Aber der Reihe nach. Der Rat der EU ist ein Vertretungsorgan der 28 Mitgliedstaaten im Rahmen der europäischen Rechtsetzung. Er ist eine Art Länderkammer, in der die BürgerInnen indirekt über ihre nationalen Regierungen vertreten sind (unmittelbares Vertretungsorgan der WählerInnen ist das Europäische Parlament, das somit eine Art europäische BürgerInnenkammer als Gegengewicht zum Rat darstellt). Kaum ein Rechtsakt der EU kommt ohne Einbindung des Rates zustande.
Familienaufstellungen
Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Europäischen Rat und dem Rat der EU. Der Europäische Rat ist das höchste politische Organ der EU, das alle Staats- und Regierungsoberhäupter sowie den Präsidenten der EU-Kommission versammelt und uns nach jeder Tagung als fotogene Großfamilie von den Titelseiten zulächelt. Ihm steht ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Präsident vor. Momentan hat diese Stelle der vormalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk von der Europäischen Volkspartei inne.
Im Rat der EU wiederum treffen die FachministerInnen zusammen. Er verfügt über keine gewählte Präsidentschaft. Vielmehr rücken die um die Verhandlungstafel sitzenden VertreterInnen der Mitgliedstaaten im Halbjahresrhythmus um jeweils einen Sitzplatz im Uhrzeigersinn weiter. So kommt jedes Land einmal an die Reihe, um für jeweils sechs Monate die politische Verantwortung für das Funktionieren dieses zentralen Steuerungselements der europäischen Gesetzgebungsmaschinerie zu übernehmen.
So liegt die allererste Aufgabe des Vorsitzlandes auch darin, Beschlüsse und andere Entscheidungen – gegebenenfalls auch durch engagierte Vermittlungstätigkeit – zustande zu bringen. Dies ist eine nicht immer einfache Sache in Anbetracht der vielfach gespaltenen Mitgliedstaaten.
Dem Papier nach ist die Ratspräsidentschaft dazu angehalten, ihre Rolle stets allparteilich anzulegen und Eigeninteressen hintanzustellen. Gern wird dafür auch das Bild des sogenannten „ehrlichen Maklers“ bemüht. Dieser Vergleich trifft das Bild tatsächlich gut, wenngleich auch mit einer Portion unfreiwilliger Ironie. Denn wer im Leben Erfahrung mit MaklerInnen gesammelt hat, weiß nur allzu gut, dass diese von allen beteiligten Parteien in erster Linie an sich selbst denken. Tatsächlich gibt es für ein Land keinen besseren Moment als den der Ratspräsidentschaft, um die eigenen europapolitischen Interessen zur Geltung zu bringen.
Drei Ebenen
Dies tritt in dreierlei Weise zu Tage. Die Ratspräsidentschaft kann erstens Themen setzen: Hier geht es darum, die Aufmerksamkeit auf gewisse Fragen zu lenken und Debatten zu initiieren. Die Ratspräsidentschaft kann zweitens die Themen arrangieren: In der Praxis betrifft dies die Festlegung der Frequenz an Treffen zu gewissen Politikfeldern, die Einberufung von informellen Treffen und die Festlegung der Tagesordnung. Drittens kann die Ratspräsidentschaft bestimmte Themen ausschließen: Unerwünschte Fragen werden explizit nicht angesprochen, Entscheidungen über Rechtsakte werden verschleppt und bestimmte Punkte aus der Tagesordnung von Ratssitzungen ausgeklammert. Zusammengefasst: Ohne Rat geht in der EU nichts, und ohne willige Ratspräsidentschaft läuft im Rat nichts. Folglich hat die Ratspräsidentschaft tatsächlich das Potenzial, der gesamten EU-Politik auch ihre Themen aufzudrücken.