Man kann diese Vorgänge, sollten sie richtig sein, getrost als Sozialdumping bezeichnen. Doch darüber verliert die Wirtschaftskammer kein Wort. Stattdessen beschwert sie sich gebetsmühlenartig über eine angebliche Regulierungswut und einen Generalverdacht, dem österreichische Unternehmen ausgesetzt seien.
Erhörte Signale
Die schwarz-blaue Bundesregierung hat die Klagen der Wirtschaftskammer erhört. Ihr Regierungsprogramm enthält eine Reihe von Vorhaben, mit welchen der gewerkschaftliche Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping drastisch erschwert wird. Vorgänge, wie sie bei technosert scheinbar an der Tagesordnung standen, sollen zukünftig hinter einem schweren Vorhang verhüllt werden. Auch im öffentlichen Dienst wird man das merken, denn die hier geplanten Einsparungen werden zu einer Ausweitung von ohnehin schon virulenten Befristungen sowie Ketten- und Zeitarbeitsverträgen führen. Es sind die in Österreich arbeitenden Menschen, die darunter leiden werden.
Ein Angriffsziel ist das etwas sperrig klingende „Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz“. Dieses recht neue Gesetz soll die Unterbezahlung von Lohnabhängigen in Österreich bekämpfen. Egal ob man für eine ausländische Firma in Österreich tätig ist, ob es einen Betriebsrat gibt oder nicht: Dieses Gesetz erlegt Unternehmen Strafen auf, wenn sie den für eine Branche geltenden Kollektivvertrag nicht einhalten. Das ist allein schon deshalb wichtig, weil rund 96 Prozent aller Löhne in Österreich über Kollektivverträge geregelt sind.
Das Lohndumpinggesetz ist alles andere als perfekt und kein Allheilmittel. Zwar hat es seit 2011 zu rund 1.200 Entscheidungen wegen Unterbezahlung geführt. Doch die betroffenen Unternehmen können sich eine Bestrafung durchaus leisten. Nicht nur das: Sie machen sogar Profit damit. Das meint zumindest AK-Arbeitsrechtsexperte Walter Gagawczuk. Er sagt: „Die Strafen sind viel zu niedrig und tun den Unternehmen nicht weh.“
Im Falle einer Überführung muss ein Unternehmen eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 bis 10.000 Euro pro unterbezahltem/r MitarbeiterIn zahlen. Ab drei unterbezahlten MitarbeiterInnen steigt diese Strafe auf 2.000 bis 20.000 Euro pro unterbezahlter Person. Dieses Vorgehen nennt sich „Kumulationsprinzip“. Da können je nach Schwere des Vergehens schon Zehntausende Euro zusammenkommen. Aber: „Die Lohndumping betreibenden Unternehmen sparen sich ja nicht nur Teile der Löhne, sondern auch Überstundenzuschläge und andere Zulagen. Das wird im Strafmaß nicht berücksichtigt. Meistens werden 40 Prozent der zustehenden Löhne nicht bezahlt“, so Gagawczuk.
Für die Durchsetzung des Lohndumpinggesetzes sind Behörden wie zum Beispiel die Finanzpolizei zuständig. Das sei eigentlich positiv, meint Gagawczuk: „KollegInnen haben ja meistens keine Handhabe, um ihre Rechte auf eigene Faust zivilrechtlich durchzusetzen.“ Doch auch hier liegt der Teufel im Detail, denn die Behörden sind chronisch unterbesetzt. „Derzeit werden von der Finanzpolizei 500 Personen gegen Lohndumping eingesetzt. Wir fordern eine Aufstockung auf 1.000“, so der AK-Experte.
Gegenteil geplant
Die Regierung plant aber das Gegenteil: Das Kumulationsprinzip soll abgeschafft werden. Unternehmen hätten dann noch geringere Strafen als jetzt schon zu befürchten. Außerdem sollen zusätzliche Aufgaben auf die Finanzpolizei abgewälzt werden. Dazu zählt die Kontrolle, ob Unternehmen ihre Beschäftigten ordentlich und für die korrekte Arbeitszeit bei der Sozialversicherung anmelden. Dabei kommt die Finanzpolizei schon jetzt kaum noch hinterher. PRO-GE-Arbeitsrechtlerin Susanne Haslinger kennt Fälle, in denen die Überprüfung eines Unternehmens durch die Finanzpolizei erst fünf Jahre nach Einreichung der Anzeige erfolgt ist. Der neuen Regierung wirft sie eine „Förderung von Lohndumping“ vor.
Abzüge für jeden Blödsinn
Haslinger hat nicht nur geplante Gesetzesänderungen oder den wachsenden Einsparungsdruck der Regierung auf die Arbeiterkammer vor Augen. Ihr geht es auch um Projekte zur Organisation von durch Lohndumping bedrohten Beschäftigtengruppen, die von staatlichen Geldern mitfinanziert werden. Ein Beispiel sind die ErntehelferInnen. Hier ist die Liste der alltäglichen Missstände lang. „99 Prozent der Leute kommen aus dem Ausland“, sagt Haslinger. „Es gibt Unterbezahlung, extrem lange Arbeitszeiten und Abzüge für jeden Blödsinn. So mussten die KollegInnen bei einem Tiroler Bauern sogar für Gummiringe zahlen, die sie für die Arbeit brauchten. Auch Schutzkleidung müssen die Beschäftigten oft selber zahlen.“
Dabei gibt es auch für ErntehelferInnen einen Kollektivvertrag. Der ist mit einem Stundenlohn von zum Beispiel 7,38 Euro im Burgenland ohnehin schon extrem niedrig. Ohne Kontrolle wird er noch dazu oft unterschritten. Von der Einhaltung vorgeschriebener Arbeitspausen und anderer Dinge ganz zu schweigen. „Deshalb hat die PRO-GE zusammen mit anderen Gruppen eine Kampagne gegründet“, sagt Haslinger. „Wir gehen auf die Erntefelder, klären die KollegInnen über ihre Rechte auf und unterstützen sie bei der gewerkschaftlichen Selbstorganisation.“ Das kostet Geld, welches nicht nur aus Gewerkschaftskassen kommt. „Rechtshilfeorganisationen für Beschäftigte aus Drittstaaten wurden bislang oft staatlich gefördert. Diese Mittel möchte die neue Regierung einsparen. In den kommenden Jahren laufen viele Förderungen aus. Für die betroffenen KollegInnen ist das eine Katastrophe.“
Dabei sollte man sich keine Illusionen darüber machen, dass Lohndumping „nur“ ein grenzüberschreitendes Phänomen ist. Das bestätigt eine Eurofound-Studie aus dem Jahr 2016, die sich mit „betrügerischer Vergabe von Arbeit in der Europäischen Union“ auseinandergesetzt hat. Mit dieser Formulierung ist die falsche Bezeichnung eines Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses als „Leiharbeit“, „Selbstständigkeit“ oder auch „Praktikum“ zum Zweck der illegalen Lohnkürzung gemeint. Die Studie ortet eine besondere Dichte solcher Praktiken in der Baubranche, der Medien-, Kunst- und Unterhaltungsbranche sowie im Tourismus- und Gastronomiebereich. Die AutorInnen schreiben: „Entgegen der landläufigen Meinung scheint die betrügerische Arbeitsvergabe keine grenzüberschreitenden Beschäftigungsverhältnisse zu umfassen. Die weite Verbreitung des inländischen Betrugs bestätigt, dass es sich beim Missbrauch von Beschäftigungsverhältnissen um eine nationale Angelegenheit handelt.“ Es schließt sich der Kreis nach Wartberg zur Firma technosert.
Lippenbekenntnisse?
BetriebsrätInnen komme eine große Verantwortung bei der Bekämpfung solcher Missstände zu, meint Susanne Haslinger. „Da gibt es auch tolle Beispiele. Zum Beispiel kümmert sich der Betriebsrat bei MAN in Steyr sehr gut um die dort eingestellten Zeitarbeitskräfte.“ Doch es brauche auch mehr Kreativität vonseiten der Gewerkschaften: „Wir müssen uns auch Organisationsmodelle jenseits der reinen Betriebsratsarbeit überlegen und Selbstorganisation fördern. Bei den ErntehelferInnen versuchen wir das bereits.“ Eines sei dabei besonders wichtig: „Das Lohndumping wird nie von den KollegInnen betrieben, ganz egal, welche Herkunft sie haben. Die Lohndumper: Das sind die Unternehmen.“
Weiterführende Links:
www.sezonieri.at
www.undok.at
www.watchlist-praktikum.at
Christian Bunke
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
christian@bunke.info
oder die Redaktion
aw@oegb.at