Liberale Demokratie
Wie kommt es aber, dass sich gerade in einer Demokratie, welche die ganze Bevölkerung repräsentieren sollte, viele ausgeschlossen und benachteiligt fühlen? Eine Erklärung könnte sein, dass wir nicht in einer reinen Demokratie leben, wie die Historikerin und Politikwissenschafterin Karin Priester betont. Sie hat mehrere Bücher über Populismus geschrieben.
Ihr zufolge leben wir in einer liberalen Demokratie, einem Mischsystem zwischen Demokratie und Liberalismus. Diese führe zu einer „Art gefilterter politischer Landschaft“, sodass der Wille des Volkes nicht direkt zum Ausdruck kommt, sondern durch die Parteien gefiltert wird. Priester: „Dagegen argumentieren Populisten: Das ist gar nicht nötig, wir sind mündige Bürger und müssen uns von den Parteien nicht sagen lassen, was wir denken und wie wir abstimmen sollen.“ Es gehe ihnen um das Prinzip der direkten Äußerung des politischen Willens. Daher auch die große Affinität von PopulistInnen zur direkten Demokratie, in der WählerInnen möglichst oft selbst entscheiden sollen.
Geht es nach David Van Reybrouck, ist Populismus nicht gleich Populismus. Einen „dunklen Populismus“ lehnt er ab. Dieser glaube zu wissen, „dass das Volk einen homogenen Block bilde, dass der Wille dieses Volkes einheitlich und geradlinig sei“ und „dieser Volkswille eigentlich im Zentrum der Macht stehen müsse“. In dieser Bedeutung sei Populismus „antidemokratisch und antiparlamentarisch“. Dunkler Populismus leugne das Wesen der Demokratie und die Existenz unterschiedlicher Interessen in einer Gesellschaft.
Van Reybrouck plädiert für einen „besseren“ Populismus und schlägt zwei Varianten vor: einen demokratischen und einen aufgeklärten Populismus. Angst vor Populismus sei unbegründet, „wenn er sich an die Prinzipien der Demokratie hält“, also etwa Gleichheitsgrundsatz, Menschenrechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaat bedingungslos respektiere.
Unter aufgeklärtem Populismus versteht er einen „Populismus, der nicht schreit, sondern spricht“, der unter anderem die Nöte Geringqualifizierter nicht leugnet und die Bruchlinie zwischen Hoch- und Geringqualifizierten ernst nimmt. Vor allem sei ein gelassener Umgang mit Populismus nötig, „um legitime Beschwerden von aufgebauschten Politikvorschlägen zu unterscheiden“.
Kampfbegriff Populismus
Karin Priester distanziert sich von einem „anderen Populismus“: „Man könnte auch sagen: Wir wollen eine neue Linke aufbauen oder eine linke Sozialdemokratie à la Jeremy Corbyn.“ Populismus beinhalte allerdings immer Nationalismus, und eine Linke sei, auch wenn sie Heimatliebe vertrete, nie nationalistisch. Eine Bewegung wie Syriza sei populistisch, weil sie einen „Befreiungsnationalismus“ der Kleinen gegen die Großen vertrete, in ihrem Fall Griechenland gegen die EU. „Das geht bis hin zu Nazi-Vergleichen, wo Wolfgang Schäuble in SS-Uniform und Angela Merkel mit Hitlerbart dargestellt werden.“ Das hält Priester für sehr problematisch, wenngleich der historische Hintergrund, die Besatzung Griechenlands durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg, auch problematisch sei.
Linkspopulismus hält Priester für weit weniger gefährlich als Rechtspopulismus. Was Populismus aber sei: ein Kampfbegriff – so wie es in den 1960ern und 1970ern der Kommunismus war. „Populismus ist ein Kampfbegriff der im Moment noch hegemonialen Kräfte, die durchgängig liberal, für die EU, für den Weltmarkt sind. Wer nicht dafür ist, wird als Populist ausgegrenzt – ob der Begriff passt oder nicht.“ Schon in der Französischen Revolution hätten liberale Eliten gegenüber weniger gebildeten Schichten Misstrauen gehegt und ihnen „nachgesagt, sie seien irrational, ressentimentgeladen, sie könnten nicht denken und so weiter, während die Gebildeteren zu rationalen Entscheidungen und abgewogenen Argumenten fähig seien. Das ist reine Ideologie.“
Das große Ganze
Auch Walter Ötsch hält Ansätze wie jenen von Peter Pilz für weniger gefährlich als Rechtspopulismus. Schließlich habe Pilz keine homogene Elite gegen ein homogenes Volk im Sinn. Stimmungen in der Bevölkerung anzusprechen sei, unabhängig vom politischen Standpunkt, legitim. Entscheidend sei jedoch, ob etwa die Menschrechte als universell anerkannt werden oder etwa nur für „unsere“ Leute gelten. Die größte Gefahr liege in der Abwertung „der Anderen“ als nicht „echte Menschen“, denn das befördere Hass und Gewalt.
Buchtipp:
„Populismus“ von Karin Priester:
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Alexandra Rotter
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.
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