Debatte über Inflation wird hitziger
Ob die bisherigen Hilfen sozial gerecht und „treffsicher“ seien, da gehen die Meinungen jedoch auseinander. So meinte Badelt etwa, dass nur ärmere Haushalte von der Teuerung betroffen sind. Die anderen Haushalte könnten aus seiner Sicht die Belastungen leicht schultern. Auch die Arbeitgeber:innen sehen die Probleme nicht wirklich, weswegen es unter anderem bei den Metaller KV-Verhandlungen 2022 aktuell zu einem Stillstand gekommen ist.
Weiters sieht er inflationssenkende Maßnahmen, wie sie ÖGB und Arbeiterkammer fordern, kritisch, da sie das Staatsbudget überfordern würden. Für den Beschluss der Bundesregierung zur Senkung der Arbeitgeberbeiträge für den FLAF und die AUVA, also einer Senkung der Staatseinnahmen, hörte man seinerseits keine Bedenken, obwohl sie dem Sozialstaat dauerhaft die Mittel entziehen. Wo ist hier die soziale Treffsicherheit? Schon zuvor hatte sich Gabriel Felbermayr, Chef des WIFO, zur Herbstlohnrunde geäußert. Die Forderung der Metaller von 10,6 Prozent Lohnzuwachs – die auf der Benya-Formel basiert – sei zu hoch, so seine Meinung. Hintergrund ist der BIP-Deflator.
Die Besonderheit des BIP-Deflators ist, dass er ausschließlich Waren und Dienstleistungen berücksichtigt, die in Österreich produziert werden. Das bedeutet, dass die Inflation auf Güter, die im Ausland entsteht, herausgerechnet werden muss. Bislang legten wirtschaftsnahe Expert:innen auf die Unterscheidung keinen Wert – die Zahlen waren zu ähnlich. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine habe sich das jedoch geändert, so Felbermayr. Es sei nämlich die importierte Energie, die für den Anstieg der Inflation verantwortlich sei.
Rekorde brechen
Das stimmt nicht ganz. Derart drastische Preissteigerungen, wie wir sie aktuell erleben, sind das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Helene Schuberth, Leiterin der Volkswirtschaftlichen Abteilung im ÖGB, fasst es so zusammen: „Die Diskussion um den BIP-Deflator als Orientierungsgröße für die Lohnverhandlungen lässt die Besonderheiten der derzeitigen Situation völlig außer Acht: Die Arbeitnehmer:innen mussten in diesem Jahr Reallohnverluste hinnehmen, während die Unternehmen überwiegend ihre Gewinnmargen erhöht haben, indem sie im Windschatten des allgemeinen Inflationsanstiegs die Preise über die Kosten hinaus angehoben haben.“
Sie spricht damit die Gewinn-Preis-Spirale an, die auch schon andere Ökonom:innen stark kritisiert haben – selbst Philip Lane, Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB). Er rief Unternehmen auf, die Gewinnmargen zurückzufahren. Ein Aufruf an die Arbeitgeber:innen-Seite, den Schuberth in Österreich allerdings noch vermisst. „Wo blieb der Appell von Gabriel Felbermayr an die Unternehmen, bei der Preissetzung Zurückhaltung zu üben?“
Die Arbeitnehmer:innen mussten
in diesem Jahr Reallohnverluste hinnehmen,
während die Unternehmen überwiegend ihre
Gewinnmargen erhöht haben, indem sie im Windschatten
des allgemeinen Inflationsanstiegs die Preise
über die Kosten hinaus angehoben haben.“
Helene Schuberth, Chefökonomin ÖGB
Zumal es in der Öffentlichkeit immer noch ein grundlegendes Missverständnis gibt. Die Gewerkschaften wollen nicht, wie in „Der Standard“ zu lesen ist, dass „die aktuelle Inflation auf Rekordniveau abgegolten“ wird. Vielmehr wollen die Verhandler:innen, dass mindestens die Inflation der vergangenen zwölf Monate ausgeglichen wird. Darin verbergen sich zwei wichtige Unterschiede: Erstens ist die Teuerungsrate aktuell auf Rekordniveau und dürfte sogar noch steigen – die in den nächsten Monaten zu erwartenden weiter steigenden Inflationsraten sind nicht berücksichtigt. Und zweitens ist durch diese rückblickende Betrachtung der Reallohnverlust bereits bei den Arbeitnehmer:innen angekommen. Im gleichen Zeitraum, in dem viele Konzerne – auch mit importierter Energie – Übergewinne auf Kosten der Verbraucher:innen erwirtschaftet haben.
Debatte über Inflation: Herrschaft lebt von Angst
Auch Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer, sieht die Aussagen eher kritisch: „Der von Professor Felbermayr betonte Unterschied zwischen Verbraucherpreisen und BIP-Deflator ist kein Anlass, die Lohnforderung in der Metallindustrie zu überdenken. Die Metallindustrie ist sehr wettbewerbsfähig und kann ihre Preise selbst setzen. Die jüngste Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar hat den Preisspielraum nochmals erhöht.“
In ihrem Buch „Angst und Angstmacherei“ analysieren @marterbauerm und Martin Schürz, wie neoliberale Wirtschaftspolitik #Angst schürt und Macht erzeugt. @evawinterer im Gespräch mit den Autoren im @aundwmagazin: https://t.co/WdOLu2VTte
— A&W Blog (@AundW) October 15, 2022
Für Marterbauer kommen die aktuellen Angriffe nicht überraschend. Aktuell sind die Menschen verunsichert. Längst ist nicht bei jedem gesichert, dass Miete, Lebensmittel und Heizkosten bezahlt werden können. Ausgerechnet jetzt die Forderung der Arbeitnehmer:innen als „Radikalisierung“ zu bezeichnen und die Grundlage der Berechnung zu diskreditieren, passt ins Bild. Denn „Herrschaft lebt von Angst und sie lebt gut davon“, wie es Marterbauer und Martin Schürz, Psychotherapeut, in ihrem Buch „Angst und Angstmacherei. Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht“ auf den Punkt bringen. Und im Interview mit Arbeit&Wirtschaft zusammenfassen.
Sachlich bleiben
Genau diese Ängste zu nehmen ist aber die ureigenste Aufgabe von AK und ÖGB. Verbesserung verspricht beispielsweise die zähe KV-Verhandlung der Metaller 2022. Deshalb fordern sie eine Anhebung des Arbeitslosengeldes, der Notstandshilfe, der Mindestsicherung und der Sozialhilfe über die Grenze der Armutsgefährdung. Deswegen versuchen sie in der Herbstlohnrunde die Kaufkraft zu erhalten und den Mindestlohn in den Kollektivverträgen zu erhöhen. Genau dazu dienen Demonstrationen wie jene mit der Forderung „Preise runter“, samt Vorschlägen, wie die Regierung die Krisenbekämpfungsmaßnahmen mit einer Abschöpfung von Übergewinnen und Erbschafts- und Vermögenssteuern finanzieren könnte. Eine Forderung von Badelt war „sachlich bleiben“. In diesem Punkt hat er recht.