Diese atemlose und manchmal atemraubende Entwicklung hat das Potenzial, Menschen abzuhängen. Schon lange sprechen WissenschafterInnen deshalb von der Gefahr einer „digitalen Spaltung“ der Gesellschaft. So veröffentlichte das Schweizer Bundesamt für Berufsbildung und Technologie im Juni 2004 einen Bericht über die „digitale Spaltung in der Schweiz“. Darin heißt es: „Bestimmte gesellschaftliche Gruppen haben offenkundig mehr Schwierigkeiten mit IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) als andere. So haben zum Beispiel ältere Menschen, Frauen, Behinderte, Einkommensschwache oder auch die Bevölkerung im ländlichen Raum messbar weniger Kontakt mit IKT und nutzen diese weniger restriktiv.“
Dem Bericht merkt man stellenweise sein Alter an. So heißt es an einer Stelle, dass „E-Mail bereits bei rund 47 Prozent der Bevölkerung zum Alltag“ gehört. Inzwischen ist diese Zahl weitaus höher. Eine im November 2017 von der AK Wien herausgegebene Studie zitiert eine Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts INTEGRAL, wonach im dritten Quartal 2017 rund 6,45 Millionen ÖsterreicherInnen ab 14 Jahren das Internet nutzen. „Dies entspricht einem Prozentsatz von 86 Prozent. Demgegenüber stehen 14 Prozent der österreichischen Bevölkerung, welche praktisch kein Internet nutzen.“
Von Off- und OnlinerInnen
Diese 14 Prozent, das sind die sogenannten OfflinerInnen. Dabei handelt es sich um Menschen, die das Internet entweder gar nicht oder nur wenig nutzen wollen oder können. In der Studie „Benachteiligungen von OfflinerInnen im KonsumentInnenalltag“ heißt es dazu: „Tendenziell handelt es sich bei den OfflinerInnen um weibliche Personen höheren Alters mit formal niedriger Bildung und beschränkten finanziellen Mitteln.“ Es scheint, als seien manche Dinge seit dem Jahr 2004 gleich geblieben. Die Studie verweist zudem auf Erhebungen der Statistik Austria aus dem Jahr 2017, wonach 630.000 Personen in Österreich das Internet überhaupt noch nie genutzt haben sollen.
Alter, Geschlecht und Bildungsniveau werden als entscheidende Faktoren für die Häufigkeit der Internetnutzung angegeben: „Kennzeichnend für die Personengruppe der NutzerInnen ist, dass mehr Männer (93 Prozent) als Frauen (80 Prozent) auf das Internet zugreifen.“ Im Alter von 60 bis 69 Jahren sind 25 Prozent den NichtnutzerInnen zuzuordnen, in der Altersgruppe 70 Jahre und älter sind es sogar 45 Prozent. Personen mit Matura nutzen das Internet häufiger (96 Prozent) als jene ohne Matura (80 Prozent).
630.000 Menschen, die das Internet nicht nutzen, sind wahrlich eine große Personengruppe. Zum Vergleich: Wiens bevölkerungsreichster Bezirk Favoriten beheimatet rund 200.000 Menschen. Umgekehrt betrachtet aber sind 14 Prozent OfflinerInnen eine schwindende Minderheit. Und Minderheiten haben es schwer, das ist auch in der Onlinewelt so. Es lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, die zeigen, dass OfflinerInnen im öffentlichen Leben zunehmend benachteiligt werden.
Daniela Zimmer ist Expertin für Konsumentenschutz bei der Arbeiterkammer. Sie meint: „Durch die Digitalisierung vieler Lebensbereiche laufen KonsumentInnen, die an der Internetentwicklung nicht teilhaben können oder wollen, immer öfter Gefahr, bei ihrer Alltagsbewältigung benachteiligt zu werden.“ In einem Blogbeitrag für die Arbeit&Wirtschaft fasst sie zusammen: „Offliner verzichten auf den raschen Zugang zu Infos und zunehmend auch auf kostengünstige Onlineservices – etwa Diskontbanken, die nur E-Banking anbieten, billigere elektronische Zugtickets, Dienste der Sharing Economy, Kleinanzeigenplattformen und so weiter.“
Um hier einer weiteren Diskriminierung vorzubeugen, fordert Zimmer ein „rechtlich verankertes Mindestmaß an analog erbrachten Leistungen“. Sie führt folgende Beispiele an: Papierrechnungen, gedruckte Formulare bzw. Informationen sowie persönliche Kontaktangebote für zentrale Lebensbereiche wie Mobilität, Energie, Telefonie, Kontoführung oder Gesundheit.
Österreichs digital gespaltene Jugend
Allerdings existiert die digitale Spaltung nicht nur zwischen OnlinerInnen und OfflinerInnen. Das verdeutlicht eine weitere, ebenfalls von der Wiener Arbeiterkammer in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Digitale Kompetenzen für eine digitalisierte Lebenswelt“. Diese Studie beschäftigt sich mit dem Onlineverhalten der 15- bis 19-Jährigen in Österreich. Hierbei handelt es sich um jene Altersgruppe, die laut regelmäßig geäußerten Behauptungen mit der neuen Onlinewelt spielend zurechtkommen müsste.
Tatsächlich ist jedoch zu lesen: „Ein genauerer Blick zeigt aber, dass es in der jungen Generation sehr wohl einen breiten digitalen Graben gibt und dass längst nicht alle Jugendlichen nur auf Grund des Umstandes, dass sie in einer digitalisierten Lebenswelt aufgewachsen sind, über alle notwendigen Kompetenzen verfügen, um sich in dieser Welt auch zurechtzufinden.“ Dabei gehe es weniger um den Zugang zum Internet an sich: „Mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones stieg auch der Anteil jener Jugendlichen, die sogar über einen eigenen Internetzugang verfügen, noch einmal an. Wo der Aspekt des technischen Zugangs also in den Hintergrund tritt, wird derjenige unterschiedlicher Nutzungsarten dafür immer wichtiger.“ In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass 96 Prozent der für die Studie befragten Jugendlichen ein Smartphone besitzen. Über 60 Prozent verfügen über einen Laptop. Stand-PCs sind mit unter 40 Prozent nur noch relativ selten anzutreffen.Problematisches Markenbewusstsein
Und doch sind deutliche Klassenunterschiede zu beobachten: „Hochpreisige Laptops und Tablet-Computer sind in den privilegierteren Haushalten deutlich weiter verbreitet. Dazu kommt noch, dass Jugendliche mit höherer formaler Bildung eine selbstbewusstere Einstellung an den Tag legen, wenn es darum geht, die Technik zur Gestaltung des eigenen Lebens einzusetzen.“ Während diese privilegierte Schicht digitale Geräte aufgrund der von ihnen verfolgten Ziele aussucht, stehen bei den „formal niedriger gebildeten Jugendlichen“ andere Prioritäten im Vordergrund. Hier gehe es vor allem um ästhetische Überlegungen und die Marke: „In diesem Segment übernimmt das Smartphone die Rolle eines Statussymbols, das heißt, es ist besonders wichtig, hier immer ein aktuelles Modell vorweisen zu können.“
Dieses Konsumverhalten hat Auswirkungen auf andere Aspekte des Onlineverhaltens, etwa wenn es um Recherchen für Schularbeiten geht. So stimmen rund 70 Prozent der befragten Jugendlichen der folgenden Aussage zu: „Im Großen und Ganzen kann ich gut einschätzen, ob etwas, das ich im Internet lese oder sehe, wahr oder gelogen ist.“ Allerdings basieren diese Einschätzungen hauptsächlich auf einer besonderen Form des Markenbewusstseins. Den Jugendlichen geht es um die Ästhetik einer Webseite, deren Bekanntheitsgrad und quantitative Größen, wie etwa die Anzahl der erreichten Klicks oder „Likes“.
Als direkte Folge dieser Sichtweise werde die Intention des Absenders nicht reflektiert: „Ein reines Werbeangebot kann in diesem Sinne durchaus als eine vertrauenswürdige Information gelten (…).“ Eine Sonderstellung nehme die Marke Google ein: „Diese ist nicht nur selbst vertrauenswürdig, sie verleiht auch anderen Anbietern ein großes Ausmaß an Glaubwürdigkeit.“ Es zeigt sich, dass der Umgang mit der digitalen Welt bewusst gelernt werden muss. Das gilt sowohl für OfflinerInnen als auch für jene, die scheinbar natürlich mit den neuen Medien aufwachsen.
Blogtipp:
www.awblog.at/offliner-ohne-internet
AK-Studie zum Thema OfflinerInnen
AK-Studie zum „Digital Divide“ unter österreichischen Jugendlichen
Christian Bunke
Freier Journalist
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/18.
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