Der Sozialstaat bleibt gefordert

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Der neue Sozialbericht zeigt: Einkommen und Lebenschancen sind nicht fair verteilt. Nicht nur Ärmere, auch die Mittelschicht braucht den Wohlfahrtsstaat.

Chancen für alle Kinder

Wie die Verteilung von Einkommen, Vermögen, Arbeits- und Lebenschancen in einer Gesellschaft organisiert ist, zählt zu den politischen Kernfragen der Demokratie. 83 Prozent der Bevölkerung sagen, es sei Aufgabe der Regierung, die Einkommensunterschiede zu reduzieren. Auch Kindern möglichst gleiche Startchancen einzuräumen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu fördern dürfte auf breiten gesellschaftlichen Konsens stoßen.

Frauenerwerbstätigkeit, Männer, die sich stärker um ihre Kinder kümmern, und die Verfügbarkeit von leistbaren Kinderbetreuungseinrichtungen sind wesentliche Schlüssel zur Bekämpfung von Familien- und Kinderarmut. Der Zugang zu qualitativ hochwertiger und kostengünstiger Ganztagskinderbetreuung spätestens ab dem ersten Geburtstag sollte daher gewährleistet werden – am besten als Rechtsanspruch. Benötigt werden flächendeckende Ganztagsangebote für alle Altersgruppen, die das ganze Jahr hindurch bereitstehen.

Der Besuch vorschulischer Erziehungs- und Bildungseinrichtungen von Kindern ist von enormer Bedeutung. Er prägt die weiteren Bildungs- und Erwerbskarrieren und soziale Ungleichheit kann reduziert werden. Bei Kindern, die mehrere Jahre den Kindergarten besuchen, halbiert sich die Wahrscheinlichkeit, Schwierigkeiten in Mathematik zu bekommen. Altzinger et al. erklären dazu im Sozialbericht: „In keiner Lebensphase werden die Wege zur Ungleichheit so drastisch gelegt bzw. entschärft wie im Vorschulalter; und in keiner Lebensphase kann der Staat so stark, so effizient und so kostengünstig zum Ausgleich der (familiär bedingten) Ungleichheiten beitragen wie in dieser Phase.“

Mehr als 350.000 Menschen in der Privatwirtschaft erzielen auf Basis von Vollzeitbeschäftigung einen monatlichen Bruttolohn von weniger als 1.500 Euro, mehr als 600.000 erhalten weniger als 1.700 Euro brutto im Monat. Niedriglohnbeschäftigte sind oft arm trotz Arbeit. Lohnpolitik ist traditionell Aufgabe der Sozialpartner. Angesichts eines wesentlichen Teils der Beschäftigten ohne Kollektivvertrag, mit lange zurückliegenden Lohnanpassungen oder mit niedrigen Kollektivvertragslöhnen sind die Sozialpartner weiterhin gefordert, zur Armutsbekämpfung entsprechende Kollektivverträge auszuhandeln. Wie schon in der Vergangenheit von den Sozialpartnern erwogen und im überarbeiteten Regierungsprogramm angeregt, könnte alternativ ein Generalkollektivvertrag mit einer entsprechenden Lohnuntergrenze vereinbart werden.

Auf Basis einer solchen allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze kann zusätzlich eine Negativsteuer überlegt werden, die kinderreiche Familien, zusätzlich zu Mindestlohn und Familienbeihilfe, über die Armutsschwelle hebt.

Wer braucht den Sozialstaat?

Die Diskussion über Arm und Reich darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade auch die Mitte der Gesellschaft den Sozialstaat braucht. Diese ist sehr heterogen zusammengesetzt und umfasst Menschen mit unterschiedlicher Bildung, Berufen, Einkommen und Vermögen. Der Wohlfahrtsstaat ermöglicht der Mitte, auch ohne Vermögen zu leben. Pensionsversicherung, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, (geförderte) Mietwohnungen und öffentliche Schulen und Universitäten ermöglichen den Lebensstandard der Mitte und verhindern gerade in unsicheren Zeiten ein Abrutschen nach unten.

Pirmin Fessler und Martin Schürz schreiben: „Wer erbt, hat Vermögensreserven für Krisenzeiten. Die anderen Menschen benötigen für ihren Lebensstandard neben dem Arbeitseinkommen dringend den Wohlfahrtsstaat. Dieser muss nicht nur für die Armen, sondern eben auch für große Teile der Mitte gestärkt werden.“ Ein starker Sozialstaat ist also für den Großteil der Bevölkerung eine Voraussetzung für ein Leben in Freiheit und Würde.

Wer nach diesem Schnappschuss aus dem Sozialbericht Interesse an mehr Studien, Analysen und Handlungsvorschlägen hat:
Der Sozialbericht ist unter www.sozialministerium.at zu finden und kann unter broschuerenservice@sozialministerium.at bestellt werden.

Von
Marc Pointecker
Leiter der sozialpolitischen Grundlagenarbeit im Sozialministerium

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.

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Marc.Pointecker@sozialministerium.at
die Redaktion
aw@oegb.at

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