Aufgrund der neuen Bestimmungen müssen die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband unter anderem größere Bauvorhaben oder Übersiedelungspläne auf Eis legen und dürfen offene Leitungsfunktionen sowie Ärztestellen lediglich befristet bis Ende 2019 besetzen.
Primärversorgung in Gefahr
- Kinderarzt-Zentrum am Wienerberg, Wien
- Abteilung Hämatologie im Hanusch-Krankenhaus, Wien
- Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung in Salzburg
- Primärversorgung und hausärztlicher Notdienst in Niederösterreich
In Wien wurden daher Bauprojekte wie ein neues Kinderarzt-Zentrum am Wienerberg oder die geplante Abteilung für Hämatologie im Hanusch-Krankenhaus in Penzing gestoppt. Betroffen sind aber Projekte in allen Bundesländern. Laut OppositionspolitikerInnen sind der Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung in Salzburg, ein Therapie-Zentrum in Bad Ischl und ein Vertrag mit den Heeresspitälern ebenso in Gefahr wie die Primärversorgung oder der hausärztliche Notdienst in Oberösterreich.
Besonders empörte SPÖ und Grüne, dass die Bestimmungen „in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ in eine Sammelnovelle eingebaut worden waren, die einen ganz anderen Inhalt hatte – die vorrangig der Anpassung zahlreicher Gesetze aus dem Gesundheits- und Sozialbereich an das neue Erwachsenenschutzgesetz (vormals „Sachwalterschaft“) diente. Noch dazu, ohne eine Begutachtung durchgeführt zu haben.
ExpertInnen bezweifeln Einsparungen
Doch die ÖVP-FPÖ-Regierung denkt (ausschließlich?) betriebswirtschaftlich und möchte Bauvorhaben, Ärzte-Leistungen oder Posten-Besetzungen so lange hintanstellen, bis die – noch umstrittenere – Kassen-Fusion unter Dach und Fach ist: Die angekündigte Verschmelzung der 21 Sozialversicherungsträger soll nicht durch kostspielige Beschlüsse in den Kassen konterkariert werden. Schließlich will die Regierung durch die Reform Einsparungen erzielen, welche ExpertInnen jedoch anzweifeln. An Wartezeit für PatientInnen auf Behandlungstermine wie Operationen wird dadurch freilich alles andere als eingespart werden.
Durch die diversen Vorgaben des Ausgabendeckels werde „in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereich der Autonomie von Selbstverwaltungskörpern“ eingegriffen. Längst gestartete Projekte und Reformen, wie beispielsweise der Ausbau der Primärversorgungszentren zur Entlastung der Spitalsambulanzen, werden durch die Reform grundsätzlich infrage gestellt.
Etwa das in Wien geplante Kinderarztzentrum am Wienerberg gehört aus Sicht der Krankenkassen zu den ureigenen Aufgaben und Entscheidungen der Kassen als Selbstverwaltungskörper und hat gar nichts mit der Kassenfusion zu tun. Verantwortlich sind die gewählten FunktionärInnen der Sozialpartner, sprich: VertreterInnen von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Deshalb hatten nicht nur die SPÖ und Gebietskrankenkassen auch aus den ÖVP-dominierten Bundesländern Tirol und Niederösterreich, sondern selbst der aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund stammende Vorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, eine Klage wegen Verfassungswidrigkeit in Aussicht gestellt.
Angriff auf die Sozialversicherten
Es sei denn, die Regierungsparteien würden die im Juli beschlossene Ausgabenbremse möglichst rasch wieder außer Kraft setzen. Der Gesetzesentwurf enthält denn auch ein politisches Zugeständnis: Die Regierung plant die „Ausgabenbremse“ mit April 2019 wieder abzuschaffen, weil dann die Kassenreform in Umsetzung sein soll.
Das wirklich Problematische ist, dass die Sozialversicherungen der Zukunft nicht mehr funktionieren können und dass man ihr Leistungsrecht auf diesem Niveau halten will, anstatt es weiterzuentwickeln.
Alois Stöger, ehemaliger Gesundheitsminister
„Das wirklich Problematische ist“, gibt der frühere SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger zu bedenken, „dass die Sozialversicherungen der Zukunft nicht mehr funktionieren können und dass man ihr Leistungsrecht auf diesem Niveau halten will, anstatt es weiterzuentwickeln. Das macht man in der Art und Weise, indem man einen gesamtösterreichischen Vertrag vorschreibt. Wenn der nicht zustande kommt, bleibt der heutige Leistungsvertrag bestehen und neue medizinische Leistungen werden nicht berücksichtigt. Neue medizinische Leistungen werden zur Privatleistung. Und das ist in Wirklichkeit der große Angriff auf die Sozialversicherten, das strukturelle Nicht-Weiterentwicklung der Krankenversicherung. Man könnte das so vergleichen: Ich darf mir nur ein neues Auto kaufen, das vor 2018 gebaut wurde, und im Jahr 2030 wird dieses Auto ein uraltes Vehikel sein“, so Stöger im Interview mit der Online-Ausgabe der Arbeit & Wirtschaft.