Was die Demokratie vom Guten Rat lernen kann

Ein reicher Mensch geht an einer Person vorbei, die auf einer Parkbank schläft. Der Gute Rat beschäftigt sich mit dem Thema der Vermögensungleichheit.
Der Gute Rat hat das Thema der Vermögensungleichheit in Österreich mit in die Öffentlichkeit getragen. | © Adobestock/elavuk81
Der Gute Rat hat die 25 Millionen Euro vergeben, die Marlene Engelhorn rückverteilen wollte. Wie das Vorhaben zur Aufklärung bezüglich Vermögensungleichheit beigetragen hat, weiß Projektleiterin Alexandra Wang.
Einer der entscheidenden Punkte beim Guten Rat für Rückverteilung war, dass Marlene Engelhorn sich nicht eingemischt hat – mehr noch: sich nicht einmischen wollte. Die Millionenerbin stellte 90 Prozent ihres Vermögens zur Verfügung, um es so rückzuverteilen. Und zwar so, wie es ein Abbild der österreichischen Bevölkerung für richtig hält. Natürlich, ohne dass dabei verfassungswidrige, lebensfeindliche oder menschenverachtende Ziele oder Parteien unterstützt werden, womit die Vorgaben aber auch schon vollständig aufgelistet sind. Damit die 50 für diese verantwortungsvolle Aufgabe ausgewählten Bürger:innen das nach bestem Wissen und Gewissen tun konnten, schufen ihnen die Organisator:innen ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlten. Manche Teilnehmer:innen brauchten Dolmetscher:innen, andere persönliche Assistenz oder einen Rückzugsort. Aber das müsse so sein, wenn man alle hören und inklusiv sein will, weiß der Gute Rat.

Was der Gute Rat erreichen wollte

Nur so gelang, was der Gute Rat sich vorgenommen hatte. Da wäre erstens das Plakative: 25 Millionen Euro an die Zivilgesellschaft verteilen. Nach sechs Wochenenden stand das Ergebnis fest. Das Geld ging an insgesamt 77 verschiedene Organisationen. So unterstützte der Bürger:innenrat ein breites Spektrum wohltätiger Einrichtungen. Von der Lebenshilfe über das Neunerhaus bis hin zu inklusiven Fußballvereinen. Der zweite Punkt ist, dass ein Modell für gelebte Demokratie entstand. Alexandra Wang war Projektleiterin des Guten Rats. Zuvor arbeitete sie im Bereich Fundraising beim Momentum Institut und davor im Diversity Management der Erste Group. Sie erzählt im Interview mit der Arbeit&Wirtschaft, dass ihr die Tränen gekommen seien, weil Menschen aus dem Rat ihr schilderten, sie hätten zum ersten Mal das Gefühl, wirklich gehört zu werden. „Wir haben vom Anfang bis zum Ende alles versucht, damit sich die Ratsmitglieder wohlfühlen und wir einen inklusiven Rahmen bieten. Das war eine große Herausforderung, hat aber auch maßgeblich zum Erfolg beigetragen“, so Wang. Drittens gelang, was Initiatorin Marlene Engelhorn als Ziel vorgegeben hatte: Themen wie Vermögensungleichheit, faire Besteuerung und eine gerechte Verteilung in die Öffentlichkeit zu tragen – und damit auch Aufklärung über Vermögen und Armut zu betreiben.

Portrait Alexandra Wang, Projektleiterin bei Der Gute Rat für Rückverteilung.,
Wie sich 50 Personen bei der Aufteilung eines Millionenbetrags einig werden können, hat Alexandra Wang als Projektleiterin des Guten Rats erlebt. | © Markus Zahradnik

In Österreich ist das auch dringend notwendig. Laut dem Distributional Wealth Account der EZB ist nirgendwo im Euroraum das Vermögen so ungleich verteilt wie hierzulande. Die reichsten 5 Prozent der Haushalte besitzen 55 Prozent des Gesamtvermögens. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt gerade einmal 2,8 Prozent.

Kluft zwischen Arm und Reich

Eine einfache Rechnung verdeutlicht, wie ungleich dieses Geld wirklich verteilt ist. Teilt man Österreichs Nettovermögen durch die Zahl der Einwohner:innen, so müsste jeder Mensch hierzulande etwa 250.000 Euro besitzen. Dass es in der Realität nicht so ist, liegt an den statistischen Ausreißern an der Vermögensspitze. Stellt man alle Einwohner:innen nämlich in einer langen Reihe nach Ausmaß ihres Hab und Guts auf, besitzt die Person in der Mitte gerade noch 83.000 Euro. Und das sind Pensionsrücklagen oder ein Auto, aber keine Immobilie.

Und selbst diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Denn während das Vermögen von armen Menschen bei Steuerprüfungen oder der Vergabe von Sozialleistungen genauestens durchleuchtet wird, fehlt es der Wissenschaft (und dem Staat) schlichtweg an verlässlichen Vermögensdaten von Superreichen. Dass hier etwas nicht stimmt, ist den Menschen in Österreich klar. Eine stabile Mehrheit von 75 Prozent hält die Vermögensverteilung für ungerecht.

Kompromisse finden

Doch um 25 Millionen Euro gerecht zu verteilen, muss die Diskussionsgrundlage breiter sein. „Dank der vielen Expert:innen, die wir hatten, gab es einen enormen Wissenstransfer, der dazu geführt hat, dass die Mitglieder des Guten Rats auf einem ähnlichen Wissensstand sind“, sagt Alexandra Wang. „Damit hatten wir eine Grundlage, auf der wir aufbauen konnten.“ So wurde beispielsweise ein Workshop zum Thema Gerechtigkeit abgehalten. Dabei erarbeiteten die Teilnehmer:innen die Unterschiede zwischen dem Leistungs-, dem Bedarfs- und dem Wohlfahrtsprinzip. Sie entwickelten außerdem ein eigenes Konzept davon, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen sollte.

Infografik zur Vermögensverteilung in Österreich.

In einem „Mini-Österreich“ ist das nicht leicht, wie Wang schildert. „Das sind 50 verschiedene Personen mit 50 verschiedenen Lebenserfahrungen und Wünschen für unterschiedliche Initiativen. Da gab es immer mal Widerspruch, der dann ausdiskutiert wurde.“ Tatsächlich sei der Umgang trotz aller Meinungsverschiedenheiten stets von Respekt geprägt gewesen – so sehr, dass der Wunsch nach Austausch weit über sechs anstrengende Workshops hinausging. „Das Schöne waren die Kamingespräche mit den Expert:innen. Die Leute hatten einen anstrengenden Tag hinter sich, wollten aber noch bis spätabends diskutieren, plaudern und sich austauschen“, sagt Wang.

Der Gute Rat: Warum Marlene Engelhorn ihr Geld rückverteilen will

Mitten in diesem Wirbelwind der Aufklärung steht Marlene Engelhorn. Sie ist eine entfernte Nachfahrin von Friedrich Engelhorn, der im Jahr 1865 das Chemieunternehmen BASF gegründet hatte. Auch der pharmazeutische Betrieb Boehringer Mannheim war einmal im Familienbesitz, bis er 1997 für elf Milliarden Dollar verkauft wurde. Als Gertraud Engelhorn-Vechiatto, Engelhorns Großmutter, im Jahr 2022 starb, hinterließ sie ihr eine stattliche Summe. Zum Zeitpunkt ihres Todes führte das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ Gertraud Engelhorn-Vechiatto auf Platz 687 der reichsten Menschen der Welt.

Marlene Engelhorn erklärte bald darauf öffentlich, dass sie 90 Prozent der geerbten Summe verschenken wolle. „Mein Reichtum wurde angehäuft, noch bevor ich auf die Welt gekommen bin. Angehäuft wurde er, weil andere Menschen die Arbeit gemacht haben, aber meine Familie das Eigentum am Unternehmen und somit alle Ansprüche auf die Früchte dieser Arbeit mitunter steuerfrei vererben konnte“, kommentierte sie den Schritt im Mission-Statement des Guten Rats. Parallel setzt sie sich seither für die Wiedereinführung einer Erbschaft- und Vermögensteuer ein.

Infografik zu den potenziellen Einnahmen durch eine Erbschaftssteuer in Österreich.

Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer gelten als zentrale Mittel, um die Vermögensungleichheit zu reduzieren. Sie verteilen Geld direkt von oben nach unten. Eine Vermögensteuer gab es in Österreich bereits von 1955 bis 1993. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer wurde 2008 abgeschafft. Zusätzlich zu diesen bekannten Steuern schlägt die Österreichische Nationalbank außerdem eine sogenannte Bodenrente vor. Hintergrund ist, dass öffentliche Güter wie Infrastruktur (etwa eine neue U-Bahn-Station in der Nähe) den Wert von Immobilien steigern, ohne dass deren Besitzer:innen etwas dafür tun müssen.

In Österreich wird Arbeit sehr viel höher besteuert als Kapital

Eine Studie der Organisation Oxfam kommt zu dem Ergebnis, dass in Österreich ohne die Gelder aus der Kapitalertragsteuer gerade einmal 1,5 Prozent des Steueraufkommens von Vermögen herrühren – im globalen Durchschnitt sind es immerhin 4 Prozent. Marlene Engelhorn im Mission-Statement dazu: „Unser Steuersystem bevorzugt ausgerechnet die, die ohnehin im Überfluss leben: Arbeit wird hoch besteuert, Vermögen niedrig bis gar nicht. Wenn die Politik versagt, muss man sich selbst darum kümmern. Wenn die Politik nicht dafür sorgt, dass Überreichtum in der Gesellschaft umverteilt wird, dann müssen wir den Finger in die Wunde legen.“ Und das bedeute, dem Thema die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die es verdiene.

Projektleiterin Wang glaubt, dass dem Guten Rat das geglückt ist. Es gehe dahin gehend ein Ruck durch die Gesellschaft: „Ich beobachte die Diskussion zur Vermögen- und Erbschaftsteuer seit zwei Jahren. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr darüber berichtet wird und es immer mehr Studien zu dem Thema gibt“, sagt sie. „Die Zahnräder greifen hier immer mehr ineinander.“

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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