Immer weniger Lehrlinge
Seit Jahren sind die Lehrlingszahlen in Österreich tendenziell rückläufig. 2010 gab es noch 130.000 Lehrlinge in Österreich, 2020 sind es nur noch 109.000. Vergangene Krisen haben gezeigt, dass Unternehmen viel weniger in die Ausbildung von Fachkräften investieren, wenn es der Wirtschaft nicht gut geht. In der Finanzkrise 2009 kam es zu einem Rückgang von 5.000 Lehrstellen.
[infogram id=“aandw-online-ausbildungskatastrophe-lehrlinge-und-lehrbetriebe-1hd12y0kj9dx6km?live“]Da aufgrund der Corona-Krise momentan ein fast doppelt so hoher wirtschaftlicher Rückgang zu verzeichnen ist, ist auch mit einem doppelt so hohen Rückgang an Lehrstellen zu rechnen. „Das wären fast 10 Prozent aller betrieblichen Ausbildungsplätze“, betont Hofmann. Jugendvorsitzende Hofer gibt zudem zu bedenken: „Wenn wir jetzt nicht Lehrstellen schaffen, fehlen uns in drei Jahren die Fachkräfte. Es darf keine ,Generation Corona‘ geben, die in Jugendarbeitslosigkeit abdriftet.“ Laut Berechnungen der PRO-GE-Jugend gab es bereits im März eine Lehrstellenlücke von 1.559 Stellen – das bedeutet, dass es um 1.559 mehr Lehrstellensuchende als offene Lehrstellen gab. Zudem ist die Anzahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren von Februar auf März um 77 Prozent gestiegen – von 32.293 arbeitslosen Jugendlichen im Februar auf 57.275 im März.
Lehrstellenlücke
März 2020
1.559
arbeitslose Jugendliche
Februar 2020
32.293
arbeitslose Jugendliche
März 2020
57.275
Die Politik muss handeln
Eines steht fest: Die Politik muss handeln. „Es braucht sofort ein Maßnahmenpaket gegen die drohende Ausbildungskatastrophe. Das erfordert massive Investitionen der öffentlichen Hand. Der Leitspruch ‚Koste es, was es wolle‘ muss auch für junge Menschen auf Lehrplatzsuche gelten“, so Hofer. Leider sieht die Realität momentan noch anders aus. Hofmann weist darauf hin, dass sowohl ÖVP als auch Grüne den Dialog auf Augenhöhe vermieden haben: „Das war schon vor Corona so und wurde auch jetzt weiterhin beibehalten.“
Es braucht sofort ein Maßnahmenpaket gegen die drohende Ausbildungskatastrophe. Das erfordert massive Investitionen der öffentlichen Hand. Der Leitspruch ‚Koste es, was es wolle‘ muss auch für junge Menschen auf Lehrplatzsuche gelten.
Susanne Hofer, Jugendvorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbunds
Doch wo sollen die zukünftigen Fachkräfte herkommen, wenn jetzt niemand investiert? Susanne Hofer fordert daher: „Die Abwendung eines nie dagewesenen Fachkräftemangels und dramatischer Jugendarbeitslosigkeit muss unverzüglich angegangen werden.“
Maßnahmenpaket gegen drohende Ausbildungskatastrophe
Die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) schlägt zur Abwendung der Katastrophe ein Maßnahmenpaket vor, das in unterschiedlichen Bereichen unterstützt und damit dafür sorgt, dass genügend Ausbildungsplätze gewährleistet werden können.
Eine zentrale Forderung betrifft die Schaffung eines Corona-Notausbildungsfonds. Mit 140 Millionen Euro sollen Betriebe unterstützt werden, die trotz coronabedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten Lehrlinge ausbilden wollen. „Damit sollen sowohl die Quantität als auch die Qualität von Lehrstellen gesichert werden“, betont Hofmann. Vor allem geht es darum, Ausbildungsbetriebe, die mit hohen Qualitätsstandards ausbilden, zu unterstützen. Um die Qualität sicherstellen zu können, braucht es eine bessere Abstimmung zwischen Berufsschule und Lehrbetrieb, Weiterbildungen für Lehrlingsausbildner*innen, die Förderung von externen Lehrinhalten, eine Einhaltung von arbeitsrechtlichen Vorschriften und keine ausbildungsfremden Tätigkeiten während der Lehrzeit. Zudem soll es Anreize für große Ausbildungsbetriebe geben, auch über Bedarf auszubilden.
Damit sollen sowohl die Quantität als auch die Qualität von Lehrstellen gesichert werden.
Christian Hofmann, GPA-djp-Bundesjugendsekretär
Auch die Finanzmittel für die überbetriebliche Lehrausbildung müssen erhöht werden, denn es ist eine Aufstockung der überbetrieblichen Lehrstellen erforderlich. Weil weniger Unternehmen selbst in die Ausbildung von Lehrlingen investieren, braucht es mehr Lehrstellen in der überbetrieblichen Ausbildung. Mit zusätzlichen Finanzmitteln soll auch hier der qualitative Ausbildungscharakter sichergestellt werden.
Auch der Staat ist gefordert
Zudem wird die Aufstockung der Ausbildungsplätze im staatlichen und staatsnahen Bereich gefordert. Dazu zählen der Bund, die Länder und die Gemeinden. Die Stadt Wien lässt sich zwar als positives Beispiel hervorheben, da sie viel in Lehrlingsausbildungen investiert, aber vor allem in den Gemeinden der Bundesländer besteht dringender Nachholbedarf. Um den Fachkräfteanteil zu halten, müssen aber auch Unternehmen, die der Republik Österreich gehören bzw. an denen sie eine Beteiligung hat, mehr in die Ausbildung zukünftiger Fachkräfte investieren. Denn eine Lehre senkt das Risiko, arbeitslos zu werden. Außerdem ist der Bedarf des Staates vielfältig: Egal ob Verwaltungsassistenz, IT-Fachleute oder Bürokaufleute – der staatliche Bereich braucht dieselben Fachkräfte wie privatwirtschaftliche Unternehmen. Der Staat hat aber noch eine weitere Möglichkeit, die Ausbildung von Lehrlingen voranzutreiben: durch eine Reform des Bestbieterprinzips für staatliche Ausschreibungen. Und zwar indem bei staatlich vergebenen Aufträgen jene Unternehmen bevorzugt werden, die Lehrlinge ausbilden, so die Forderung.
Dass sich die Situation junger Menschen durch die Corona-Krise binnen weniger Wochen so dramatisch verändert hat, ist ein Fakt. Sowohl die Jugendarbeitslosigkeit als auch die Lehrstellenlücke sind drastisch gestiegen. Nun ist es an der Politik, einen Gegentrend einzuleiten, um die Gefahr einer verlorenen Generation abzuwenden.