„Die Behinderten“ gibt es nicht
So einfach ist das aber nicht. Es gibt kein generelles „richtig und falsch“, wenn es darum geht, über Behinderung zu sprechen. Denn die Gruppe der Menschen mit Behinderung gibt es so eigentlich nicht. Wir sind hauptsächlich Menschen, ganz verschiedene, mit unterschiedlichen Hobbys, politischen Ansichten, Jobs – und auch mit sehr konträren Meinungen zu dem Wort „behindert“. Ich persönlich sage: „Ich bin behindert, solange ich behindert werde.“ Das richtet den Fokus auf Barrieren, die ich im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft erlebe. Behindert werden – das drückt auch das soziale Modell von Behinderung aus: Behinderung als Barriere von außen, im Gegensatz zum medizinischen Modell, das Behinderung als Störung, Krankheit, Mangel eines Menschen beschreibt.
Ein Beispiel: Ein Rollstuhlfahrer steht vor einer Treppe. Das medizinische Modell sagt: Er kann die Treppe nicht rauf, weil er behindert ist. Das soziale Modell sagt: Er kann nicht rauf, weil die Treppe ihn behindert – weil sie eine Barriere ist. Auch, wenn man wie ich von sich selbst als Behinderte spricht, heißt man damit nicht automatisch eines der beiden Modelle gut. Kolleg:innen von mir lehnen die Beschreibung „behindert“ ab, weil sie mit dem Wort persönliche Beleidigungen erfahren haben. Manche möchten „Menschen mit Beeinträchtigung“ genannt werden, andere sagen: „Ich bin einfach Mensch.“ Auch der Kontext ist wichtig – und wer spricht. Es macht mitunter einen großen Unterschied, ob ich selbst sage: „Ich bin behindert“, oder ob jemand das über mich sagt.
Darf man ‚behindert‘ sagen?
Was ich übrigens gar nicht mag: „besondere Bedürfnisse“. Behinderte haben die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere Mensch auch: Sie müssen aufs Klo, wollen geliebt werden … Auch die Formulierung „er/sie leidet an …“ ist oft unglücklich. Behinderung bedeutet nicht automatisch Leid. Ich kenne sehr viele Behinderte, die ein erfülltes Leben haben. Und was gar nicht geht: „an den Rollstuhl gefesselt“. Für Rollstuhlnutzer:innen ist das Hilfsmittel eines, das ihnen mehr Bewegungsfreiheit gibt, ihnen somit Teilhabe ermöglicht.
Jetzt ist alles noch komplizierter? Nein. Es ist ganz einfach. Sprechen Sie nicht über, sondern hauptsächlich mit uns! Fragen Sie Menschen mit Behinderungen, wie sie genannt werden wollen – und ob sie überhaupt über ihre Behinderung reden wollen. Vielleicht kommen Sie aber auch drauf, dass Sie ein gemeinsames Hobby haben oder dasselbe Lieblingsbier.
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