Diversität ist Arbeit
Davon kann Judith Falkinger, Betriebsratsvorsitzende von Statistik Austria, ein Lied singen. Ihre Funktion hat sie in unmittelbarem Anschluss an ihre Elternteilzeit angetreten. Als sie aufgrund der zusätzlichen Aufgaben ihr Stundenausmaß von 32 auf 40 Stunden erhöhen wollte, wurde dies abgelehnt. Das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) sieht vor, dass freigestellte Betriebsrät:innen so bezahlt werden, als würden sie ihre ursprüngliche Arbeit weiter ausüben. Die Regelung soll Betriebsratsmitglieder vor Gehalts- oder Stundeneinbußen bewahren. „Was eigentlich als Schutz vor Schlechterstellung gedacht ist, kann bei Frauen mit Betreuungspflichten zum Boomerang werden“, sagt Falkinger.
Veränderung selbst gestalten
Sie hat mit Unterstützung der Arbeiterkammer geklagt – und den Prozess 2021 verloren. „Im Urteil geht das Gericht davon aus, dass ich als Frau mit zwei kleineren Kindern im Normalfall meine Stundenanzahl nicht erhöht hätte.“ Damit stünde ihr die höhere Bezahlung gesetzlich auch nicht zu. Obwohl sie während der Corona-Lockdowns teilweise sogar bis zu 60 Stunden pro Woche gearbeitet und nebenbei auch noch die Kinder im Home-Schooling betreut habe. „Auch wenn das Urteil nicht ganz unerwartet kam: Das war ein echter Tiefschlag“, sagt Falkinger. „Das Gesetz muss dringend angepasst werden.“
Bei der Statistik Austria hat sich mittlerweile einiges verbessert. Nicht zuletzt dank Falkinger selbst. Weil sie einerseits Missstände offen thematisiert und andererseits als Vorsitzende einen integrierenden Führungsstil im Betriebsrat eingeführt hat. Zum Beispiel lädt sie die Behindertenvertrauensperson zu jeder Sitzung ein. „Ich möchte, dass alle gleichermaßen gesehen und gehört werden.“ Auch unterscheidet sie nicht zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen im Betriebsrat: „Es geht nicht um Fraktion gegen Fraktion: Ich möchte, dass wir als Menschen mit unseren Erfahrungen hier sitzen und diskutieren.“ Um speziell für Frauen in der Arbeitnehmer:innenvertretung einen geschützten Raum für Erfahrungsaustausch und Unterstützung zu schaffen, hat sie zudem das unabhängige und überfraktionelle Netzwerk „Fuchsbau“ gegründet. Diese Offenheit ist Grundlage für Diversität.
Systemische Gründe für mangelnde Diversität
Dass Diskriminierungen passieren und wie damit umgegangen wird, hat nicht nur, aber auch einen systemischen Grund. Betriebsräte in Österreich sind anders zusammengesetzt als Belegschaften. So sind etwa Betriebsratsmitglieder im Schnitt älter als Arbeitnehmer:innen, und Frauen sowie Menschen mit Migrationshintergrund sind unterrepräsentiert. Das zeigt die von der AK Wien herausgegebene Studie „Mitbestimmung in Österreich 2022“ für die IFES mehr als 2.500 unselbstständig Beschäftigte und Betriebsratsmitglieder befragt hat. Demnach sind zwar 48 Prozent aller Arbeitnehmer:innen weiblich, doch der Frauenanteil im Betriebsrat liegt nur bei 34 Prozent. Ähnliches gilt für eine andere Gruppe: 13 Prozent der Arbeitnehmer:innen besitzen keine österreichische Staatsbürgerschaft, aber nur vier Prozent der Betriebsratsmitglieder. Frauen und Personen mit Migrationshintergrund, die formal niedrigere Abschlüsse haben, stehen vor besonders hohen Zugangsbarrieren.
François Nebout-Keytasso, geboren und aufgewachsen in der Elfenbeinküste, ist eines der Gesichter des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern (BHS) in Wien. Zum einen als Portier und Rezeptionist, zum anderen, weil er Plakate und andere Werbeträger der BHS ziert. In dem Spital arbeiten viele Menschen mit Migrationshintergrund – von den 471 AK-Wahlberechtigten machen sie ein knappes Drittel aus. Nebout-Keytasso kam vor 34 Jahren zum Studieren nach Wien und arbeitet fast schon genauso lange hier im Spital. Seit gut zehn Jahren ist er Teil des Betriebsrats und damit eines von drei aktiven Mitgliedern mit Migrationshintergrund. Zwei weitere haben ein Ersatzmandat.
Vertrauen schlägt Herkunft
„Aufgrund meiner Herkunft, Ausbildung und Kultur denke ich anders als die anderen“, sagt er, und seine Sicht bringe er auch im Betriebsrat ein. Doch sein Background bedeute nicht, dass sich andere Mitarbeitende mit Migrationshintergrund besonders gerne an ihn wenden. Das Hauptproblem sei, dass viele Kolleg:innen erst zum Betriebsrat kommen, wenn sie ein Problem oder Anliegen haben. Anstatt schon vorher etwa an Ausflügen oder Grillfesten teilzunehmen – und dann würden sie lieber direkt zum Vorsitzenden gehen. „Die Herkunft spielt keine Rolle, nur das Vertrauen“, sagt Nebout-Keytasso.
„Die Person muss glauben, dass du die Macht und das Gewicht hast, etwas zu bewegen.“ Man glaube, Menschen mit Migrationshintergrund würden sich gegenseitig vertrauen, „aber wir vertrauen uns am Anfang oft überhaupt nicht.“ Doch es sei heute viel besser als früher, als Mitarbeitende einzelner Nationen noch Gruppen bildeten. Heute sei die Belegschaft des Krankenhauses durchmischter, was die Kommunikation leichter mache. Dass etwa auch Mitarbeitende von verschiedenen Glaubensrichtungen wie dem Islam, dem Judentum und dem Buddhismus im katholischen Krankenhaus arbeiteten, sei selbstverständlich.
Laut Sophia Reisecker gibt es in diversen Belegschaften und Betriebsräten viel Potenzial für Missverständnisse – etwa durch sprachliche und kulturelle Barrieren. Die Leiterin der Abteilung Europa, Konzerne und Internationale Beziehungen in der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) hat viel mit internationalen und europäischen Betriebsräten zu tun: „Bereits innerhalb Europas gibt es unglaublich diverse Hintergründe. Das fängt schon beim Begriff Betriebsrat an.“ So sorge es etwa oft für Überraschung, dass in französischen Betriebsräten auch Arbeitgeber:innen sitzen und diese sogar den Vorsitz führen. Die Aufgaben, die Betriebsräte in Österreich haben, würden in Frankreich hingegen von Betriebsgewerkschaften wahrgenommen. Deshalb plädiert Reisecker dafür, in Sitzungen oder vorbereitenden Gesprächen möglichst wenige Begriffe direkt zu übersetzen, sondern immer auch ihre Bedeutung zu erklären.
Diversität braucht Sicherheit
Besonders viel Erklärungsbedarf gebe es, wenn Betriebsräte durch neue Mitglieder an Diversität gewinnen sollen. Das könnte nämlich schon an Grundsätzlichem scheitern. Zum Beispiel daran, dass Menschen aus bestimmten Regionen aufgrund von negativen Vorbehalten gar nicht erst aktiv werden wollen. „Es gibt genügend Länder, wo Gewerkschafter:innen verfolgt, gefoltert oder getötet werden“, sagt Reisecker. Gegenüber Personen aus solchen Ländern brauche es einen proaktiven Ansatz. „Man sollte sie direkt ansprechen und ihnen die Sicherheit geben, dass sie sich durch gewerkschaftlichen Aktivismus oder Betriebsratsarbeit nicht angreifbar machen, sondern sogar einen Kündigungsschutz genießen.“
In Sitzungen, aber auch außerhalb, brauche es besondere Aufmerksamkeit, soziale Kompetenz und Gespür seitens der Vorsitzenden, um die Bedürfnisse verschiedener Personengruppen zu integrieren. Eine Unterstützung können hier die Arbeiterkammer und Gewerkschaften sein. Gerade in Betriebsräten, in denen manche oder alle Mitglieder nicht in ihrer Erstsprache sprechen, könne zudem viel durch Übersetzungen schiefgehen. Etwa wenn es um Rechtliches wie Kollektivverträge oder das Streikrecht gehe. So existiere etwa das Arbeitsverfassungsgesetz nur in deutscher Sprache – eine offizielle Übersetzung auf Englisch gebe es nicht.
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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) October 16, 2024
Trotz aller Herausforderungen: Diversität lohnt sich
Laut der Betriebsratsvorsitzenden der Statistik Austria, Judith Falkinger, müsse man sich als Betriebsratsgremium bewusst sein, dass man die gesamte Belegschaft vertritt. „Da brauche ich die verschiedenen Sichtweisen. In deiner eigenen Bubble lernst du nichts Neues dazu.“ Allerdings müsse man sich sehr bewusst mit Diversität auseinandersetzen. „Wenn man die Dinge laufen lässt, wie sie sind, bleibt auch alles, wie es ist“, sagt Falkinger. Das bedeute vor allem am Anfang viel zusätzliche Kommunikation, um zu verstehen, wie jede:r ticke und welche Bedürfnisse es gebe.
„Wenn du noch keinen geschützten Raum hast, in dem alle das Gefühl haben, sie dürfen so sein, wie sie sind, und diskutieren, was sie möchten, ohne dass es ihnen jemand übel nimmt, dann brauchst du extrem viel zusätzliche Kommunikation.“ Doch bei allen Herausforderungen sei der Prozess zu mehr Diversität lohnenswert, betont Falkinger: „Diverse Betriebsräte sind eine enorme Bereicherung, weil sie uns rausholen aus unseren Denkmustern.“
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