Datenschutz lernen: Digital o. k. statt k. o.

Datenschutz lernen: In Workshops lernen Berufsschüler:innen Surfen und Selbstverteidigung. Das Projekt zeigt eindrücklich, warum auch junge Menschen durchaus Nachhilfe im Netz benötigen.
Zuerst ist die Seite auf dem Bildschirm blau. Mit jedem Zeichen, das in die Maske eingegeben wird, verfärbt sie sich: zuerst rot, dann orange. Es erscheint die demotivierende Meldung: „Ein herkömmlicher PC könnte dein Passwort innerhalb von 0,0011881376 Sekunden knacken.“ Das Passwort ist zu kurz. Das Passwort ist ein Name. Das Passwort besteht aus sehr wenigen Zeichen. Das geht doch besser! Datenschutz lernen ist mittlerweile teil eines modernen Bildungsangebots.

Es ist einer der Tests, der allen nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Das sei jedes Mal nach den Workshops so, erklärt Daniel Lohninger. Er ist Experte für Netzpolitik, Datenschutz und Grundrechte. Sein Wissen gibt er am liebsten weiter. Lohninger ist Verantwortlicher für den Bildungsbereich der unabhängigen NGO epicenter.works, die es seit 13 Jahren gibt. Damals war Sicherheit im digitalen Raum allerdings noch ein Randthema. Heute bewegen sich Menschen im digitalen Raum ähnlich wie in der realen Welt. Der Unterschied: Dort gibt es Türen und Schlösser, um den privaten Bereich zu schützen. Im digitalen Raum nehmen viele Menschen das Zusperren einer Tür auf die leichte Schulter. In Workshops ist das Team rund um epicenter.works aktuell vor allem in Schulen zu finden. Aber warum braucht es derartige Schulungen ausgerechnet bei jungen Menschen und nicht etwa bei den nicht so digitalfitten Boomer:innen? Lohninger lacht bei dieser Frage zuerst einmal und erklärt dann: „Junge Menschen sind die, die das Internet am stärksten nutzen. Das bedeutet auch, dass sie am gefährdetsten in Sachen Cyberkriminalität sind.“

Datenschutz lernen ist so wichtig wie nie

Die Zahl der Cybercrime-Delikte steigt laut Bundesministerium für Inneres Jahr für Jahr stetig an. Die Delikte sind extrem unterschiedlich. Ob durch Hacking, Datenbeschädigung, Betrug, Drogenhandel im Darknet, Online-Kindesmissbrauch oder Cybermobbing: Mit wenig Aufwand und Zeit erreichen Kriminelle maximal viele Opfer. Für die Polizei würden vor allem der Internetbetrug, Angriffe mit Schadsoftware und Erpressungsversuche Herausforderungen darstellen. 2022 wurden 60.195 Cybercrime-Fälle zur Anzeige gebracht, bloß ein Drittel konnte aufgeklärt werden. Wer sich durch die Berichte klickt, liest eines immer wieder: Der beste Schutz ist präventiver Selbstschutz.

Die Kriminalitätsstatistik der letzten Jahre zeige auch, erklärt Lohninger, dass Cyberkriminalität zunimmt. Menschen seien im Netz längst mit ihren Daten zu einer Ware geworden. „Da macht es für uns nur Sinn, die jungen Menschen zum möglichst selbstbestimmten Umgang mit digitalen Medien auszubilden.“ Es gehe nicht darum, Angst oder Panik zu schüren, sondern Bescheid zu wissen und der Gegenseite Kompetenz entgegenzusetzen. Basierend auf Grund- und Freiheitsrechten sowie dem Arbeitsrecht werden Lehrlinge praxisnah in datensicherer Kommunikation aus- und weitergebildet. Ziel des Projekts ist es, die immer mehr nachgefragte „digitale Selbstverteidigung“ für Bildungseinrichtungen zielgruppengerecht zu konzipieren und Trainer:innen in Niederösterreich zu schulen, die ihrerseits aktiv Lehrlinge in den Landesberufsschulen ausbilden können. Diese kommen dann in die Schulen. Das Team hat seit November über 60 Workshops an niederösterreichischen Berufsschulen gehalten und bereits rund 900 Schüler:innen erreicht.

Junge Menschen nutzen das Internet am häufigsten. Daher seien sie auch am gefährdetsten in Sachen Cyberkriminalität, weiß Daniel Lohninger von epicenter.works. | © Markus Zahradnik

Datenschutz lernen heißt auch Bewusstsein schaffen

Für Lohninger fängt alles mit „Awareness“ an, also Bewusstsein. Dazu gehört das Wissen, dass es drei Gruppen gibt, die an den Daten der Menschen interessiert sind: an erster Stelle Unternehmen, die mit Daten Geld machen wollen, gefolgt vom Staat, der überwachen will – was legitim sein kann, aber nicht sein muss –, und schließlich Kriminelle, die mit betrügerischen Anrufen und geknackten Passwörtern operieren. Für die dritte Gruppe seien gerade junge Menschen interessant, da sie am meisten im Netz unterwegs seien. „Es ist den Jungen bewusst, dass die Firmen sie überwachen, aber nicht, was sie alles sammeln.“ Schon jetzt zählt die Angst vor der Überwachung zu den größten Sorgen rund um die Digitalisierung.

Um die 90 Schüler:innen sind in einem Kurs an einem Freitag im Juni in einer Berufsschule in Niederösterreich mit dabei. Daniel Bergmann ist einer von ihnen. Er ist 19 Jahre alt und im zweiten Lehrjahr. An seinem Beruf des Elektrotechnikers gefällt ihm, dass er zusehen kann, wie etwas langsam und von Anfang an aufgebaut wird. „Ich bin täglich zum Zeitvertreib in den sozialen Medien unterwegs, vor allem auf TikTok.“ Wie unsicher diese App ist, war ihm nicht klar. „Ich wusste, dass Daten weitergegeben oder gespeichert werden. Man hört ja auch hin und wieder in den Medien über Skandale im Datenschutz.“ Trotzdem war er schockiert. Am Workshop gefiel ihm der Aufbau und dass er derart ausführlich war. „Ich finde es cool, über ernste Themen zu sprechen.“ Eine derartige Aufklärung würde vor allem den jüngeren Leuten guttun. „Ich muss als Lehrling genauso schauen, wie ich mich präsentiere oder was ich über mich und meine Firma verrate.“

„Schüler:innen glauben oft unreflektiert, was sie im Internet und auf Social Media lesen“, so die Lehrerin Daniela Kastner. Daher seien Weiterbildungen dazu auch für Lehrlinge so wichtig. | © Markus Zahradnik

Angebot freut Schulen

Daniela Kastner ist Lehrerin an der Schule und hält fest, dass es bisher kein vergleichbares Angebot gab. Manchmal hätten Kolleg:innen versucht, einige der Inhalte in ihren Fächern unterzubringen. Das sei aber schwierig, da ihnen oft selbst das Wissen fehle. Außerdem würden die Schüler:innen immer besser zuhören, wenn jemand von außen kommt. „Ich war von Anfang an begeistert und habe mich dafür eingesetzt, dass sie zu uns an die Schule kommen“, äußert Kastner gegenüber Arbeit&Wirtschaft.

Die ersten Workshops hätten derart positives Feedback gebracht, dass klar war, dass sie wiederholt werden. Die Lehrerin betont, wie wichtig ein derartiges Wissen sei. „Die Schüler:innen gehen einfach ins Internet und glauben alles, was sie lesen, und reflektieren das oft nicht.“ Generell fehle es an Wissen darüber, was mit ihren Daten passiert. „Unsere Schüler:innen kommen mit dem Handy auf die Welt. Da ist alles gleich in den sozialen Medien. Unsere Aufgabe als Schule ist es, ihnen alles mitzugeben, was sie im Leben brauchen. Da gehört digitale Sicherheit unbedingt dazu.“ Dass das Programm von der AK gefördert wird und somit für die Schulen kostenlos umgesetzt werden kann, helfe immens. Natürlich gebe es in jeder Klasse ein paar Schüler:innen, die bereits über Wissen zum Thema verfügen und gerne mit den Expert:innen diskutieren. Manche würden sich in der Freizeit viel mit Technik und Gaming beschäftigen.

Lucas Waldbauer ist einer von jenen, die schon viele der Inhalte kennen. Er ist 21 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in Rehberg. Auch er macht die Ausbildung zum Elektriker. Wenn er nicht arbeitet, spielt er am liebsten Fußball. „Ich wusste schon vieles, aber die vier Stunden waren trotzdem interessant.“ Überrascht hat ihn der Sicherheitsstatus der Apps und die Erkenntnis, dass die Apps, die er jeden Tag benutzt, doch nicht so sicher sind, wie im ersten Moment gedacht. „Ich beschäftige mich sehr viel mit den sozialen Medien, am meisten mit YouTube, Twitch und Spotify.“ Dating-Apps benutze er hingegen nicht. Er versuche sein Glück lieber im richtigen Leben. „Als Lehrling ist digitale Sicherheit wichtig und dass man sich bewusst macht, dass alles, was man online postet, gespeichert wird und gegen dich verwendet werden kann.“

Datenschutz lernen: Werkzeuge in die Hand geben

Das Programm der Workshops ist nicht starr, sondern wird kontinuierlich an das Feedback und den Austausch mit den Schüler:innen angepasst. Lohninger erzählt, dass besonders Dating-Apps immer ein Thema seien und dass sie diese darum mittlerweile in den Workshop integriert hätten. Für Lohninger ist es wichtig, den Schüler:innen nicht nur das nötige Wissen zu geben, sondern auch Werkzeuge, mit denen sie ihre Kommunikation im Netz sicherer machen. Im Workshop werden zusammen sichere Passwörter kreiert und Kommunikationsdienste nach Sicherheit gereiht. Bei einer sicheren Kommunikation sei eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung besonders wichtig. Der Experte empfiehlt Open-Source-Messenger-Dienste – sprich, auf deren Programmierung mehrere Menschen schauen können. Als Grundregel gilt: keine Anbieter, die Daten weiterverkaufen. „Wer WhatsApp nutzt, kann auch Signal verwenden und hat schon viel mehr Datenschutz.“

Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Überwachung am Arbeitsplatz. Laut dem Experten sei besonders in diesem Bereich aufgerüstet worden. „Wir beobachten, dass viele der Lehrlinge mittlerweile videoüberwacht werden. Ihnen ist das oft gar nicht recht.“ Auch etwa das Tracking durch Software im Hintergrund werde in Unternehmen immer häufiger eingesetzt.

Lucas Waldbauer und Daniel Bergmann verbringen viel Zeit in den sozialen Medien. Obwohl sich beide gut mit Apps auskennen, war ihnen nicht klar, wie unsicher manche sind. | © Markus Zahradnik

Inhalte auch als E-Learning verfügbar

Neben einem Workshopangebot hat epicenter.works auch ein E-Learning-Angebot entwickelt. Die Inhalte der digitalen Lerneinheiten sind in neun Kapitel gegliedert und behandeln neben Wissen über digitale Verschlüsselung, sichere Kommunikation und den Umgang mit Passwörtern auch die Gründe für Datenschutz und digitale Selbstverteidigung, die zunehmende Überwachung am Arbeitsplatz und vieles mehr.

Insbesondere für Lehrkräfte bietet das E-Learning einen kompakten Überblick über die wichtigsten Themen und aktuellen Entwicklungen rund um Datenschutz und IT-Sicherheit. Es ist als Open Educational Resource (OER) im Internet auf epicenter.academy für alle offen zugänglich und wurde unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht. Um die interaktiven Übungen noch leichter für den Bildungsbereich wiederverwendbar zu machen, sind die interaktiven Lernelemente mit H5P erstellt. Das ist ein Open-Source-Standard, der in österreichischen und deutschen Schulen weit verbreitet ist und in den gängigen Lernplattformen wie etwa in Moodle oder in Eduvidual genutzt wird.

Die NGO evaluiert ihre Schulungen genau. 94 Prozent der Befragten geben an, dass ihnen durch den Workshop klar geworden sei, dass sie ein Recht auf Privatsphäre bei der Nutzung von Online-Tools am Arbeitsplatz haben. 93 Prozent der Befragten geben an, dass sie durch den Workshop erkannt hätten, dass sie für die Sicherheit ihrer Daten aktiv sorgen können. Besonders für junge Arbeitnehmer:innen ist es wichtig, im digitalen Raum sicher zu sein, denn sie werden sich in ihrem Leben noch viel im Internet bewegen und müssen lernen, bei Bedarf die Türen hinter sich zu versperren.

Vier Fragen zum Datenschutz lernen

an Nina Nawara, Referentin im Büro für digitale Agenden der AK Wien

1/ Warum ist digitale Selbstverteidigung gerade für junge Menschen so wichtig?

Junge Menschen wachsen mit neuen Technologien auf und haben eine rasche Auffassungsgabe, wenn es um die Handhabung digitaler Technik und neuer Medien geht. Sie bewegen sich jedoch oft sorglos im digitalen Raum. Die unabhängige NGO für Grund- und Freiheitsrechte „epicenter.works“ hat daher speziell für Lehrlinge und junge Menschen eine praxisnahe Schulung zum Datenschutz im Netz entwickelt.

2/ Sicherheit im digitalen Raum ist ein wichtiges Thema für die AK?

Digitalisierung verändert, wie wir unser Leben organisieren, wie wir kommunizieren und arbeiten. Abseits von technologischen Umbrüchen ergeben sich daraus auch soziale Fragen. Denn technologischer Wandel ist nicht neutral. Bestehende Machtverhältnisse und Interessen beeinflussen, unter welchen Bedingungen Technologien entwickelt und eingesetzt werden (Stichwort Überwachung am Arbeitsplatz).

3/ Wie kommt es zu dem Fokus auf Lehrlinge?

Viele junge Arbeitnehmer:innen sind sich ihrer Rechte am Arbeitsplatz noch nicht bewusst und können dadurch leicht zum Opfer rechtswidriger Praktiken der Arbeitgeber:innen werden. Gerade im Zeitalter von digitaler Überwachung am Arbeitsplatz ist es wichtig, frühzeitig für Aufklärung zu sorgen.

4/ Welche anderen Projekte im digitalen Raum werden aktuell gefördert?

Die Arbeiterkammer fördert seit fünf Jahren im Rahmen der Digi-Offensive des Zukunftsprogramms eine Vielzahl an Digitalisierungsprojekten in ganz Österreich, wie etwa die digitale Baustelle, die Betriebsrats-App oder eine Zeit-App für Handelsangestellte.

Über den/die Autor:in

Eva Reisinger

Freie Journalistin und Autorin in Wien. Sie schrieb für den ZEIT-Verlag über Österreich, Feminismus & Hass. War Korrespondentin und lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählte euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist.

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