Arbeit&Wirtschaft: Wieso stehen Frauen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt so viel schlechter da als Männer mit und Frauen ohne Behinderungen?
Daniela Rammel: Frauen mit Behinderungen sind mehrfach diskriminiert, aufgrund ihres Frauseins und aufgrund ihrer Behinderung. Sie haben weniger Ausbildungschancen und sind dadurch bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz schlechter gestellt. Dazu kommt die Mehrfachbelastung durch Sorgearbeit, was dazu führt, dass sie öfter in Teilzeit arbeiten. Sie sind auch mehr von Förderungen oder Unterstützungsleistungen sowie von ihren Partner:innen abhängig. Ihnen wird oft weniger zugetraut als Männern mit Behinderungen.
Gibt es Unterschiede zwischen Frauen mit Behinderungen?
Natürlich gibt es die, Frauen mit Lernschwierigkeiten und mit psychosozialen Behinderungen haben es am ersten Arbeitsmarkt besonders schwer. Es sollte aber weniger um diese Unterschiede gehen, sondern es braucht generell mehr Maßnahmen für Frauen mit Behinderungen. Dazu gehören auch Ausbildungsmöglichkeiten und Kinderbetreuung.
Eine Maßnahme wurde zuletzt in Aussicht gestellt: die Einführung von Lohn statt Taschengeld in Werkstätten. Frauen, die dort arbeiten, wären dann auch pensionsversichert. Wird dadurch der drohenden Altersarmut der Riegel vorgeschoben?
Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, aber eine Maßnahme reicht nicht aus, um Altersarmut vorzubeugen. Es braucht einen systemischen Wandel, flächendeckende Maßnahmen, bei denen alle mitmachen. Es reicht nicht, in der Werkstätte bezahlt zu werden. Frauen mit Behinderungen müssen längerfristig am ersten Arbeitsmarkt inkludiert werden.
Wie muss ein solcher systemischer Wandel aussehen?
Es muss an vielen Schrauben gedreht werden, nicht nur an einzelnen kleinen und es braucht zusammenhängende Maßnahmen. Viele Maßnahmen orientieren sich nämlich am medizinischen Modell von Behinderung. Dadurch fallen manche Frauen raus. Sprich, Maßnahmen werden an die Art der Behinderung gebunden, anstatt sich danach zu orientieren, was die Person braucht, um gut arbeiten zu können. Wir müssen schauen, welche Barrieren dafür wegmüssen oder welche Arbeitsplatzadaptierungen helfen. Persönliche Assistenz muss es für alle geben, die sie brauchen und nicht nur für die mit der richtigen Pflegestufe. Diese starre Struktur müssen wir auflockern und uns mehr an den Bedürfnissen der Personen orientieren. Österreich braucht einen Plan, um von diesem medizinischen Modell wegzukommen.
Ohne diese Einstufungen erhält man mit Behinderung in Österreich bislang keinen Zugang zu Sozialleistungen und Unterstützung am Arbeitsplatz. Die Art und Weise der Begutachtungen wird von Interessensvertretungen kritisiert. Mit welchen besonderen Herausforderungen kämpfen Frauen mit Behinderungen?
Gerade Frauen mit Behinderungen erleben dabei öfter ableistische und sexuelle Übergriffe. Außerdem haben sie oft andere gesundheitliche Voraussetzungen als Männer mit Behinderungen. Die chronische Erkrankung ME/CFS betrifft beispielsweise mehr Frauen als Männer. Dennoch orientiert sich die Forschung noch immer eher an Männern. Frauen mit Behinderungen wird oft nicht geglaubt. Sie kümmern sich eben trotzdem um Kinder und Haushalt. Gerade Frauen mit chronischen Erkrankungen wie ME/CFS kämpfen bei Begutachtungen darum, ernstgenommen und gehört zu werden. Viele Betroffene berichten, dass sie zu gering eingestuft werden. Es ist eine Hürde den Grad der Behinderung zu bekommen, den man hat und zugleich benötigt, um die notwendigen Unterstützungen beziehen zu können.
Zuletzt wurde das Alter bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hochgeschraubt. Menschen mit Behinderungen können jetzt bis 25 Aus- und Weiterbildungsangebote des AMS nutzen. Eine gute Basis, um jungen Frauen mit Behinderungen den Berufseinstieg zu erleichtern?
Ja, dafür muss es aber auch geschultes Personal geben. Die sogenannten „Rehaberater:innen“ beim AMS sollten die Situation von Frauen mit Behinderungen kennen und sie gut in Angebote integrieren, die ihnen auch helfen, anstatt sie nur mit Arbeitslosengeld nach Hause zu schicken.
Die Mehrbelastung durch Sorgearbeit, Erwerbsarbeit und das Managen der eigenen Behinderung kann chronisch erschöpfen. Werden Frauen hier gut versorgt?
Nein, die gesundheitliche Versorgung für Frauen mit chronischen Erkrankungen ist unzureichend. Generell muss Gesundheitsvorsorge barrierefreier werden. Viele gehen nicht regelmäßig zur Vorsorge, weil es kaum barrierefreie Arztpraxen gibt und Ärzt:innen oft kein Fachwissen zu Behinderungen haben. Wenn ein Mensch mit Behinderungen krank wird, herrscht schnell Überforderung. Wahlärzt:innen können sich viele nicht leisten. Ich kann auch nicht ständig nach Graz fahren, weil nur dort ein Arzt auf Kleinwuchs spezialisiert ist. Viele Physiotherapeut:innen sind nicht auf meine Körperform geschult, sondern nur auf den „normalen“ kranken Menschen. Wer nicht gut versorgt wird, ist öfter im Krankenstand und dann steigt die Angst um den Arbeitsplatz. Hier können auch Arbeitgeber:innen etwas tun.
Wie denn?
Indem sie ein inklusives Setting schaffen, etwa durch Möglichkeiten für Home Office, oder durch flexible Arbeitszeiten. Der Arbeitsplatz sollte adaptiert sein, also an die Person und ihre Behinderung, angepasst und es sollte Unterstützungsleistungen geben. Das ist wichtig, um gut arbeiten zu können.
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Wie können Betriebsräte Frauen mit Behinderungen unterstützen?
Es ist wichtig, ein Bewusstsein für ihre Mehrfachbelastung zu haben. Betriebsräte können dabei helfen, ein inklusives Setting einzufordern. Dazu gehört auch, Frauen mit Behinderungen etwas zuzutrauen und sie nicht zu bevormunden. Der UN-Fachausschuss hat festgestellt, dass wir von einem inklusiven Arbeitsmarkt noch weit entfernt sind und es dringend Maßnahmen gegen die Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Behinderungen braucht.
Wünsche für das Wahljahr?
Die Handlungsempfehlungen vom UN-Fachausschuss müssen in allen Ressorts mitgedacht werden. Der Nationale Aktionsplan Behinderung sollte entsprechend adaptiert werden. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht nur ein Blatt Papier, Österreich hat sich zur Umsetzung verpflichtet. Das muss endlich ernst genommen werden, gerade in einem Land wie Österreich, wo man es besser machen könnte.