Die neuen Klassenkämpfe

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Die neuen Klassenkämpfe.
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Inhalt

  1. Seite 1 - Unten gegen unten
  2. Seite 2 - Gewerkschaften unter Druck
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"Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen." (Warren Buffett, 2006)
Nicht erst seit dem Beschluss des 12-Stunden-Tages sind GewerkschafterInnen mit einem „Klassenkampf von oben“ konfrontiert. Was etwa Thomas Piketty zum Thema der Entwicklung bzw. Polarisierung globaler Ungleichheit als langfristige Entwicklung dokumentiert hat, hält auch der Ökonom und Gewerkschafter Fritz Schiller für Österreich fest: „Seit Jahrzehnten haben sich die Machtverhältnisse schrittweise in Richtung Arbeitgeber verschoben.“ Als Indiz dafür führt er die sinkende Lohnquote an; diese ist seit 1975 um mehr als zwölf Prozentpunkte auf 63,2 Prozent gefallen. Auch die Ergebnisse der Lohnverhandlungen sind für ihn ein Anhaltspunkt: „Gemessen an der produktivitätsorientierten Lohnpolitik (auch bekannt als Benya-Formel), verloren die Arbeitnehmer seit 1975 mehr als 18 Punkte (gemessen am Tariflohnindex).“ Das ernüchternde Fazit: Die gesamtwirtschaftliche Produktivität ist zwar gestiegen, doch dieses Wachstum „kam selten den Arbeitnehmern zugute“. Für Schiller bedeutet die aktuelle Regierung deshalb nicht erst einen Beginn des „Klassenkampfes von oben“, sondern vielmehr eine „Verschärfung“.

Unten gegen unten

Begleitend dazu wird auf ideologischer Ebene ein weiterer Klassenkampf durch das (Er)Finden bzw. Forcieren alter und neuer Sündenböcke geführt. Sein Motto lautet „unten gegen unten“. Ein Musterbeispiel dafür bot jüngst die Debatte rund um die Kürzungen des AMS und die „Reform“ der Mindestsicherung. „Es kann nicht Aufgabe der Allgemeinheit sein, die zu finanzieren, die sich mit Ausreden beim AMS durchschummeln“, erklärte etwa Sebastian Kurz. Fast wortgleich meinte Heinz-Christian Strache dazu, dass man „Durchschummler“ nicht länger „durchtragen“ werde. Selbst der „Kurier“ rückte in seiner Berichterstattung diese Regierungspropaganda bereits durch wenige Fakten zurecht. So gab es 2016 insgesamt gerade einmal 236 „Totalverweigerer“, also Fälle, bei denen das Arbeitslosengeld komplett gestrichen wurde. Das Arbeitslosengeld wird durchschnittlich dreieinhalb Monate, die Notstandshilfe sechseinhalb und die Mindestsicherung für achteinhalb Monate ausbezahlt. In der Mindestsicherung erfolgt zudem bereits der viel diskutierte Vermögenszugriff bei den Betroffenen.

Die (rechts-)liberale Tageszeitung verweist aber bemerkenswerterweise auf die handfeste Ideologie in der Debatte: Der Begriff „Leistung“ stünde dabei im Vordergrund, deshalb will man – ungeachtet der Fakten – „den Druck auf Arbeitslose erhöhen“. Welche Bedeutung solche Strategien der Entsolidarisierung und Spaltung trotzdem für die Mobilisierung von WählerInnen haben können, zeigt eine Umfrage, die im Kontext der Nationalratswahl 2017 durchgeführt wurde. So forderten 76 Prozent der FPÖ-WählerInnen, 74 Prozent der ÖVP-WählerInnen, aber auch 62 Prozent aller WählerInnen, die neue Regierung möge der „Bekämpfung des Sozialmissbrauchs“ höchste Priorität einräumen. Die entsprechenden Werte liegen damit spannenderweise sogar noch vor den rechten Dauerbrennern Flucht und Migration. Gerade bei der sozialen Frage ergibt sich somit (ideologischer) Handlungsbedarf, insbesondere für die Gewerkschaften.

Buchtipp: Stefan Schmalz und Klaus Dörre: Der Machtressourcenansatz

Der zweite Aspekt dieser Klassenkampfstrategie „von oben“ besteht in der Tabuisierung jeder Form der sozialen Gegenwehr bzw. der selbstständigen Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen. Wie eine Keule wird hier dem Gegenüber der Begriff „Klassenkampf“ bei Bedarf um die Ohren geschlagen. „Klassenkämpferische Töne, wie man sie von der SPÖ außerdem nun hört, gehören eindeutig ins 19. Jahrhundert“, meinte etwa FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz im Zusammenhang mit der 12-Stunden-Debatte. Zugleich stellte er die Interessenvertretungen grundsätzlich infrage: „Individuelle Regelungen können besser sein als solche, die die Gewerkschaft ausgehandelt hat.“

Gewerkschaften unter Druck

Weitsichtig haben (nicht nur) VertreterInnen der AK ÖO bereits kurz nach Regierungsantritt ausgeführt: „Was sich durch das Programm durchzieht, ist die massive Ungleichbehandlung von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Unternehmerinteressen wird sehr viel Verständnis entgegengebracht, Arbeitnehmerinteressen werden vielfach ausgeblendet. Menschen in Notlagen (Arbeitslose, Mindestsicherungsbezieher, Migranten) werden pauschal unter Missbrauchsverdacht gestellt und mit verschärften Sanktionen bedroht.“ Und deutlich warnt man vor der – in weiteren Schritten – grundsätzlichen Existenzgefährdung für die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen: „Besonders kritisch sieht die AK, dass die Regierung durch eine – vage formulierte – ‚Angleichung‘ der Betriebsräte und die Abschaffung der Jugendvertrauensräte die Belegschaftsvertretung schwächen will. Gleichzeitig sollen wichtige Sozialpartnervereinbarungen von der Branchen- auf die Betriebsebene verlagert werden, wo die Beschäftigten von den Arbeitgebern viel leichter unter Druck gesetzt werden können. Die Sozialpartner auf überbetrieblicher Ebene werden dadurch ausgeschaltet.“ Ins selbe Horn stößt auch Fritz Schiller: „Die Abschaffung der Jugendvertrauensräte ist nur ein kleiner Puzzlestein im großen Bild: Es geht darum, die bisher erkämpften Arbeitnehmerrechte zu beschneiden, zu reduzieren, zu marginalisieren. Die Unternehmerseite hat sich in diesem Regierungsprogramm durchgesetzt. Es bleibt nur, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Lande zu raten, erstens einen Betriebsrat zu wählen, zweitens der Gewerkschaft beizutreten und vor allem drittens sich selbst zu engagieren!“

Strategiedebatte nötig

Die Gewerkschaften selbst empfinden die aktuelle Regierungspolitik somit zurecht als „Frontalangriff“, der nicht nur Unternehmerinteressen durchsetzt, sondern auch das institutionelle Mitwirken außer Kraft setzt. Auch in diesem Sinne vorausschauend mahnt etwa das bereits erwähnte Papier der AK OÖ die Regierung, die Interessenvertretungen entsprechend der sozialpartnerschaftlichen Tradition einzubinden. Doch was geschieht, wenn – wie zu erwarten – dieser Appell ungehört bleibt? Nach den Gewerkschaftsforschern Stefan Schmalz und Klaus Dörre verfügen Gewerkschaften über unterschiedliche Ressourcen der (Gegen-)Macht. Neben institutionell verbrieften Rechten und Mitwirkungsmöglichkeiten in staatlichen Institutionen sind das Ausüben von ökonomischer Macht (beispielsweise durch Streiks), ideologischer Macht (auch durch die Kooperation und Interaktion mit anderen Akteuren) sowie politischer Macht durch die eigene Mitgliederstärke und Mobilisierungsfähigkeit.

Bereits die Demonstration der 100.000 gegen den 12-Stunden-Tag zeigte exemplarisch, wie sehr sich die Koordinaten verschoben haben, weil die Regierung die Sozialpartnerschaft in diesem Fall umgangen hat. Nun müssen Gewerkschaften im Interesse der ArbeitnehmerInnen umso mehr mit anderen Mitteln um Einfluss ringen. Hoffnung in der Auseinandersetzung mit dem verschärften „Klassenkampf von oben“ gibt dabei, dass der ÖGB hier nicht nur in der Lage war, seine Mobilisierungsfähigkeit zu beweisen. Gleichzeitig hat er – zumindest periodisch – der Regierung die Meinungsführerschaft abgenommen. Ebenso können Gewerkschaften nach einer langen Durststrecke auch bezüglich der Mitgliederzahlen einen Trend nach oben verbuchen. Die Gewerkschaften haben sich vorgenommen, im Zuge der KV-Verhandlungen zurückzuholen, was vor dem Sommer durch Regierung und Industrie genommen bzw. infrage gestellt wurde. Es wird daher ein heißer Herbst, bei dem viel auf dem Spiel steht. Eine große Aufgabe also für die VerhandlerInnen aufseiten der ArbeitnehmerInnen.

Von
John Evers
Erwachsenenbildner und Historiker

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.

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