Digital Pioneers: Mehr Frauen für die Digital-Branche
In Österreich fehlen aktuell 20.000 Fachkräfte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). In den kommenden fünf Jahren könnte diese Zahl auf 30.000 ansteigen, wie der IKT-Statusreport belegt. Zu diesem Mangel tragen auch die hohen Dropout-Quoten an den Universitäten und Fachhochschulen bei. Die Hälfte aller Studierenden beendet ihr begonnenes Studium nicht.
Entsprechend lang und prominent ist die Liste der Unterstützer von Digital Pioneers. Die Plattform Industrie 4.0 Österreich koordiniert das Projekt, das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) finanziert es mit einer halben Million Euro. Im Westen gibt es außerdem die „Digital Pioneers Schecks“ der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). In Oberösterreich unterstützt das Arbeitsmarktservice (AMS) die Initiative.
Digital Pioneers Benachteiligung von Frauen entgegenwirken
Weil technologisch-digitale Berufe sehr männlich geprägt sind, entstehen Vorurteile und der Zugang zu diesen Branchen wird für Frauen erschwert. „In unserer Gesellschaft werden Frauen und queere Menschen immer noch strukturell benachteiligt. Der Zugang zu digitalen Kompetenzen und Endgeräten ist ungleich verteilt, Frauen verdienen weniger, übernehmen aber einen Großteil der unbezahlten Sorgearbeit. Fragen nach Zugang zu digitalen Berufen sind immer auch Fragen nach Gleichstellung im Allgemeinen“, sagt Elisabeth Lechner. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und Referentin für Digitales in der AK Wien. Digital Pioneers kann so helfen, die strukturelle Benachteiligung von Frauen zu bekämpfen.
Dabei beweist Digital Pioneers, dass die Skills der Frauen in digitalen Berufen genauso ausgeprägt sind wie die der Männer. 29 Frauen im Alter zwischen 17 und 27 Jahren haben den ersten Jahrgang des Programms abgeschlossen. „Das Pilotprojekt hat gezeigt, dass das Programm sowohl von den jungen Frauen als auch von den Unternehmen sehr gut angenommen wird. Mehr als die Hälfte der Pionierinnen konnte ihre Karriere in den teilnehmenden Unternehmen fortsetzen. Weitere Absolventinnen haben sich für eine technische Aus- und Weiterbildung entschieden“, sagt Jasmina Schnobrich. Sie ist Senior Projektmanagerin der Plattform Industrie 4.0 Österreich.
Eine Digital Pioneer aus Innsbruck
Eine Absolventin des ersten Jahrgangs ist Esma Sahan aus Tirol. Sahan schloss im Jahr 2020 ihr Bachelorstudium in Erziehungs- und Bildungswissenschaften erfolgreich ab und arbeitete als Pädagogin im Bereich der digitalen Sprachentwicklung. Dann hörte sie vom Projekt Digital Pioneers. „Während meiner Tätigkeit stieß ich eines Tages auf einen Zeitungsartikel über Digital Pioneers und war sofort begeistert von der Möglichkeit, mich diesem Projekt anzuschließen. Die Chance, eine digitale Ausbildung zu erhalten und gleichzeitig ein bezahltes Praktikum absolvieren zu können, war für mich äußerst attraktiv“, sagt Sahan.
Das Praktikum absolvierte die Tirolerin bei der Werbeagentur FACTOR in Innsbruck, blieb dort im Anschluss als Projektmanagerin und wechselte dann als IT-Projektmanagerin an die Medizinische Universität in Innsbruck. Mittlerweile ist Sahan von Innsbruck nach Wien übersiedelt, um noch ein weiteres Studium in Angriff zu nehmen.
„Aufgrund meines bevorstehenden Astronomiestudiums im Oktober habe ich meinen Wohnort nach Wien verlegt und werde meine Tätigkeit in der digitalen Branche fortsetzen. Es ist mein Ziel, während meines Studiums weiterhin aktiv in diesem Bereich tätig zu sein“, so die Neu-Wienerin. Digital Pioneers hat Sahan mittlerweile auch schon vielen anderen Frauen weiterempfohlen, von denen sich manche für das Projekt angemeldet haben. „Meiner Ansicht nach sind gerade wir jungen Frauen die besten Vorbilder für andere junge Frauen. Daher glaube ich fest daran, dass Mentoring-Projekte im schulischen Bereich äußerst hilfreich sein können“, ist Sahan überzeugt.
Neue Vorbilder und Multiplikatorinnen
Dass man weibliche Vorbilder benötigt und auch früh ansetzen sollte, ist auch die Ansicht von Andrea Koscher vom BFI Oberösterreich. Koscher ist zuständig für frauenspezifische Förderprogramme wie Digital Pioneers und Ada & Florence. „Es gibt viele Frauen, die höchste Kompetenz beispielsweise im Programmieren besitzen und ihren Karriereweg machen. Sie müssen nur verstärkt vor den Vorhang geholt werden, als Role Models Vorbildwirkung erzeugen und damit ermutigen, den Weg in technologische Berufe einzuschlagen“, so Koscher.
Mädchen früh ermutigen, Technik auszuprobieren, zu experimentieren und zu forschen, ist ebenfalls ein äußerst wichtiger Punkt, um technologisch-digitale Berufe weiblicher werden zu lassen. „Das beginnt durch die Sozialisierung in der Familie über den Kindergarten bis zur Schule. Hier werden die Grundsteine gelegt für den Zugang und Umgang mit Technologie und generell die Haltung gegenüber Neuem und Unbekannten“, sagt Koscher.
Mehr Innovation durch mehr Frauen
Damit Frauen vermehrt Ausbildungen für digitale Berufe machen, braucht es mehr Frauen in Führungspositionen. Hier sind speziell die zahlreichen männlichen Vorgesetzten gefragt, die diesen Wandel fördern und ermöglichen müssen. Gemischte Teams kommen zu anderen Lösungsansätzen als rein männliche. „Jedes Projekt kann durch die Einbringung einer weiblichen Sichtweise gewinnen. Der Zugang zur Problemlösung sollte grundsätzlich holistischen Charakter haben. Der Output wird qualitativ steigen, je heterogener das Team und die dadurch eingebrachten Sichtweisen sind. Nur so können innovative Lösungen entstehen“, meint Koscher.
Ähnlich argumentiert Lechner von der AK Wien. Auch sie wünscht sich mehr Vielfalt in technologisch-digitalen Berufen. „Für ein respektvolles Miteinander braucht es nicht nur starke, durchsetzungsfähige Frauen. Sondern vielmehr auch die Vermittlung des Werts von Vielfalt und Inklusion sowie ein modernes Verständnis von Männlichkeit, das Verletzlichkeit und Kommunikation auf Augenhöhe in den Fokus stellt“, so die Kulturwissenschaftlerin.
Die Barrieren müssen endlich weg: Noch immer schrecken Frauen vor technischen Lehrberufen zurück. Unser Rollenverständnis geht nämlich nach wie vor von klassischen Frauen- und klassischen Männerberufen aus. Und das im Jahr 2023.https://t.co/AmOx4ATWZp
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) May 26, 2023
Digital Pioneers wird fortgesetzt
Die Digital Pioneers gehen dieses Jahr in eine weitere Runde. Ab Oktober werden in Oberösterreich und Tirol zwölf Plätze und in Vorarlberg zehn Plätze zur Verfügung stehen. Und die Plätze sind begehrt. „Es gibt bereits doppelt so viele Bewerberinnen auf die zur Verfügung stehenden Plätze. Das Interesse ist groß“, so Senior Projektmanagerin Schnobrich.
Auch zwei weitere Bundesländer stehen bereits in den Startlöchern zu Digital Pioneers. „Wir können eine starke Nachfrage seitens der Unternehmen in der Steiermark verzeichnen und sehen auch ein Interesse am Programm in Wien. Unser Ziel ist es, das Programm für 2024, neben Tirol, Oberösterreich und Vorarlberg, auf Steiermark und Wien zu erweitern“, sagt Schnobrich.