Wie lange sind Sie schon arbeitslos?

Etwas über ein Jahr.

Was haben Sie davor gemacht?

Vorher war ich auch im Einzelhandel. Ich weiß selbst nicht, warum ich gekündigt wurde, es ist halt in der Branche so, man muss keine Gründe angeben. Ich war schon bei vielen.

Ist es hier anders?

Nein, man muss dieselbe Arbeit machen wie bei anderen Läden. Bis jetzt gefällt es mir hier aber besser als in den anderen Läden. Wegen der Kollegen und des Arbeitsklimas.

Hatten Sie die Möglichkeit, etwas Neues zu machen?

Ich konnte mich entscheiden, ob ich Kassa oder Regal machen will und dann bin ich zur Kassa. Ich arbeite 30 Stunden in der Woche und mache in verschiedenen Filialen Praktika. Sie achten hier sehr drauf, dass man woanders aufgenommen wird.

Finanziell passt es?

Man kriegt etwas weniger als in einem normalen Spar, aber mehr, als ich in den anderen Läden, in denen ich bisher war, gekriegt habe. Ich habe noch zwei Kinder, die in der Lehre sind, deswegen würde ich auch nichts mehr vom AMS bekommen und drei, die noch in die Schule gehen.

Dhanotha Sarbjit Kaur (44)
Dhanotha Sarbjit Kaur betreut die Feinkostabteilung.

Wie lange arbeiten Sie hier schon?

Seit vier Monaten. Vorher habe ich noch nie in einer Feinkostabteilung gearbeitet. Das lerne ich erst hier. Das AMS hat mich hergeschickt und ich durfte zwei Monate auf Probe arbeiten. Dann habe ich einen Vertrag über sechs Monate von der Caritas bekommen.

Was haben Sie davor gemacht?

Ich war bei der Firma meines Mannes, aber wir mussten die Firma abmelden. Dann habe ich Einzelhandelskauffrau gelernt. Dann habe ich Praktika gemacht, um Berufserfahrung zu sammeln. Aber diese Firmen haben niemanden gesucht. Hier ist es jetzt super und ich mag die Arbeit in der Feinkostabteilung.

Wie ist es im Vergleich zu anderen Supermärkten?

In dieser Filiale fühle ich mich sehr wohl. Wir machen immer viel Spaß und die Kollegen sind hilfsbereit. So lernt man auch schnell.

Wohnen Sie hier in der Nähe?

Nein. Ich fahre jeden Tag eine Stunde und zehn Minuten her. Es wäre gut, wenn mein nächster Job im 22. Bezirk wäre.

Wie lange wohnen sie schon in Wien?

Schon seit 18 Jahren. Aber früher konnte ich aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten, dann musste ich bei den Kindern zu Hause bleiben. Ich bin aus Indien. Dort habe ich Apothekerin gelernt – ein zweijähriges Diplom. Hier hätte ich noch drei Jahre weiterstudieren müssen, ich musste aber schnell einen Job finden und habe deswegen Einzelhandelskauffrau gelernt.

Michel Schörg (34)
Michel Schörg hat eine lange Zeit aus Berufsunfähigkeit, Reha und Arbeitslosigkeit hinter sich und weiß: Ohne Arbeit fällt einem die Decke auf den Kopf.

Wie lange sind Sie schon hier?

Ich bin seit acht Wochen hier. Erst im Arbeitstraining, dann mit einem Sechsmonatsvertrag.

Wie wurden Sie arbeitslos?

Ich war vier Jahre berufsunfähig, dann in Reha, dann erst arbeitslos.

Was war ihr Beruf?

Ich war im Einzelhandel. Vorher war ich bei Merkur.

Wie gefällt es Ihnen hier?

Für den Einstieg ist es gut. Für mich ist das hier nicht so schwer, ich habe es ja gelernt. Ich bin froh, dass ich das hier habe. Ohne Arbeit fällt einem die Decke auf den Kopf. Ich habe ein Kind im Kindergarten und die Zeiten lassen sich gut mit dem Dienstplan vereinbaren.

Wie sind Sie hierher gekommen?

Das AMS hat mich nicht vermittelt. Ich habe von einem Kollegen von dieser Filiale erfahren. Ich habe dann meiner Beraterin eine E-Mail geschrieben und dann habe ich eine Einladung bekommen. Ich habe vom AMS kein Vorstellungsgespräch bekommen, ich wurde nur in Kurse geschickt. Das ist aber von Berater zu Berater unterschiedlich und das finde ich unfair. Es scheint keinen Standard zu geben.

Emily Appel (50)
Emily Appel hat immer wieder für Firmen gearbeitet, bei denen MitarbeiterInnen sukzessive durch Maschinen ersetzt wurden.

Wie lange sind sie schon hier?

Schon sechs Monate.

Was haben Sie vorher gemacht?

Davor habe ich in einem Hotel Frühstück serviert und habe bei einer anderen Firma in der Produktion gearbeitet. Ich habe Kosmetika verpackt.

Wie sind sie arbeitslos geworden?

Ich war schon fünf Jahre arbeitslos, bevor ich hierher gekommen bin. In den Firmen, in denen ich war, haben immer viele Leute gearbeitet, die wurden dann aber alle durch Maschinen ersetzt.

Wie gefällt es Ihnen hier?

Gut. Alle Leute arbeiten im Team, alle sind freundlich, ich lerne hier wirklich viel und der Verdienst ist gut.

Saad Dahbour (31)
Saad Dahbour kam aus der Mindestsicherung, als ihm das AMS das Vorstellungsgespräch in der Spar-Filiale vermittelte.

Wie lange arbeiten Sie schon hier?

Erst seit ein paar Wochen.

Wie sind sie hierher gekommen?

Das AMS hat mir diesen Vorschlag gemacht und mir einen Vorstellungstermin vermittelt.

Sie waren vorher arbeitslos?

Ich war schon drei Jahre in der Mindestsicherung. Vor viereinhalb Jahren bin ich nach Österreich gekommen. Ich habe etwa ein Jahr auf meinen Bescheid gewartet und habe Deutschkurse gemacht.

Wo kommen Sie her?

Aus Syrien. Ich habe dort Jura studiert und wollte Rechtsanwalt werden, konnte es aber wegen des Kriegs nicht abschließen. Dann bin ich nach Österreich gekommen.

Wollen Sie nochmal studieren?

Ich wollte es nochmal probieren. Aber das dauert hier acht oder neun Jahre. Da habe ich erstmal mit meiner Frau gesprochen und wir haben entschieden, dass wir dafür erst einmal etwas Geld brauchen.

Was macht Ihre Frau?

Sie ist Buchhalterin. Jetzt ist sie aber gerade in Mutterschutz und betreut unser Kind.

Jawdat Salam (51)
Jawdat Salam hatte ein Jobangebot in Tirol. Für seinen Sohn blieb er jedoch in Wien.

Wie lange sind Sie schon hier?

Seit zweieinhalb Monaten. Es ist eine gute Arbeit mit netten Kollegen und einem guten Chef. Ich bin sehr zufrieden.

Was haben Sie vorher gemacht?

Ich komme aus Holland und bin seit drei Jahren hier in Österreich. Ich bin Ingenieur, Elektrotechniker und IT-Programmierer. Mein eigentlicher Beruf ist Ingenieur, ich habe zwei Universitätsabschlüsse gemacht. Jetzt bin ich hier, aber Arbeit ist Arbeit.

Wieso ist es so schwer einen passenden Job zu bekommen?

Das ist eigentlich nicht schwer. Aber ich müsste besser Deutsch sprechen. Aber immerhin kann ich sechs Sprachen sprechen – Bulgarisch, das ehemalige Yugoslawisch, Arabisch, Holländisch, Englisch und Deutsch. Ich habe eine Firma gefunden – Siemens – die wollten aber, dass ich in Tirol arbeite. Aber mein Sohn wollte in Wien bleiben. Und ich lebe für meinen Sohn.

Die Menschen werden größtenteils vom AMS zur Caritas geschickt. Teilweise, weil sich die Arbeitssuchenden diese Stelle wünschen und einfordern. Jeder Mensch, der hier arbeitet, hat eine andere Geschichte darüber zu erzählen, wie er in die Arbeitslosigkeit kam. Jede ist anders, jede ist gleich.

Michel Schörg, der nach langer Krankheit keinen Job mehr fand. Trotz Ausbildung. Manuela Bordan, die fünf Kinder hat, entsprechend oft aus dem Beruf raus musste, aber eben einmal weniger wieder reinkam. Trotz reichlich Erfahrung. Emily Appel, die Kosmetika verpackte, bis Maschinen das schneller und günstiger erledigen konnten.

Gemeinsam sind sie ein starkes Team. Die Spar-Filiale ist hell, außerordentlich sauber und gut sortiert. Die Feinkost- und Frischwarenabteilung sind die Filetstücke dieser Niederlassung. Gerade hat eine benachbarte Schule Pause. Eine Horde SchülerInnen stürmt zur Bäckerei, schon sind alle Waagen und Schneider besetzt, die Angestellten sind ausgeschwärmt, als hätte ihnen von außen ein Coach Befehle zugerufen. Nach wenigen Minuten ist der Ansturm bewältigt.

Und dann gibt es da noch Firaz Khalaf. Der arbeitet zwar nicht mehr in der Spar-Filiale der Caritas, kam aber zu Besuch vorbei, um seine ehemaligen KollegInnen zu besuchen. Denn bis vor wenigen Wochen hat auch er hier die Grundlagen für den Einzelhandel gelernt. Bis in einem anderen Supermarkt eine Stelle frei wurde. Rudi Savic, der Marktleiter des Caritas-Spar, erfuhr von der freien Stelle und motivierte Firaz, sich zu bewerben. Er ist das Musterbeispiel, aber längst keine Ausnahme.

Ein Coach unterstützt die Langzeitarbeitslosen bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben und allen Schwierigkeiten, die dabei auftreten können.

Vom Transitarbeitsplatz zur Festanstellung

2017 schieden im Lauf des Jahres 124 Transitarbeitskräfte aus dem Sozialökonomischen Betrieb INIGO aus, 34,7 Prozent fanden einen neuen Arbeitsplatz. Bis Ende September 2018 schieden 108 Transitarbeitskräfte aus, von denen 43,5 Prozent eine Festanstellung gefunden hatten.

Um diese Quote nach oben zu schrauben, arbeitet im Hintergrund ein ganzer Apparat der Caritas. Jeder Sozialökonomische Betrieb bekommt einen Coach zur Seite gestellt, der Langzeitarbeitslosen bei grundlegenden Problemen helfen soll. Oft müssen die ArbeitnehmerInnen mit Schulden kämpfen, eine Wohnung finden, Deutsch lernen, Betreuungsplätze für ihre Kinder finden, ausufernd viele Behördengänge machen oder einen Ausbildungs- oder Schulabschluss nachholen. Bei all diesen Dingen helfen die Coaches.

Die Personalentwicklung ist unser wichtigstes Anliegen. In der Zeit, in der die Leute bei uns sind, haben wir regelmäßig Termine mit ihnen, um zu sehen, wo wir helfen können.

Tanja Zimmermann, Coach bei Inigo Handel

Wie Tanja Zimmermann: „Die Personalentwicklung ist unser wichtigstes Anliegen. In der Zeit, in der die Leute bei uns sind, haben wir regelmäßig Termine mit ihnen, um zu sehen, wo wir helfen können.“  Es geht darum, dass die Menschen ein paar Sorgen weniger haben und sich auf die Arbeit und ihre Zukunft konzentrieren können.

Arbeitskräfte, die geschätzt werden

Hilfe ist vor allem in Sachen Jobvermittlung gefragt. Wer bei einem sozialökonomischen Betrieb der Caritas arbeitet, der sucht nach einem Job außerhalb dieses Kosmos. Dafür organisieren Personen wie Zimmermann Empfehlungen und Probetage. Freilich nur jenen, bei denen es langfristig sinnvoll erscheint. Menschen, die sich realistische Ziele gesetzt haben und die mit ihrer Arbeitseinstellung auch gute Chancen haben, die Stelle zu behalten.

Bewähren sie sich bei ihrem/ihrer neuen ArbeitgeberIn, steigert das den Ruf der Caritas-Betriebe. Hart haben sich alle Beteiligten so eine herausragende Mund-zu-Mund-Propaganda erarbeitet und die Unternehmen wissen die Arbeitskräfte sehr zu schätzen, denn sie kriegen überdurchschnittlich gut integrierte MitarbeiterInnen.

Die Fluktuationsquote im Handel in Wien liegt bei 25 bis 30 Prozent – bei den Menschen, die wir ausgebildet haben, liegt sie nur bei 12 bis 16 Prozent.

Rudi Savic, Filialleiter Spar Supermarkt

„Die Fluktuationsquote im Handel in Wien liegt bei 25 bis 30 Prozent“, rechnet Rudi Savic, der Filialleiter, vor, „bei den Menschen, die wir ausgebildet haben, liegt sie nur bei 12 bis 16 Prozent.“ Das liegt auch daran, dass diese Leute wissen, was auf sie zukommt. Der Handel ist kein Neuland mehr, das sie überraschen kann. Sie haben die 8.600 Produkte, die der Markt anbietet, kennengelernt, in Regale sortiert, an der Kassa abgerechnet und in der Feinkostabteilung zubereitet. Sie kennen die „Richtlinie Kasse“ – ein 26-Seiten-Manifest, das regelt, wie MitarbeiterInnen die Kasse zu bedienen haben.

Vorurteil der „Scheinjobs“ überwinden

So werden dann auch Vorurteile überwunden, erklärt Savic: „Die Menschen hier werden oft im Voraus abgestempelt. Dabei leisten die hier eine riesige Arbeit.“ Das gilt nicht nur für andere Unternehmen, auch die Politik qualifiziert diese Art der Arbeit als „Scheinjobs“ ab – wie Sebastian Kurz im Sommergespräch.

Dabei ist nichts weiter weg von der Wahrheit. Für das, was Kurz „Scheinjob“ nennt, fährt Dhanotha Sarbjit Kaur jeden Tag eine Stunde und zehn Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Die gleiche Strecke wieder zurück. Glücklich lernt sie hier, wie man eine Feinkostabteilung schmeißt. Brötchen backen, Käse schneiden, Wurstbrote schmieren. In Indien war sie diplomierte Apothekerin. Um in diesem Beruf weiterzuarbeiten, hätte sie hierzulande noch einmal drei Jahre studieren müssen. Doch sie brauchte dringend einen Job. Später blieb sie dann zu Hause, um sich um die Kinder zu kümmern.

Und für das, was Kurz „Scheinjobs“ nennt, ist Saad Dahbour sehr dankbar. Er war kurz davor, in seiner Heimat Syrien Anwalt zu werden. Dann musste er vor dem Krieg flüchten. Eigentlich wollte er erneut Jura studieren, doch das dauert in Österreich sehr lange. Zusammen mit seiner Frau beschloss er, erst einmal etwas Geld zu verdienen. Jetzt kümmert sie sich um das jüngst zur Welt gekommene Kind.

Neben dem Einzelhandel ist auch die Gastronomie ein wichtiger Zweig, wenn es darum geht, die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Stück für Stück Leute aufbauen

Yousif Zumrawi (61)
Yousif Zumrawi hatte Probleme, auf Grund seines Alters einen neuen Job zu finden.

Wie lange sind Sie schon hier?

Etwas über ein Jahr.

Was haben Sie davor gemacht?
Ich war vorher auch in der Gastronomie. In Pubs. Ich war längere Zeit arbeitslos, dann hat mich das AMS hierher geschickt.

Warum wurden Sie arbeitslos?

Das war das Alter. Ich habe in Hotels gearbeitet, später dann im WUK, dann bin ich weg, weil ich ein Lokal aufmachen wollte, das hat aber nicht geklappt. Dann habe ich immer wieder und wieder gesucht, es hat aber nie geklappt.

Wie ist es hier im Vergleich zu anderen Arbeitsstellen?

Die Arbeitszeiten sind überall gleich. Aber hier arbeiten wirklich nette Leute, die darauf schauen, dass man sich wohl fühlt.

Suchen Sie eine andere Stelle?

Wenn es geht, würde ich gerne hierbleiben.

Milanka Kostic (31)
Milanka Kostic hat Spaß an ihrer Arbeit.

Wie lange sind sie schon hier

Zwei Monate. Vorher war ich auch Küchenhilfe.

Wie haben Sie den vorherigen Job verloren?

Ich habe gekündigt. Ich wollte nicht mehr. Es waren mehr Arbeitsstunden, aber weniger Bezahlung als hier. Das AMS hat mich dann hierher vermittelt.

Wie ist die Arbeit hier im Vergleich zu anderen Betrieben?

Super. Es ist leichter und lustiger. Es macht richtig Spaß, hier zu arbeiten.

Joy Ogbonmwan (34)
Joy Ogbonmwan freut sich über die besseren Arbeitszeiten, die vor allem auch ihrer Familie zugute kommen.

Wie lange arbeiten Sie schon hier?

Seit fünf Monaten. Vorher war ich auch als Küchenhilfe angestellt.

Dann waren Sie arbeitslos?

Ja. Dann hat mich das AMS hergeschickt.

Wie ist es hier im Vergleich zur anderen Küche?

Sehr gut. Die Leute hier helfen mir sehr. Sie schauen, ob es andere Stellen gibt und helfen bei der Suche. Die Kollegen hier sind sehr nett. In der anderen Küche konnte ich weniger Stunden arbeiten. Aber je mehr man arbeiten kann, desto besser ist es für mich. Ich habe drei Kinder und die Arbeitszeiten hier sind besser.

Amanda Hinner (29)
Amanda Hinner schätzt vor allem das gute Teamwork.

Wie lange sind sie schon hier?

Ich habe vor drei Monaten das zweite Mal wieder hier angefangen. Davor war ich auf Krankenstand wegen der Bandscheiben. Das erste Mal angefangen habe ich hier vor etwa neun Monaten. Aber ich wollte die Arbeit hier fertig machen. Ich wollte nicht anfangen, dann in den Krankenstand und dann aufhören. Ich wollte etwas arbeiten.

Was haben Sie davor gemacht?

Nur im Gastgewerbe gearbeitet. Ich habe mit 15 angefangen. Meine ganze Familie hat dort gearbeitet. Seitdem mache ich das. Meine Familie hat mir immer nur Gutes erzählt. Ich habe mir gedacht: Warum nicht?

Haben Sie eine Lehre gemacht?

Ja. Ich habe sie drei Jahre gemacht, bin aber bei der Abschlussprüfung immer an den Weinen gescheitert. Jetzt schaue ich, dass ich durch das Inigo einen Abschluss kriege. In zwei Wochen habe ich auch ein Bewerbungsgespräch.

Wie gefällt es Ihnen hier?

Sehr gut. Es ist sehr locker und ich habe Arbeitskollegen, mit denen ich mich sehr gut verstehe. In anderen Lokalen war es oft so, dass man nur für sich arbeitete und es kein Teamwork gibt. Hier ist das anders. Als ich nach meinem Krankenstand wieder rein kam, war es erst einmal schwer, mich wieder einzugewöhnen, weil es natürlich viele neue Gesichter gab, aber mit der Zeit hat das gut geklappt. Wir helfen uns viel untereinander.

Neben dem Einzelhandel ist auch die Gastronomie ein wichtiger Zweig, wenn es darum geht, die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Caritas betreibt zu diesem Zweck das Restaurant Inigo im ersten Bezirk, das unter den gleichen Vorgaben geführt wird, wie die Spar-Filiale.

Hier ist Christian Jordan der Küchenchef. Er ist eine der Fachkräfte, die hier langzeitarbeitslose Menschen anleiten. Das … und Psychologe: „Die Leute kommen hier oft niedergeschlagen her, dann muss man sie erst einmal aufbauen und eingliedern. Stück für Stück.“

Kleine Küche, großer Andrang

Das ist bei Inigo Teamarbeit. Die Küche ist klein, der Andrang groß. Der Ton ist bestimmt, aber freundschaftlich. Es wird viel gelacht. Trotz der körperlichen Belastung. In kaum einem anderen Beruf müssen Menschen so viel laufen wie KellnerInnen.

Das hat zum Beispiel Amanda Hinner zu spüren bekommen. Obwohl gerade einmal 29 Jahre alt, hatte sie schon Probleme mit den Bandscheiben und musste aussetzen. In so einem Beruf ist das Alter natürlich ein doppeltes Handicap. Yousif Zumrawi beispielsweise hatte immer vergleichsweise gute Jobs. Vor nicht allzu langer Zeit wollte er dann sein eigenes Lokal eröffnen, das klappte aber nicht. Anschließend suchte und suchte er, konnte aber keine neue Stelle finden.

Sinnstiftende, würdevolle Arbeit

Manch einem, der hier arbeitet, ging es auch darum, sich nicht alles gefallen zu lassen. Die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie sind mitunter hart, ohne, dass sich das für die Angestellten auszahlt. Schon gar nicht für die, die im Hintergrund arbeiten und kein direktes Trinkgeld bekommen. Die Küchenhilfen. Bei Inigo gibt es einige, die hier sind, weil sie sich nicht mehr ausbeuten lassen wollten. Hier finden sie einen Arbeitsplatz, der sinnstiftend und würdevoll gleichzeitig ist.

Sorgen um Inigo muss man sich keine machen. Dafür ist der Ruf zu gut und die Arbeit zu erfolgreich. In einer Spar-Filiale soll bald eine Küche errichtet werden, um Lebensmittel zu verkochen, die nicht mehr verkauft werden können. Die Finanzierung steht teilweise, die Behördengänge stehen noch aus. Ein großes Problem ist freilich, dass es Finanzierungszusagen immer nur für ein Jahr gibt. Ein extrem kurzes Zeitfenster, wenn man bedenkt, dass hier Betriebe mit ein paar Dutzend MitarbeiterInnen am Laufen gehalten werden.

In den hellen, hohen Regalen der Spar-Filiale sind diese Probleme weit weg. Zum Glück. Neue Ware ist angekommen und die muss in die Regale. Innerhalb von Sekunden stehen Kisten in den Ecken und Emily, Saad und Jawdat räumen auf, als wäre es das eigene Küchenregal. Danke schön.

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  1. Seite 1 - Wirtschaftliche Ziele mit sozialen Ansprüchen
  2. Seite 2 - Vom Transitarbeitsplatz zur Festanstellung
  3. Seite 3 - Stück für Stück Leute aufbauen
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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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