Die (r)eine Lehre

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Mehr Perspektiven in der Ökonomie abseits der „Neoklassik“ werden nicht nur in Österreich gefordert, sondern weltweit an zahlreichen Unis.

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Seit Jahren fordern Organisationen mehr Vielfalt in der Volkswirtschaftslehre. Doch der Trend geht eher in die andere Richtung.
Man stelle sich vor, für einen Studienabschluss im Fach Psychologie wäre es ausreichend, nur über Freud und seine Theorien Bescheid zu wissen, oder an der Fakultät für Politikwissenschaft würde hauptsächlich Leninismus unterrichtet. Für viele Studierende und AbsolventInnen ist die Situation in Ökonomie- und Volkswirtschaftslehre durchaus mit einem solchen Szenario vergleichbar, denn die Bandbreite an Denkschulen wurde in den vergangenen Jahren eher verkleinert als erweitert. „Historisch gesehen nimmt die Vielfalt der an VWL-Instituten gelehrten Theorien und Methoden ab. Die Neoklassik hat im letzten Jahrhundert erfolgreich die Rolle als dominanter theoretischer Ansatz an den Universitäten eingenommen.“ So beschrieben 2014 die AutorInnen der Gesellschaft für Plurale Ökonomik im A&W-Blog die Monokultur an den Universitäten. Pluralismus würde bedeuten, Ideen kritisch und reflexiv miteinander zu vergleichen. Während in anderen Disziplinen Vielfalt selbstverständlich sei und sich widersprechende Theorien als gleichberechtigt gelehrt würden, werde die Volkswirtschaftslehre häufig dargestellt, als gäbe es nur eine theoretische Strömung mit eindeutigem Erkenntnisstand.

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Ideenrevival

Viele Ansätze, die vor der Krise weitgehend ignoriert wurden, wären heute (wieder) aktuell, beispielsweise die Finanzinstabilität nach Hyman Minsky. Dessen Thesen zufolge treten Finanzkrisen trotz boomender Wirtschaft auf. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass die Finanzierungsprozesse einer kapitalistischen Ökonomie endogene destabilisierende Kräfte entwickeln. Ein weiterer interessanter Ansatz wäre die Schuldendeflation nach Irving Fisher, der überzeugt war, dass die Große Depression 1933 durch die Auswirkungen der Deflation auf die Einkommen und Kreditschulden ausgelöst worden war.

Was hat sich seit 2014 verändert? „Leider ist nicht wirklich viel passiert. Es geht tendenziell eher in die andere Richtung“, berichtet ein Gründungsmitglied der Gesellschaft für Plurale Ökonomik, das namentlich nicht genannt werden möchte. „Wahlfächer mit eher heterodoxen, also von der allgemeinen Lehrmeinung abweichenden Inhalten, finden immer weniger Platz in den unterschiedlichen Curricula. Auch die verpflichtenden Kurse haben sich nicht großflächig und grundlegend geändert.“ Eine Kollegin nennt konkrete Beispiele: „An der WU kommt etwa Minskys Theorie zur Finanzmarktstabilität nur in einem Wahlfach vor. Nun wird ausgerechnet dieser Kurs gekürzt und nur noch einmal jährlich anstatt einmal pro Semester angeboten. Dabei hätte es hier gerade eine große Gelegenheit gegeben, im Zuge der Masterstudienplanreform das Curriculum an der WU anzupassen. Leider wurden die von der Masterstudienvertretung in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Plurale Ökonomik ausgearbeiteten Reformvorschläge und die Einwände einer externen Evaluierungskommission nicht berücksichtigt.“ Somit sei die Lehre weder realitätsnäher noch vielfältiger geworden. Im Gegenteil, durch die Schaffung des Science Tracks, eines „Fast Tracks“ zum PhD, der als Prestigeprojekt betrachtet wird, werde die wissenschaftliche Notwendigkeit einer mathematischen Formalisierung der VWL vorangetrieben und zusätzliches Gewicht auf quantitative Methoden gelegt.

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