Besorgniserregende Entwicklung
„Faschistische Regime dulden natürlich keine demokratische Mitbestimmung. In Österreich wurden die Betriebsräte ab 1934 in ‚Werksgemeinschaften‘ unter Vorsitz eines Unternehmensvertreters bzw. einer Unternehmensvertreterin umgewandelt. Unter nationalsozialistischer Herrschaft verschwanden sie ganz und wurden durch eine soziale Belegschaftsorganisation im Rahmen der Deutschen Arbeitsfront ersetzt“, so Pellar. Das neue Betriebsrätegesetz konnte erst 1947 beschlossen werden. Die Historikerin zeigt sich ebenfalls über die aktuelle Entwicklung besorgt: „Die Absicht der österreichischen Politik, die Bedeutung der überbetrieblichen Kollektivverträge zu unterlaufen und betriebliche Vereinbarungen in den Vordergrund zu stellen, würde die Rolle der Betriebsräte als ‚Wächter der Kollektivverträge‘ praktisch unwirksam machen und sie dem Druck von oben im Unternehmen aussetzen.“ Erhöhte Wachsamkeit sei notwendig: „Überall dort, wo ein solcher Weg beschritten wurde, sind Lohnniveau und Arbeitsbedingungen in sehr kurzer Zeit deutlich schlechter geworden.“
In Österreich wird im Vergleich zu Frankreich wenig gestreikt. Auch in Italien, Spanien oder Belgien steigt man weit häufiger auf die Barrikaden. So blicken auch internationale Unternehmen mit Neid auf den sozialen Frieden in Österreich. „Wir sind seit Jahrzehnten einen hohen Grad an sozialpartnerschaftlichem Grundkonsens gewohnt. Die offene Austragung von Konflikten wird nur als das letzte Mittel gesehen“, erklärt der Internationale Sekretär der GPA-djp, Wolfgang Greif. „Für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen steht die Kooperation im Vordergrund. Das gilt nicht nur bei Kollektivverhandlungen, sondern auch im Betrieb und Unternehmen.“
Gute rechtliche Grundlagen
Warum funktioniert hierzulande die Belegschaftsvertretung besser als in vielen anderen EU-Ländern? „Nicht zuletzt, weil es gute rechtliche Grundlagen für die Betriebsratsarbeit gibt. Das Arbeitsverfassungsgesetz enthält umfangreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte“, weiß Greif aus der Praxis. Ein Betriebsrat kann in Österreich in allen Betrieben ab fünf Beschäftigten eingerichtet werden und wird von der Belegschaft für fünf Jahre gewählt. Der Betriebsrat hat nicht nur in sozialen und personellen, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen das Recht zur Unterrichtung und Anhörung. In einigen Fällen – etwa im Bereich der Arbeitsorganisation – bedarf eine Unternehmensentscheidung der Zustimmung des Betriebsrates. Dazu kommt in Kapitalgesellschaften auch noch die Mitwirkung der Betriebsräte bei der Unternehmensführung in den Aufsichtsräten. Der Betriebsrat ist somit nicht nur Schutzinstanz für Beschäftigte etwa bei Kündigungen, sondern auch deren Fürsprecher in der Unternehmensführung.
Auch wenn der Betriebsrat als wichtigstes Organ der ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb als solches kein Gewerkschaftsorgan ist, so basiert die gewerkschaftliche Arbeit in enger Zusammenarbeit. Die überwiegende Mehrheit des Betriebsrats gehört einer Gewerkschaft an.
Eine zweite Besonderheit in Österreich ist, wie Greif betont, dass für mehr als 95 Prozent aller Beschäftigten die Gehaltserhöhungen über Kollektivverträge von den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Das nimmt Druck vom Betriebsrat.
Schwächung bewährter Strukturen
Die neue türkis-blaue Regierung plant unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus – Stichwort Zusammenlegung von Betriebsratskörperschaften bis hin zur Abschaffung eigenständiger Jugendvertrauensräte –, bewährte Strukturen zu schwächen. Darüber hinaus sollen bislang überbetriebliche und konfliktbeladene Bereiche wie flexible Arbeitszeitregelung in den Betrieben selbst verhandelt werden.
GPA-djp-Sekretär Greif warnt vor diesem neuen Reform-Wahn und erinnert an die heimische Stärke: „Der soziale Frieden ist einer der größten Standortvorteile Österreichs, der von Arbeitgebern hochgehalten wird und den man unbedingt pflegen soll.“ Es bleibt laut Greif abzuwarten, wie künftig mit dem bewährten Set des Interessenausgleich zwischen Wirtschaft und Politik umgegangen wird: „Das fängt beim Umgang mit der Arbeiterkammer an und setzt sich dort fort, wo mehrere Betriebsratskörperschaften als zu viele erachtet werden.“ Seit über 50 Jahren herrscht ein Grundkonsens darüber, dass eine starke Stimme der ArbeitnehmerInnen mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist. „Andere Länder haben uns stets um diesen sozialpartnerschaftlichen Konsens beneidet – in der Politik, in der Wirtschaft und in den Unternehmen. Wenig überraschend, dass vielerorts Kopfschütteln darüber vorherrscht, dass sich die neue Regierung davon verabschieden will und damit viel riskiert“, resümiert Greif.
Weiterführende Links:
etui.org
www.boeckler.de
Irene Mayer-Kilani
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/18.
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