Derzeit werden am Jugend-am-Werk-Standort Lorenz-Müller-Gasse, im Auftrag des AMS Wien und den Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds, rund 30 TischlerInnen, 54 Lehrlinge im Elektro- und Elektronikbereich, 21 UhrmacherInnen und ZeitmesstechnikerInnen und rund 70 MetalltechnikerInnen ausgebildet. Zusätzliche Finanzierungsbeiträge leisten die Gewerkschaft Bau-Holz und die Produktionsgewerkschaft. Hinzu kommen 8 KöchInnen, die hier eingemietet sind und offiziell einem anderen Lehrbetrieb zugerechnet werden.
Die allerersten Lehrbetriebe öffneten im Sommer 1945 in der Hellwagstraße im 20. Bezirk und in der Hofmühlgasse im 6. Bezirk, doch beide Standorte gibt es heute nicht mehr.
Es handelt sich nicht um eine klassische Lehre, denn sie findet nicht in einem Unternehmen statt, sondern ist „überbetrieblich“ und wird vom AMS Wien finanziert. Schon seit 1961 gibt es die Einrichtung in der Lorenz-Müller-Gasse von Jugend am Werk. Hier absolvieren derzeit insgesamt rund 180 Menschen eine Lehre in verschiedenen Bereichen: Sie lassen sich zu TischlerInnen, MetallbearbeiterInnen, UhrmacherInnen, ElektrikerInnen und ElektrotechnikerInnen ausbilden und verbringen bis zu vier Jahre hier. Auch Köche und Köchinnen werden an diesem Standort ausgebildet und bekochen täglich alle Lehrlinge sowohl in der Früh als auch zu Mittag, wobei sie offiziell zu einem anderen Lehrbetrieb gezählt werden und hier als Partner agieren.
Wer hier eine Lehre absolviert, hat oft am ersten Arbeitsmarkt vergeblich nach einer passenden Lehrstelle gesucht oder war an seinem Lehrplatz nicht glücklich. So war es zum Beispiel bei Birsen Atakaya, die eine Lehre zur Speditionskauffrau nach drei Monaten abgebrochen hat: „Die Lehre hat mich nicht so interessiert, denn das ist eher ein Bürojob. Ich wollte lieber etwas Handwerkliches machen.“ Bei einem Ausflug mit einer Frauengruppe in den Lehrbetrieb Lorenz-Müller-Gasse wurde sie auf die Tischler-Lehre aufmerksam. Man absolviert sogar eine kleine Aufnahmeprüfung, bei der zum Bespiel Mathe- und Deutsch-Kenntnisse sowie logisches Denken abgeprüft werden. Birsen ist sehr zufrieden mit ihrer Wahl und wird Ende Juli ihre Lehre beenden.
Dann geht es auf Jobsuche: „Ich will im Bereich Tischlerei bleiben.“ Sie könnte sich gut vorstellen, im kreativeren Bereich zu arbeiten und Furniere herzustellen oder auch in einem Restaurationsbetrieb zu arbeiten. Da Birsen auch ein Praktikum in einem Tischlereibetrieb gemacht hat, weiß sie schon, wie es dort zugeht und dass man dort oft unter größerem Druck steht als im Lehrbetrieb: „Es ist etwas schwieriger und strenger und man hat mehr Zeitdruck.“ Dennoch freut sie sich auf die Herausforderung und hofft, eine gute Arbeitsstelle zu finden.
Erfolgserlebnisse, die stolz machen
Sebastian Altmann, der wie Birsen im dritten Lehrjahr ist, hat sich bei mehreren Firmen beworben und kam auch immer bis zum Bewerbungsgespräch, hat aber letztlich keine Lehrstelle gefunden. Sein Vater hatte die Idee, dass sich Sebastian bei Jugend am Werk bewerben könnte. Es klappte und Sebastian hat hier schon einige Erfolgserlebnisse gehabt: So konnte er ein Praktikum beim Betrieb des Innungsmeisters absolvieren, was auch für ihn einen „anderen Druck“ bedeutete als die Arbeit im Lehrbetrieb. Und: Im zweiten Lehrjahr nahm er am Landeswettbewerb der Tischlerinnung teil und erreichte den zweiten Platz für Wien: „Das hat mich ziemlich stolz gemacht. Leute, die mich nicht kennen, sagen: Der hat was drauf.“
Sowohl Birsen als auch Sebastian sind zudem sogenannte Vertrauensräte. Das heißt, wenn die Lehrlinge Probleme oder Anliegen haben, können sie auf Sebastian und Birsen zukommen. Sie versuchen dann, die Probleme gemeinsam zu lösen oder wenden sich zum Beispiel an den Betriebsrat. „Wir schauen, dass die Arbeitsatmosphäre in der Gruppe passt“, fasst Sebastian die Aufgabe der Vertrauensräte zusammen. Kürzlich diskutierte man etwa in der Gruppe den Wunsch, im Sommer mit kurzen Hosen arbeiten zu dürfen. Das wäre für die Tischler an sich kein Problem, doch auch die Lehrlinge im Metallbereich würden dann verständlicherweise gerne auf kurze Hosen wechseln. Sebastian: „Sie dürfen aber nicht, weil das zu gefährlich ist.“ In diesem Fall müssen also auch die TischlerInnen bei langen Hosen bleiben.
Abwechslung versus Spezialisierung
Sebastian wird nach der Lehrabschlussprüfung nicht direkt in einen Job als Tischler wechseln. Nach dem Grundwehrdienst will er noch etwas anderes ausprobieren. Es ist auch alles andere als einfach – jedenfalls in Wien – eine Stelle als Tischler zu finden. Und in kaum einem Job gibt es so viel Abwechslung wie im Lehrbetrieb, denn hier lernen die Lehrlinge viele verschiedene Arbeiten kennen, während Betriebe meist auf eine Sache, zum Beispiel das Bauen von Fenstern und Türen, spezialisiert sind.
In kaum einem Job gibt es so viel Abwechslung wie im Lehrbetrieb, denn hier lernen die Lehrlinge viele verschiedene Arbeiten kennen, während Betriebe meist auf eine Sache, zum Beispiel das Bauen von Fenstern und Türen, spezialisiert sind.
Michael Hofer ist einer der Ausbildner von Birsen, Sebastian und den anderen Tischler-Lehrlingen und hat mehr als 30 Jahre lang in der Privatwirtschaft gearbeitet. Er erklärt die wesentlichen Unterschiede zwischen einer regulären Lehre in einem Betrieb und der überbetrieblichen Lehre: „Die Jugendlichen können sich hier komplett auf die Ausbildung konzentrieren, während sie in Firmen auch Hilfstätigkeiten machen müssen.“ Viele Betriebe seien auf eine kleine Nische spezialisiert. Dagegen würden die Lehrlinge hier vom Handwerk bis zur computergesteuerten Maschine alles lernen, was Tischler machen können. Sie bauen zum Beispiel Möbel und gestalten künstlerische Furniere. Und: Tischler in der Privatwirtschaft, betont Hofer, könnten sich im stressigen Arbeitsalltag oft gar nicht so viel Zeit für ihre Lehrlinge nehmen wie die Ausbildner im Lehrbetrieb.
Arbeit, die das Herz erwärmt
Manchmal haben es die Lehrlinge und Ausbildner in Lehrbetrieben wie der Lorenz-Müller-Gasse mit Vorurteilen und negativen Bewertungen zu tun. Viele Jugendliche, die hier ausgebildet werden, hatten am ersten Arbeitsmarkt keinen Erfolg oder waren mit bestimmten Arbeitsbedingungen nicht zufrieden und haben schon eine Lehre abgebrochen, bevor sie hierher kamen. Für Milan Barac, den Standortleiter in der Lorenz-Müller-Gasse, ist seine Arbeit „etwas, was das Herz erwärmt“ und ein „gesellschaftlich sinnvoller Job“, denn die überbetriebliche Berufsausbildung sei eine sehr gute vom Staat geschaffene Möglichkeit für Jugendliche, die am ersten Arbeitsmarkt keine Lehrstelle finden. „Nicht jede Person hat dieselben Ressourcen mitbekommen, zum Beispiel vom Elternhaus oder aufgrund von anderen Rahmenbedingungen“, sagt Barac. Manche jungen Menschen würden nicht gefördert werden, andere wiederum befänden sich noch in der Entwicklung. Die Zeit im Lehrbetrieb, die den Jugendlichen auch viel Disziplin abverlangt, verändert sie: „Es zeigt sich dass sehr viele zu stabilen Menschen und oft auch zu Top-Fachleuten heranwachsen.“ Die Basis dafür bietet die „möglichst breit angelegte solide Grundausbildung hier am Lehrbetrieb. Auch die Ausstattung lässt diese Breite zu, denn hier gibt es viele Gerätschaften, die zum Beispiel in manchen kleineren Betrieben gar nicht vorhanden sind.
Für Milan Barac, den Standortleiter in der Lorenz-Müller-Gasse, ist seine Arbeit „etwas, was das Herz erwärmt“ und ein „gesellschaftlich sinnvoller Job“.
Sehr oft würden die Jugendlichen hier auch eine enge Beziehung zu ihren Ausbildnern aufbauen, was sich daran zeigt, dass viele auch nach Beendigung der Lehre immer wieder zu Besuch kommen. Milan Barac betont, dass die Lehrlinge hier neben der einschlägigen breiten fachlichen Ausbildung auch eine Sozialisierung zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft erfahren, „unabhängig davon, in welchen Berufen sie sich später betätigen“. Bei jeder Art von Schwierigkeit, auch privaten Problemen und Belastungen, können sich die Jugendlichen wahlweise einer Sozialpädagogin oder einem Sozialpädagogen anvertrauen.
Neue Türen öffnen sich
Der Frauenanteil unter den Lehrlingen der Lorenz-Müller-Gasse ist übrigens relativ gering und liegt bei rund 30 Frauen zu 150 Männern. Vergleichsweise hoch ist der Anteil bei den UhrmacherInnen und ZeitmesstechnikerInnen: Hier beträgt er ein Drittel. Die 20jährige Marim Atta hat ihre Lehre gerade erst im Herbst begonnen. Die in Ägypten geborene junge Frau, die mit ihrer Familie nach Österreich kam, als sie sechs Jahre alt war, wollte eigentlich Chemielabortechnikerin werden. In einem Bewerbungsverfahren schaffte sie es zunächst von 130 Leuten in die nächste Runde und dann noch einmal unter die letzten 60. Doch bei den letzten 16 war sie dann nicht mehr dabei.
Opfer für den Traumberuf
Doch für Marim tat sich unerwartet eine ganz andere Tür auf: Mit dem Verein Sprungbrett machte sie eine Exkursion in den Lehrbetrieb Lorenz-Müller-Gasse und lernte hier den Lehrberuf der UhrmacherIn kennen und Gefallen daran. Sie entschied sich für die Lehre mit Matura und weiß schon nach so kurzer Zeit, dass sie „auf jeden Fall in dieser Richtung bleiben will“. Im ersten Lehrjahr lernt sie vor allem das Feilen der zum Teil winzig kleinen Elemente einer Uhr: „Das ist ein ziemlich spannender Beruf. Wir arbeiten mit sehr kleinen Teilen und oft auf Hundertstel Millimeter genau.“
Marim hofft, nach Ende ihrer Lehre einen der wenigen Jobs als UhrmacherIn und ZeitmesstechnikerIn zu finden und kann sich auch vorstellen, für ihren Traumjob ins Ausland zu gehen. Denn auch in diesem Beruf liegen die Jobs nicht der Straße. Doch Marim glaubt, dass die guten alten Uhren abseits von Apple Watch und Co. mittlerweile wieder im Kommen sind. Jetzt heißt es erstmal einige Opfer für den Traumberuf zu bringen, was ihr aber nicht sehr schwerfällt: „Es macht ziemlich Spaß und es lohnt sich, den weiten Weg hierher zu fahren.“ Spätestens um sechs Uhr Früh muss sie von zuhause losfahren, um rechtzeitig um sieben im Lehrbetrieb anzukommen.
Fordernder bis harter Arbeitsalltag
Zu dieser Zeit ist der Ausbildner der Koch-Lehrlinge, Karl Schwammer, schon rund 20 Minuten am Werk. Denn hier in der Betriebsküche der Lorenz-Müller-Gasse wird nicht nur Mittagessen in zwei Tranchen, sondern auch Frühstück angeboten. Schwammers insgesamt acht Schützlinge, davon zwei Frauen, bereiten schon frühmorgens Eier, Semmeln und Toast zu und schnippeln schon mal Gemüse für das Salatbuffet zu Mittag.
Auch Schwammer kennt die Arbeitsbedingungen am freien Markt, denn er war 17 Jahre lang mit einem Lokal in der Steiermark selbstständig und hatte dort zehn Mitarbeiter und fünf Lehrlinge. Auch hier will er seine Lehrlinge auf den oft fordernden bis harten Arbeitsalltag als Koch vorbereiten und erwartet unter anderem Pünktlichkeit, denn das sei in diesem Job sehr wichtig.
In die Arbeit als Koch hineingeschnuppert hat der 16jährige Georg Janzarzik, der seit September zu Schwammers Team gehört und derzeit vor allem für Salate zuständig ist. Er wollte eigentlich eine Mechaniker-Lehre machen, doch die Nachfrage nach Lehrstellen in diesem Bereich ist viel höher als das Angebot. Die Wahl fiel dann auf Koch, nicht zuletzt weil Georg vorbelastet ist: Seine Mutter ist Kellnerin, sein Vater Koch. Bis jetzt ist Georg sehr zufrieden und kann sich vorstellen, später „vielleicht irgendwo im Ausland“ als Koch zu arbeiten.
Viel Abwechslung
Sein Kollege Isaak Ascherov ist 18 Jahre alt und hat schon zwei Lehrjahre hinter sich. Der junge Mann, der sich für eine Lehre mit Matura entschieden und auch schon einige Matura-Fächer positiv abgeschlossen hat, betont, dass er sich hier sehr wohl fühlt. Anders war es bei seinem früheren Arbeitgeber, einem Wiener Traditions-Kaffeehaus: „Dort hat es mir überhaupt nicht gefallen.“ Es sei viel zu viel Druck gemacht worden und er musste immer nur Frühdienste absolvieren. Nach wenigen Monaten war ihm klar, dass er nicht dort bleiben wollte. Er kündigte und bewarb sich in der Lorenz-Müller-Gasse, wo er jetzt schon im dritten Lehrjahr ist: „Hier mache ich nicht nur Frühdienste, sondern alles – von sieben Uhr in der Früh bis vier Uhr am Nachmittag.“ Neben dem Frühstück und dem Salatbuffet gibt es jeden Tag zu Mittag eine vegetarische und eine Fleisch- oder Fisch-Hauptspeise sowie eine Vorspeise und ein Dessert. Das bedeutet, dass die Lehrlinge viel Abwechslung haben und viele verschiedene Fähigkeiten erlernen.
Isaak wollte hier eigentlich ursprünglich nur ein oder zwei Monate bleiben: „Aber dann hat’s mir so gut gefallen und ich bin geblieben.“
Isaak wollte hier eigentlich ursprünglich nur ein oder zwei Monate bleiben: „Aber dann hat’s mir so gut gefallen und ich bin geblieben.“ Nach der Lehre möchte er sofort bei einer Schweizer Firma anheuern, um erst einmal als Koch auf einem Schiff zu arbeiten – und er ist überzeugt: „Wenn man es will, schafft man es auch.“