Das Arbeitsverfassungsgesetz räumt BetriebsrätInnen zwar Beratungsrechte ein, das allein reicht aber nicht aus, um zu einem wirkungsvollen Player zu werden. Denn es fehlt das mächtigste Mitbestimmungsinstrument: die erzwingbare Betriebsvereinbarung. Deshalb muss die Mitwirkung über Umwege versucht werden, zum Beispiel über die Nutzung anderer Regulative. Weitgehend unbekannt ist, dass der Kollektivvertrag für Angestellte der Elektro- und Elektronikindustrie für Aus- und Weiterbildung pro Kalenderjahr eine Dienstfreistellung im Ausmaß ihrer wöchentlichen Normalarbeitszeit vorsieht – und zwar sogar bei Fortzahlung des Entgelts. Sowohl die Beschäftigten als auch der Betriebsrat haben damit ein starkes Druckmittel, Weiterbildung auch aktiv einzufordern. Kommt es nämlich auf individueller Basis zu keiner Einigung über die Bildungsmaßnahme, so ist der Betriebsrat beizuziehen. Umgekehrt bietet diese Regelung eine sehr gute Grundlage, dass die Belegschaftsvertretung das Gesetz des Handelns selbst in die Hand nimmt. Bei der Firma Siemens AG beispielsweise wurden auf Initiative des Betriebsrats eigene Schulungsmaßnahmen entwickelt. Unter Nutzung des BFI-Programms „Chancen durch Bildung“ konnte die betroffene Bereichsleitung des Unternehmens dafür als strategischer Partner gewonnen werden.
Eine andere Mitwirkungsmöglichkeit bietet das kürzlich in Kraft getretene Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz. Dieses sieht für Großunternehmen, die an der Börse notieren, sowie für große Banken und Versicherungen ab dem Geschäftsjahr 2017 eine Berichtspflicht über nicht finanzielle Indikatoren vor. Im Regelfall müssen sie also auch über die Weiterbildungsaktivitäten des Unternehmens berichten, zum Beispiel gemessen an der durchschnittlichen jährlichen Stundenzahl für Aus- und Weiterbildung pro MitarbeiterIn, gegliedert nach Geschlecht und MitarbeiterInnenkategorie. Nach ersten Schätzungen werden zwar nur etwa 125 Unternehmen von dieser Berichtspflicht betroffen sein, es darf aber angenommen werden, dass diese Vorbildwirkung haben. Auf Basis einer hieb- und stichfesten betrieblichen Weiterbildungsbilanz können Betriebsräte ihre Rechte nach dem Arbeitsverfassungsgesetz natürlich ganz anders wahrnehmen.
Solidarische Weiterbildung
Weiterbildung kann aber auch anders verstanden werden: nicht nur als Pflege des individuellen Humankapitals, um die Wettbewerbsfähigkeit und die eigenen Beschäftigungschancen zu verbessern, sondern auch als Resultat eines Erfahrungsaustausches, in dem Wissen geteilt wird. Schließlich ist Wissen jene Ressource, die durch Teilen reicher statt ärmer macht. Eine geeignete und simple Methode dafür sind die sogenannten Communities of Practice (CoP). Dabei handelt es sich um Foren, in denen sich die Mitglieder zu einem brennenden Thema austauschen. So profitieren sie wechselweise und haben möglicherweise auch praktische Tipps für andere parat.
Runde Tische als Einstieg
Wollen BetriebsrätInnen damit arbeiten, so empfiehlt sich ein möglichst niederschwelliger Einstieg. Zum Beispiel lassen sich „runde Tische“ organisieren, bei denen sich die MitarbeiterInnen in der Freizeit über private Initiativen austauschen. Beim Österreichischen Austauschdienst unterhielten sich die KollegInnen beispielsweise über die Sozialpartnerschaft, soziale Projekte, aber auch über Urban Gardening. Dieses Format muss sich aber nicht auf persönliche Interessen beschränken, denn was sollte dagegensprechen, auch unternehmensbezogene Themen zum Gegenstand der Unterhaltung zu machen? Und wer weiß, vielleicht kann damit sogar von ArbeitnehmerInnenseite eine erste Saat zu einer „lernenden Organisation“ gesät werden.
Viele Ideen
Communities of Practice als Trägerrakete für das „lernende Unternehmen“, noch dazu angeregt von Belegschaftsvertretungen: Das wäre natürlich ein Traum. Die Realität schaut anders aus: Das Arbeitsverfassungsgesetz räumt BetriebsrätInnen in Angelegenheiten der betrieblichen Weiterbildung zwar zumindest Konsultationsrechte ein, diese werden aber viel zu selten in Anspruch genommen. Auch aus dem Nachhaltigkeitsverbesserungsgesetz und von Kollektivverträgen lassen sich Gestaltungsmöglichkeiten ableiten. Derzeit ist dies allerdings noch kaum auf der Agenda von BetriebsrätInnen, was einerseits mit der mangelnden Priorität und andererseits mit der fehlenden organisationalen Verankerung zusammenhängen mag. Ideen gibt es viele, deshalb gibt es auch viel zu tun.
AK-Studie zu betrieblicher Mitbestimmung
Ulrich Schönbauer
Abteilung Betriebswirtschaft der Arbeiterkammer Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/18.
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