Experiment Privatpensionen
Wie kommt es zu diesen riesigen Unterschieden? Wieso liegen die Pensionen in Deutschland um so viel niedriger als in Österreich? Zur Beantwortung dieser Fragen lohnt ein Rückblick auf die frühen 2000er-Jahre. Deutschland hat damals das Ziel der Lebensstandardsicherung im gesetzlichen System aufgegeben und stattdessen auf den Ausbau von Betriebs- und Privatpensionen gesetzt. Ein Experiment, das kläglich gescheitert ist. Auch in Österreich hat die damalige schwarz-blaue Regierung ein ähnliches Konzept verfolgt. ÖGB und AK haben mit Erfolg dagegengehalten und ganz wesentlich dazu beigetragen, dass wir bei den Pensionen heute viel besser dastehen als unser Nachbar. Doch angesichts der aktuell ähnlichen Regierungskonstellation und der immer wiederkehrenden Rufe nach einer „großen Pensionsreform“ lohnt sich ein kurzer Rückblick.
Es bleibt dabei anzumerken, dass es auch vor und nach 2003/2004 viele wichtige Reformen in unserem Pensionssystem gab, allerdings war keine davon so brutal angelegt wie die Reform 2003 und keine so weitreichend wie die Einführung des Pensionskonto-Rechts 2004. Letzteres kommt seit der 2014 durchgeführten Überführung der Alt-Anwartschaften auf die Pensionskonten voll zum Tragen.
Attacke auf gesetzliche Pensionen
Was heute nicht mehr so präsent ist: Der Regierungsvorschlag von 2003 zur Pensionsreform sah die massivsten Kürzungen seit Jahrzehnten vor. Die von der schwarz-blauen Regierung praktizierte Vernebelungstaktik zeigte Wirkung. Die zentralen Punkte des im März 2003 präsentierten Gesetzesentwurfs waren: eine Sofortkürzung der Neupensionen um bis zu 20 Prozent; die Kürzung der Pensionen Jüngerer um bis zu 40 Prozent; die kurzfristige Streichung aller Möglichkeiten eines Pensionsantritts vor dem 65. Lebensjahr für Männer und vor dem 60. Lebensjahr für Frauen. In diesem Zusammenhang war es geradezu provokant, dass diese Vorschläge von der Regierung als „Pensionssicherungsreform“ verkauft wurden. Die geplanten Einschnitte wurden als unumgänglich dargestellt und die Auswirkungen beharrlich schöngeredet.
Schmerzliche Kürzungen
Von den darauf folgenden negativen Stellungnahmen vieler ExpertInnen zeigte sich die Regierung Schüssel unbeeindruckt. Sie wurden ebenso zurückgewiesen wie das Angebot eines gemeinsam von ÖGB und Wirtschaftskammer erarbeiteten Alternativvorschlags. Erst als die Medien immer häufiger über negative Fallbeispiele berichteten, die durch AK-Berechnungen aufgezeigt wurden, ließ sich das wahre Ausmaß der geplanten Kürzungen nicht mehr schönreden. Wirklich kritisch wurde es für die Regierung, als die Gewerkschaften großflächige Protestmaßnahmen und Streiks durchführten. Erst dann akzeptierte Schüssel Gespräche mit den Sozialpartnern. Der „Runde Tisch“ brachte zwar keine Einigung, weil die Regierung zu keinen substanziellen Änderungen ihrer Kürzungsvorschläge bereit war. Zugestanden wurden letztlich aber eine 10-Prozent-Verlustdeckelung und eine längere Übergangsfrist für die Abschaffung vorzeitiger Alterspensionen.
Die negative Erfahrung ihres Alleingangs bei der Reform 2003 veranlasste die Regierung, bei der „Pensionsreform 2004“ wieder auf die bewährte Einbindung der Sozialpartner zu setzen. Schon von Beginn an wurden die ExpertInnen der Sozialpartner beigezogen. ÖGB und die Arbeiterkammer haben dabei erneut ihre enorme Bedeutung für die Sicherung unseres Sozialsystems unter Beweis gestellt. Diesmal nicht mit Methoden des Arbeitskampfes, sondern mit fundierter Expertise und mit Stärke in Verhandlungen.
AK- und ÖGB-Modell
Mit der „Österreich-Pension“ des ÖGB wurde ein Reformmodell vorgelegt, das die Regierung nicht übergehen konnte: Das im Zuge der Reform 2004 beschlossene „Pensionskonto-Recht“ trägt in weiten Bereichen die Handschrift der Arbeitnehmervertretungen. Die wichtigsten Änderungen zum Regierungsvorschlag von 2003 sind:
Das Leistungskonto kurz erklärt: Auf den neu eingeführten individuellen Pensionskonten wird für jedes Versicherungsjahr 1,78 Prozent vom versicherten Einkommen als Leistungsanspruch gutgeschrieben. Dahinter steht die auf die heute Jüngeren zugeschnittene Zielformel: 80/45/65. Sie bedeutet: 80 Prozent Ersatzrate bei 45 Versicherungsjahren, damit ist ein Pensionsantritt mit 65 Jahren verbunden. Im Schüssel-Regierungsprogramm von 2003 war dagegen nur die Ausweisung der einbezahlten Beiträge auf dem Pensionskonto vorgesehen.
Lebensdurchrechnung mit fairer Aufwertung: Im „Pensionskonto-Recht“ konnte endlich durchgesetzt werden, was die Regierung bei der Ausweitung des Bemessungszeitraums im Zuge der Reform 2003 strikt verweigert hatte: die faire Aufwertung zurückliegender Verdienste oder bereits erworbener Leistungsansprüche. Aufgewertet wird nun mit der durchschnittlichen Entwicklung der Beitragsgrundlagen. Dadurch konnten die negativen Auswirkungen der Umstellung auf „Lebensdurchrechnung“ erheblich abgeschwächt und teilweise sogar zur Gänze ausgeglichen werden.
Beibehaltung des Bundesbeitrags als Finanzierungsstandbein: Das von der Regierung angepeilte Pensionskonto-Modell wäre demgegenüber auf eine Abschaffung des Bundesbeitrags und damit auf massive Pensionskürzungen hinausgelaufen.
Komplexe Berechnungen
Auch in etlichen anderen Punkten wurde bei der Reform 2004 eine klare Verbesserung gegenüber 2003 erreicht. Das reicht von der Wiedereinführung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer („Korridorpension“) über die Schaffung einer zeitlich unbefristeten Schwerarbeitspension bis hin zur Herabsetzung des Verlustdeckels von 2003. Ein weiterer zentraler Reformschritt war die langfristige Angleichung des Beamtenpensionsrechts an die Regelungen der Pensionsversicherung. Als zentraler Schwachpunkt blieb – neben manchen Härten für pensionsnahe Jahrgänge, niedrigen Frauenpensionen und nach wie vor geringeren Beitragsätzen für Selbstständige – das Problem der komplexen Pensionsberechnung. Zusätzlich zur Berücksichtigung des Verlustdeckels musste eine „Parallelrechnung“ durchgeführt werden für Anwartschaften, die vor und nach Einführung des neuen „Pensionskonto-Rechts“ erworben wurden. Gelöst wurde dieses Problem zehn Jahre später unter Mitwirkung der Sozialpartner mit der 2014 durchgeführten Berechnung und Übertragung der Alt-Anwartschaften auf die neuen Pensionskonten.
Das Zustandekommen der Pensionsreformen 2003 und 2004 ist ein Paradebeispiel für die Bedeutung starker Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen. Ohne starke Gewerkschaften und ohne eine starke AK wäre die Alterssicherung in Österreich heute ähnlich schlecht wie in Deutschland. Negativ betroffen wären nicht nur die Älteren, sondern vor allem die heute Jüngeren.
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Josef Wöss und Erik Türk
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/18.
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