Digitaler Aufholbedarf

Österreich liegt bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich zurück. Gerade Klein- und Mittelbetriebe haben den Anschluss noch nicht wirklich geschafft.
Betriebe, die Digitalisierung einsetzen, verarbeiten elektronisch erfasste Daten und schaffen damit einen Mehrwert. Dieser kann darin bestehen, dass ein Produkt individualisiert erstellt oder die Logistik leichter gesteuert werden kann. Sehr gut gelungen sind solche Prozesse bereits in großen Industriebetrieben – man spricht dann von Industrie 4.0. AK-Experte Fridolin Herkommer nennt hier zum Beispiel Infineon, aber auch die Voest, „die für 350 Millionen Euro in Kapfenberg ein neues Stahlwerk errichtet, welches bei der Digitalisierung internationale Benchmarks setzt“. In der Automobilzulieferung passiere in Sachen Digitalisierung ebenfalls viel, genauso wie im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Umwelttechnik.

Nur im guten Mittelfeld

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Dennoch bewegt sich Österreich bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich nur im guten Mittelfeld. Sieht man sich beispielsweise den Digitalisierungsindex der Europäischen Union (DESI) für 2018 an, belegte Österreich trotz des siebthöchsten Pro-Kopf-Einkommens in der EU nur den elften Platz. Der direkte Beitrag von Kapitalleistungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug hierzulande 2017 0,37 Prozentpunkte.

Mit diesem Wachstumsbeitrag lag Österreich unter 35 Vergleichsländern am 15. Rang. Bei der Integration digitaler Technologien in Unternehmen sieht es etwas besser aus: Hier erreichte Österreich im Jahr 2017 beim EU-Digitalisierungsindex Rang zehn unter den EU-28. Gute Plätze in den einzelnen Untergruppen des DESI erzielte Österreich bei der Qualifikation – im Kapitel Humankapital lag es auf Platz sieben – und bei den öffentlichen Diensten – hier lag Österreich auf Rang acht.

Übersehener Mehrwert

Kleinere Betriebe sehen oft den Mehrwert der Digitalisierung nicht.

Fridolin Herkommer, AK Wien

Das insgesamt dennoch mittelmäßige Abschneiden ist laut einer WIFO-Studie aus dem August 2018 vor allem auf den schwach entwickelten Bereich E-Commerce in Klein- und Mittelbetrieben (KMU) zurückzuführen. Die Umsatzanteile von KMUs im Online-Handel liegen deutlich unter dem Durchschnitt der EU-28. „Den kleineren Betrieben fällt es im Gegensatz zu Großunternehmen schwerer, Digitalisierung einzusetzen, sie sehen oft nicht, worin der Mehrwert bestehen kann, und tun sich mit den entsprechenden Investitionen schwerer“, erklärt Herkommer.

Beispiel

Ein Motorradhersteller, der sowohl die Datenströme von Zulieferern als auch von KäuferInnen in seine Analysen einbezieht, erfährt nicht nur, wann ein Ersatzteil genau eintrifft. „Der Betrieb kann dann etwa auch sehen, dass ein Motorrad, das für die Kurzstrecke konstruiert wurde, von den KonsumentInnen hauptsächlich für lange Ausflüge eingesetzt wird.“ Solche Erkenntnisse können in die Weiterentwicklung von Produkten miteinfließen.

Sehr stark sei in Österreich der Kommunikationstechnologiesektor (KT), „da wurde viel und sehr früh in Digitalisierung investiert“. Der Informationstechnologiesektor (IT) sei dagegen erst jetzt im Aufholen begriffen. Den Grund dafür sieht Herkommer in dem Umstand, „dass die ÖsterreicherInnen und die österreichischen Unternehmen zurückhaltend sind, wenn es um den Einsatz und die Nutzung neuer digitaler Dienstleistungen geht“. Gerade im Software-Bereich müssten die Investitionen am stärksten steigen, um Digitalisierung voranzutreiben.

Stichwort „Cloud Computing“. Nur 17 Prozent der heimischen Unternehmen nutzten diese Technologie laut OECD-Daten aus dem Jahr 2016, damit lag Österreich in einem Vergleich von 27 Ländern nur auf Platz 20. „Unternehmen, aber auch private NutzerInnen sind bei neuen Diensten traditionell zurückhaltend“, sagt Herkommer. Im Vordergrund stünden dabei Sicherheitsbedenken. „Man hat die Sorge, dass man mit den Daten Betriebsgeheimnisse an einen Ort stellt, an dem man sie nicht mehr kontrollieren kann.“ Cloud Computing ermögliche aber viele Echtzeitdatenauswertungen, was Digitalisierung ausmache. „Es geht ja darum, dass ich nicht nur die Daten in meinem Unternehmen erhebe, sondern sie mit anderen verknüpfe.“

Übervorsichtig

Vorreiter sein versus abwartende Haltung: Langfristig werden Unternehmen am Cloud Computing trotz aller nachvollziehbarer Sicherheitsbedenken nicht vorbeikommen. Microsoft bietet zum Beispiel für sein Office-Programm 365 bereits das System Delve an. Damit werden etwa Word- oder Excel-Dateien nicht mehr wie bisher in individuell angelegten Ordnern und Unterordnern auf dem betriebseigenen Rechner oder Computer-Netzwerk gespeichert, sondern in der Cloud. „Ich gebe dann wie in einer Suchmaschine nur mehr einen Begriff ein, und das Programm gibt mir das gewünschte Dokument“, so Herkommer. „Um mir das richtige vorschlagen zu können, müsste man aber alles, was man an Expertise hat, Microsoft im Volltext zur Verfügung stellen.“

Machtkonzentration

Microsoft hat auf die auch im Nachbarland Deutschland herrschende Skepsis gegenüber solchen Lösungen bereits mit dem Modell der „Germany Cloud“ rea­giert. „Die Daten sind zwar auch hier weltweit abrufbar, da die Cloud nicht geografisch begrenzt ist, aber sie unterliegen deutschem Recht“, erklärt der AK-Experte. Damit gebe es mehr Rechtssicherheit, vor Hackerangriffen schützt das freilich nicht.

Auch Microsoft selbst könnte mit den Daten dann theoretisch x-beliebige Metaanalysen betreiben. Insgesamt verändere die Digitalisierung die Struktur der Wirtschaft sehr stark. Das betreffe einerseits Standortentscheidungen: Neue Jobs im Digitalbereich entstehen weltweit – und auch in Österreich – vor allem in den Städten. Herkommer verweist hier zum Beispiel auf Amazon, das eine seiner neuen Zentralen in New York errichtet.

Andererseits führen die Digitalisierung und die ihr inhärenten Netzwerkeffekte zu einer starken Machtkonzen­tration.
Andererseits führen die Digitalisierung und die ihr inhärenten Netzwerkeffekte zu einer starken Machtkonzen­tration. „Anfangs dachte man ja, die Internetwirtschaft führe zu Dezentralisierung und kollaborativer Innovation“, so Herkommer. Doch das habe sich nicht bewahrheitet. „Die Dinge, die wir nutzen, sind in den Händen weniger.“ Als Beispiele nennt der AK-Experte Google, Amazon und Facebook.

Ein europäisches Amazon oder ein neues Facebook aufzubauen, hält Herkommer für eine gewagte Herangehensweise. Und: „Österreich ist kein Standort, der über den Preis gewinnen kann, sondern nur durch Qualität und Innovationskraft.“ Es braucht also etwas mutigere Investitionen, wenn es um Digitalisierung geht, und das vor allem im Bereich der KMU. Nötig sei das Entwickeln von Software. Bei der für Digitalisierung ebenfalls relevanten Forschung und Entwicklung lag Österreich laut Statistik Austria im Vorjahr mit einer F&E-Quote von 3,2 Prozent knapp hinter Schweden bereits an der europäischen Spitze.

Grenzen der Standardlösungen

Wenn es um Software geht, braucht es zunehmend individuelle Lösungen für den einzelnen Betrieb.
Wenn es um Software geht, braucht es zunehmend individuelle Lösungen für den einzelnen Betrieb, erklärt Herkommer. Selbst die kaufmännische Unternehmenssoftware SAP müsse inzwischen stark für das jeweilige Unternehmen adaptiert werden. Das wiederum bringt hohe Kosten mit sich. „Standardlösungen stoßen generell an ihre Grenzen.“ Das betrifft auch den wichtigen Bereich Weiterbildung. Es gebe im Bereich Digitalisierung nicht den einen Kurs für alle. Auch hier müssten Betriebe Geld in die Hand nehmen und ihre MitarbeiterInnen für den jeweiligen Einsatzbereich im Unternehmen schulen.

MitarbeiterInnen mitnehmen

Wir müssen für den Umgang mit der immer größer werdenden politischen und wirtschaftlichen Macht der Digitalwirtschaft Instrumente finden.

Fridolin Herkommer, AK Wien

Konkrete Zahlen zum Investitionsbedarf kann Herkommer nicht nennen: „Investitionen in Digitalisierung zu messen und über Länder und Branchen miteinander zu vergleichen ist derzeit noch sehr schwierig. Die Digitalisierung lässt sich nicht auf IKT-Ausgaben reduzieren, und eine klare Abgrenzung, was Digitalisierungskomponenten sind und was nicht, ist nicht immer einfach“, so der AK-Experte. Fest stehe allerdings: Der Wandel, den die Digitalisierung bedeute, müsse gelingen und dabei gelte es, MitarbeiterInnen genauso mitzunehmen wie kleinere Unternehmen. „Wir müssen für den Umgang mit der immer größer werdenden politischen und wirtschaftlichen Macht der Digitalwirtschaft Instrumente finden.“

Weitere Informationen:
WIFO-Themenplattform „Digitalisierung“
tinyurl.com/ycehx8a4

Von
Alexia Weiss

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/19.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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