Arbeit&Wirtschaft: Frau Mader, was ist gesellschaftlich relevante Arbeit?
Katharina Mader: Das ist gar nicht so klar definiert. Die Pandemie hat uns aber gezeigt, welche Jobs systemrelevant sind. Das sind alles Berufe, die mit dem Wohlergehen von Menschen, der Infrastruktur, der Sicherheit und der Gesundheit zu tun haben. Menschen sind davon abhängig, dass andere diese Berufe ausüben. In der Ökonomie wird das oft als „kritische Infrastruktur“ zusammengefasst. Gesellschaftlich wesentlich sind die sogenannten Care-Bereiche: Kinderbetreuung, Pflegetätigkeiten, Schule und Freizeitpädagogik, soziale Arbeit und Behindertenarbeit – alles Bereiche, wo es um das gute Leben für die Menschen geht.
Bringt der demografische Wandel auch Jobchancen?
Wir haben immer wieder die Diskussion: Brauchen wir Wachstum, und wie viel Wachstum verträgt unser Planet noch? Wir müssen Wachstum überdenken, wir haben planetare Grenzen für die Produktion. In Anbetracht der demografischen Entwicklung und der alternden Gesellschaft wird aber der Bedarf an Personal in etlichen Branchen wachsen: Bis zum Jahr 2030 werden wir aufgrund von Pensionierungen rund 51.000 Pflegekräfte brauchen. Uns fehlen außerdem extrem viele Elementarpädagog:innen. Nur ein Drittel jener, die die entsprechenden Ausbildungen machen, ergreift dann auch den Beruf. Wir können jetzt zwar Mangelverwaltung betreiben, wenn wir aber die Qualität verbessern wollen, müssen wir ausbauen.
Was auffällt: Das sind alles frauendominierte Berufe. Warum ist das so?
Das resultiert daraus, dass Frauen diese Tätigkeiten früher unbezahlt im Haushalt verrichtet haben. Diese und andere Bereiche sind in der Bildungs- und Beschäftigungsexpansion von Frauen in bezahlte Berufe umgewandelt worden. Weil Frauen diese Arbeiten ohnedies im Haushalt verrichten, machen sie es auch im bezahlten Bereich.
Sind diese Jobs gesellschaftlich und finanziell ausreichend anerkannt?
Diese Berufe haben eines gemeinsam: Sie werden systematisch abgewertet. Sie werden wirtschaftlich abgewertet, was völlig abstrus ist, wenn man bedenkt, dass sie unser Leben am Laufen halten. Weil Frauen eben auch im Haushalt unbezahlte Care-Arbeit leisten, haben sie eine schwierige Situation bei Arbeitskämpfen, weil es ganz viele Frauen gibt, die die Arbeit im Notfall auch unbezahlt machen (müssen). In der Pandemie ist das wahr geworden: Als Kindergärten und Schulen zusperrten, sprangen Frauen ein und arbeiteten unbezahlt.
Sollten Frauen streiken, um etwas zu verändern?
Das ist eine Variante. Wir haben in Island und der Schweiz gesehen, dass Frauenstreiks etwas bewirken können. Es gab ein großes Solidaritätspotenzial zwischen Frauen, die Care-Arbeiten bezahlt oder unbezahlt verrichten. Wesentlich wäre es, insgesamt hinzuschauen und zu erkennen, wie wichtig diese Berufe und die unbezahlte Arbeit für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind. Unbezahlte Arbeit macht etwa 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Über die Kollektivverträge hinaus könnten Unternehmen außerdem Diskussionen darüber anstoßen, was gleiche bzw. gleichwertige Arbeit ist und ob das wirklich gleich bezahlt wird.
Wir haben viele Berufe, in die eine Menge Geld fließt und die vielleicht einen finanziellen Mehrwert schaffen. Wo wir aber keinen gesellschaftlichen Mehrwert sehen, da muss eine Umverteilung gesamtgesellschaftlich angegangen und auch in Unternehmen angestoßen werden.
Welche politischen Maßnahmen würden Sie vorschlagen, um die Bedeutung gesellschaftlich notwendiger Arbeit hervorzuheben?
Man könnte viel mit Sensibilisierungs- und Kampagnenarbeit erreichen. Das Klatschen auf den Balkonen in der Pandemie war ein Ausdruck dessen. Man muss nur darauf achten, dass man diese Sensibilisierung institutionalisiert und nicht verpuffen lässt, wie es in der Pandemie geschehen ist. Viele dieser Berufe werden im staatlichen Kontext oder Umfeld ausgeübt. Das geschieht zum Beispiel in öffentlichen Kindergärten oder auch in Institutionen wie der Volkshilfe oder der Caritas, die vom Staat Förderungen beziehen. Der Staat ist also Finanzier all dieser Arbeiten und könnte als solcher sagen: „Es ist es uns wert, dass wir diese Berufe aufwerten. Deshalb investieren wir hier groß.“ Das wäre im Sinne der ökologischen und gerechten Transformation.
Sehen Sie eine Chance, dass das in naher Zukunft geschieht?
Nein – grundsätzlich nicht und schon gar nicht angesichts der sich gerade verschiebenden politischen Machtverhältnisse. Schlimmer noch: Ich habe das Gefühl, dass wir Anfang der 2000er-Jahre weiter waren und dass konservative und rechte Parteien Gleichstellung nicht als einen Wert sehen.
Apropos Transformation: Wenn es um zukünftig relevante Arbeiten geht, fällt immer wieder das Schlagwort „Green Jobs“. Stecken da nicht auch Profitmaximierung und „Greenwashing“ dahinter?
Sowohl bei der Care-Arbeit als auch bei „Green Jobs“ ist ein wesentliches Thema: Wie sehr lasse ich private Unternehmen da rein und erlaube es ihnen, Profite zu machen? Es braucht ein fixes Regelwerk und staatliche Subventionierungen mit Auflagen, um „Greenwashing“ zu verhindern. Diese Regelungen müssen gar nicht nur die Unternehmensebene betreffen. Es braucht einen gesellschaftlichen und demokratischen Konsens darüber, welche Berufe wir jetzt brauchen, weil wir uns in einer Transformation befinden. Man müsste mit Beschäftigungs-, Aus- und Weiterbildungsgarantien arbeiten, um Branchen gezielt zu fördern und auch für jene Strategien zu entwickeln, die sich verändern werden. Der Tourismus zum Beispiel wird zukünftig wohl anders aussehen. Die Transformation betrifft nicht nur die Industrie. In vielen Branchen wird es tiefgreifende Veränderungen geben.
Wie wird die Aus- und Weiterbildung bei gesellschaftlich relevanten Berufen in Zukunft aussehen?
Katharina Mader: Wer in der Kinderbetreuung oder Pflege arbeitet, verdient mehr, wenn er gut ausgebildet ist. Zusätzlich wird dann auch die Arbeit besser. Wir brauchen deshalb viel Weiterbildung, am besten staatlich reguliert, und der Arbeitsmarktservice muss aufhören, Menschen so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen. Gerade wenn sich der Arbeitsmarkt verändert, müssen die Menschen sicher sein, dass sie nicht zurückgelassen werden. Jede:r muss das Recht auf Weiterbildung und auf zusätzliche Qualifikationen haben.
Wie wird die Digitalisierung gesellschaftlich relevante Arbeit verändern?
Katharina Mader: Bei Dienstleistungen wie der Pflege wird oft befürchtet, dass Roboter alles übernehmen und uns zum Beispiel heben oder tragen. Das ist aber relativ unwahrscheinlich. Eher werden diese Tätigkeiten erleichtert, wie es heute schon durch Hebevorrichtungen der Fall ist.
In anderen Bereichen fehlt es währenddessen oft an Einschulungen und die Digitalisierung macht deshalb auch nichts einfacher. Zum Beispiel, wenn ganz ohne Einschulung Pflegepläne nicht mehr händisch, sondern am Tablet erstellt werden müssen. Oder wenn Lagerarbeiten plötzlich am Computer erledigt werden müssen. Die Menschen müssen erst an die digitalen Aufgaben herangeführt werden, sonst macht die Digitalisierung auch nichts besser.
Wie sieht es mit Geschlechtergerechtigkeit aus?
Wenn es um Geschlechtergerechtigkeit und Digitalisierung geht, zeigt die Forschung, dass die Digitalisierung allein nichts verbessert, sondern vielmehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist. Wenn diese sexistisch oder rassistisch ist, wird auch die Digitalisierung so sein. Wir müssen diese Probleme in unserer Gesellschaft an der Wurzel packen. Erst dann kann Digitalisierung gerecht werden.
Zusammengefasst, wie viel unbezahlte Arbeit an Frauen picken bleibt vom Kindesalter bis zur Pension 👇 pic.twitter.com/H3ZfC0Cdgy
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) March 4, 2024
Welche „Green Jobs“ werden zukünftig wichtiger?
Wichtig sind hier unter anderem Berufe in der Industrie, die mehr auf Kreislaufwirtschaft und Recycling angelegt sind. Davon werden wir abhängig sein. Die Bahn-Infrastruktur wird ebenfalls viele „Green Jobs“ haben, auch Berufe im zwischenmenschlichen Bereich verursachen kaum Emissionen.
Was sind zum Beispiel relevante Jobs in der Kreislaufwirtschaft?
Das fängt wohl damit an, dass man Sachen produziert, die keine Sollbruchstellen mehr haben. Die Firmen werden nicht mehr nur produzierend, sondern auch servicierend sein. Dann hat jeder Hersteller auch Reparatur- und Servicepersonal, das in regelmäßigen Abständen kommt und zum Beispiel die Waschmaschine repariert.
Gerade in der Kreislaufwirtschaft ist es auch vorstellbar, dass man nicht jedes Gerät selbst kaufen muss. Man könnte es mieten, und dann wird serviciert. Mit Reparatur und Instandhaltung kann sehr viel erhalten bleiben. Mit Kreislaufwirtschaft kann auch sehr viel Industrie wieder zurückgeholt werden. Es ist nicht ökologisch, wenn ein Tablet oder Handy in Asien produziert und dann zu uns verschifft wird. Der demografische und ökologische Wandel kann ein Anstoß sein, wieder hinzuschauen und zu sagen: „Diese Berufe brauchen wir!“