Reportage: Das Beste beider Welten

„Als EPU beginnt man, um frei, nach eigenen Vorstellungen und selbstbestimmt zu arbeiten, aber nicht um allein zu arbeiten“, sagt Grafikerin Gabi Damm.
(C) Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Neue Wege der Zusammenarbeit
  2. Seite 2 - Keine soziale Sicherheit
  3. Seite 3 - Nach innen selbstständig
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Bei Beschäftigungsgenossenschaften greifen die Vorteile von selbstständiger Arbeit und sozialer Sicherheit des Dienstverhältnisses ineinander. Bringt diese österreichische Pionier-Idee EPUs das gute Leben?
Die Nachteile der Selbstständigkeit ausgleichen, aber die Vorteile genießen, indem man sich zur Genossenschaft zusammenschließt: Dieser Gedanke stand am Anfang, als das Quartett Gabi Damm, Bernd Haberl, Max Limbeck und Jörg Lenneis im Jahr 2018 die Lekton-Beschäftigungsgenossenschaft gründete. „Wir sind GenossInnen im Sinne einer solidarischen Unternehmensform – keine KollegInnen, das ist eine Stärkung und bringt eine neue Qualität“, sagt Lekton-Grafikerin und Designerin Gabi Damm.

Das Team, zu dem inzwischen die Grafikerin und Kartografin Manuela Schmid dazugestoßen ist, arbeitet in einem Bereich, der AK und Gewerkschaften seit vielen Jahren beschäftigt: die Kreativ- und IT-Branche, die allzu oft leider durch Prekarität geprägt ist – in der aber zusätzlich Innovation das tägliche Brot ist. Beides ist den GründerInnen der Lekton-Beschäftigungsgenossenschaft vertraut. Unter dem Titel „G’scheiter Arbeiten 4.0“ reichte das Team deshalb beim „Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0“ ein Projekt ein. Mit diesem Fonds fördert die Arbeiterkammer Wien Projekte und Initiativen, die die Digitalisierung aus der Perspektive von ArbeitnehmerInnen betrachten.

Neue Wege der Zusammenarbeit

„G’scheiter Arbeiten 4.0“ bedeutet für die Lekton-GenossInnen unter anderem, neue Wege zu suchen, wie man besser zusammenarbeiten könnte. Allerdings geht es dem Team nicht nur darum, die Qualität der Arbeit selbst zu verbessern. Vielmehr sucht man auch nach der berühmten „besseren Work-Life-Balance“. Oder um es in ihren Worten auszudrücken: Mit ihrem Projekt wollen sie herausfinden, ob durch bessere Zusammenarbeit eine „Arbeitszeitreduktion auf durchschnittlich sechs Arbeitsstunden pro Tag“ erreicht werden könnte. Dazu wird die Genossenschaft vom Forschungsinstitut FORBA arbeitssoziologisch begleitet. Workflow und Teamdynamik beobachtet die Organisationsberatung accompany. Ziel ist es, Technologien des Vernetzens, Kooperierens und Projektmanagement speziell für die Rechtsform der Beschäftigungsgenossenschaft zu entwickeln, und zwar idealerweise Open-Source-basiert.

Es ist eine ausgesprochen spannende Idee, den 200 Jahre alten Genossenschaftsgedanken auf Ein-Personen-Unternehmen (EPU) umzulegen. Mit 315.900 Betrieben sind sie die größte Unternehmensform in Österreich. Groß, vielfältig, uneinheitlich. Spitzenverdiener wie international tätige IT-BeraterInnen oder RechtsanwältInnen gehören genauso dazu wie die Pflegebetreuerin oder der Tiertrainer. Eine Studie der L&R Sozialforschung untersuchte das Themenfeld und förderte ernüchternde Zahlen zutage: Der Mittelwert der Arbeitszeit liegt bei 48,6 Stunden pro Woche, das Medianeinkommen liegt bei 16.322 Euro, und der Anteil der armutsgefährdeten Haushalte mit 13,8 Prozent deutlich über dem unselbstständig Beschäftigter.

Gerade die Kreativ- und IT-Branche ist durch Prekariat geprägt. Mit ihrer Beschäftigungs­genossenschaft wollen sie neue Wege gehen: Manuela Schmid,
Bernd Haberl, Jörg Lenneis, Gabi Damm, Max Limbeck und Jörg Lenneis (v. l. n. r).

Keine soziale Sicherheit

Die soziale Sicherheit eines „regulären“ Dienstverhältnisses erreicht kein EPU. Mindestens 27 Prozent der Einnahmen bezahlt man für die SVA – ähnlich viel wie ArbeitnehmerInnen, nur mit weniger Schutz. So muss man beim Arztbesuch 20 Prozent Selbstbehalt bezahlen und erhält Krankengeld erst ab dem 43. Tag. „Für EPUs gibt es keine soziale Sicherheit. Wir werden wie Unternehmen behandelt, haben aber eine völlig andere Lebenssituation“, so Sigrun Saunderson von den „Amici delle SVA“ , einer Interessenorganisation für EPUs. Sie fordern die Mindestbeitragsgrundlage zu senken und den Selbstbehalt für Einkommen unter 14.000 Euro abzuschaffen.

Ob für Saunderson persönlich die Beschäftigungsgenossenschaft als Option interessant sei? Lachend lehnt sie ab: „Dafür ist mein Drang zur Unabhängigkeit viel zu groß.“ Und bestätigt damit ein Hauptmotiv für die Selbstständigkeit. Ein EPU-Factsheet der WKO zählt Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und flexible Zeiteinteilung zu den Top-Gründermotiven. Der Preis dafür ist allerdings oftmals Vereinzelung, denn einen Platz in einer Bürogemeinschaft kann man sich nicht ohne Weiteres leisten. Lekton-Grafikerin Damm erinnert sich an ähnliche Erfahrungen: „Als EPU beginnt man, um frei, nach eigenen Vorstellungen und selbstbestimmt zu arbeiten, aber nicht um allein zu arbeiten.“ Wer mit den GenossInnen spricht, merkt: Das ist eine Wahl-, keine Notgemeinschaft. „Wir haben uns aus einem Bedürfnis nach mehr Arbeitsqualität zusammengefunden“, sagen die GründerInnen. Eine neue Qualität des Arbeitens zu erproben, jenseits des heroischen Einzelkämpfertums und klassischer Firmenhierarchien. Dabei geht es um Selbstbestimmung, Teilhabe, Gleichwertigkeit und einen ausgeprägten Sinn für die Bedeutung, eine Balance zwischen den Lebensbereichen zu finden. Gemeinsam zahlen sie sich als freie DienstnehmerInnen ein Gehalt aus. Lekton strebt vollversicherte Dienstverhältnisse an.

Es ist eine ausgesprochen spannende Überlegung, ob die 200 Jahre alte Genossenschaftsidee für die EPUs eine gute Variante wäre, dem Kreislauf des Prekariats zu entkommen. Im Kern verbinden sie so die Vorteile der Eigenständigkeit mit denen eines starken Netzwerks. Besonders trifft dies auf Beschäftigungsgenossenschaften zu: unternehmerische Freiheit und sozialer Schutz. Tun sich EPUs in einer Genossenschaft zusammen, teilen sie die Betriebskosten für Büro, Infrastruktur, arbeiten bei Aufträgen zusammen und stellen sich dafür selbst an. Sie geben einen Teil ihrer Eigenständigkeit zugunsten gemeinsamer Unternehmenssteuerung und sozialer Sicherheit auf. Juristisch gesehen ist man als GenossenschafterIn ein Hybrid aus MiteigentümerIn und MitarbeiterIn.

Innovative Wege für eine bessere Zusammenarbeit finden ist der Anspruch von Lekton. Die bessere Work-Life-Balance ein Ziel.

Das Offene Technologielabor in Oberösterreich war die erste österreichische Beschäftigungsgenossenschaft. Seit ihrer Gründung im Jahr 2014 ist die Genossenschaft auf 15 Mitglieder und zusätzlich vier Angestellte angewachsen. Gearbeitet wird in der wissenschaftlichen Beratung, Regionalentwicklung, Entwicklung von Bauprojekten und Mediengestaltung für Kunden wie FemTech, Ars Electronica Center oder KET (Kinder erleben Technik). „Wirtschaftlich hat es sich voll bewährt, es haben sich Gewerke gebildet, die kooperieren“, sagt Gründungsmitglied Martin Hollinetz. Sein Motiv zur Genossenschaftsgründung kam aus der Erfahrung in vielen Gesprächen mit EPUs: „In Unternehmen gibt es den ArbeitnehmerInnenschutz und irgendeine Art der Personalentwicklung, die sich um MitarbeiterInnen kümmert. Aber bei Einzelunternehmen gibt es niemanden, der sich um die Balance zwischen Arbeit und Leben kümmert.“

1.600 Euro brutto

Nach den Jahren schätzt er auch die großen wirtschaftlichen Vorteile: „In puncto Kapital und Kompetenz lassen sich ganz neue Ziele erreichen. Man bekommt mehr Planungssicherheit und bringt mehr Liquidität auf den Tisch.“ Den Genossenschaftsbeitrag legen die Mitglieder selbst fest, in der Höhe des individuell gewünschten Bruttogehalts. Jedes Mitglied bringt einen persönlichen Businessplan ein, mit welchen Projekten man zur Deckung der in Kostenstellen organisierten Einheiten beiträgt. Für nicht realisierte Projekte werden Rücklagen gebildet. Fast alle arbeiten in einer 30-Stunden-Anstellung und verdienen um die 1.600

Euro brutto. „Zeitwohlstand ist uns wichtig. Wenn ich genug erwirtschaftet habe, kann ich etwas Experimentelles machen, das bringt eine gute Lebensbalance ins Unternehmerische.“

G’scheit, aber aufwendig

Denken in Kooperation ist g’scheit, aber aufwendig. Wer sich in einer Beschäftigungsgenossenschaft zusammentut, braucht Zeit und Geduld für Abstimmungsprozesse bis hin zur Bereitschaft, Entscheidungen neu zu überdenken. „Man muss kooperativ und kommunikativ sein. Das ist wie in einer WG. Über Grunddinge muss man sich einig sein. Für viele „EinzelkämpferInnen“ ist das ein Horror. Es braucht kulturell eine andere Herangehensweise, und das ist eine große Herausforderung“, so Hollinetz von Otelo.

„Entweder kann man sich gerade vor Arbeit nicht retten, oder man steht unter Druck, weil es zu wenig Arbeit gibt“, schildert Bernd Haberl ein Dilemma der Selbstständigkeit. Die Genossenschaft soll ein Ausweg daraus sein.

Aber die Gründung einer Genossenschaft braucht Zeit. Satzung, Haftungsgrenzen, Klärung arbeitsrechtlicher Belange, Eintragung in einem Revisionsverband: Das kann schon bis zu eineinhalb Jahre dauern. Bisher gingen diesen Weg Otelo, New World of Work, Smart, Inrego und eben Lekton. Die einen verstehen sich als enger Zusammenschluss, die anderen eher als solidarische Dachgemeinschaft. Gemeinsam haben sie den Wunsch, neue Formen des Zusammenarbeitens auszuprobieren.

„Selbst und ständig“, heißt der oft gar nicht ironisch gemeinte Stehsatz von Ein-Personen-UnternehmerInnen. Lekton-Grafiker und Programmierer Bernd Haberl kennt das Dilemma des Zuviel oder Zuwenig: „Entweder kann man sich gerade vor Arbeit nicht retten, oder man steht unter Druck, weil es zu wenig Aufträge gibt.“ Um diesem Dilemma zu begegnen, will man die Mitgliederzahl verdoppeln, denn so werden alle ein wenig ersetzbarer und können sich gegenseitig gut vertreten. In der Zusammenarbeit lassen sich Kompetenzen gut bündeln, zugleich wird arbeitsteiliger vorgegangen, man muss nicht mehr alles machen und können.

Nach innen selbstständig

Das Portfolio von Lekton ist vielfältig: Die Genossenschaft macht Grafikdesign, gestaltet Websites, bereitet komplexe Datensätze als Infografiken auf und entwickelt (Open-Source-)Software. Lekton arbeitet für kleine und auch große Auftraggeber der öffentlichen Hand wie für die Statistik der Stadt Wien oder im Rahmen eines Forschungsprojekts für das Tech Lab des Technischen Museums. Hier bringt die Beschäftigungsgenossenschaft das Plus, professioneller wahrgenommen zu werden, während nach innen hin jeder selbstständig bleibt.

Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 der AK Wien
wien.arbeiterkammer.at/digifonds

Von
Beatrix Beneder
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/19.

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