„Demokratie ist nichts für ich-bezogene Sichtweisen“

Eine Demonstration gegen Rechts. Eine Frau steht im Vordergrund und hält ein Schild mit der Aufschrift "Menschenrechte statt rechte Menschen". Daniela Ingruber erklärt im Interview den Erfolg rechter Populisten.
„Es geht um eine Spaltung, eine Trennung zwischen diesem ‚Wir' und ‚den anderen'.“ | © Unsplash/Mika Baumeister
Demokratieforscherin Daniela Ingruber im Gespräch über falsche Klassenkonflikte, rechte Narrative und Interessenspolitik.
Im September 2024 stehen in Österreich die nächsten Nationalratswahlen an und in den Umfragen führt die FPÖ. In Deutschland sieht es nicht besser aus: In Thüringen wurde die AfD bei der Landtagswahl stärkste Kraft, in Sachsen liegt die CDU nur knapp vorne. Demokratieforscherin Daniela Ingruber analysiert im Interview die Gründe für den Erfolg der Rechtspopulisten.

Daniela Ingruber
arbeitet als Demokratie- und Kriegsforscherin am Institut für Strategieanalysen (ISA) in Wien. Ihre Schwerpunkte sind Demokratieverständnis, Verschwörungslegenden & Fake News und Politische Bildung.
Schwarz-weiß Portrait von Daniela Ingruber im Interview über den Erfolg rechter Parteien.
„Rechte Parteien kreieren schnell ein ‚Innen‘, dem man angehört. Die Pandemie hat das stark befeuert“, erklärt Daniela Ingruber. | © Ramona Waldner
Arbeit&Wirtschaft: Frau Ingruber, rechte Parteien fahren bei Wahlen immer mehr Erfolge ein, zuletzt bei den EU-Wahlen im Juni. Eine beliebte Erzählung dieser Parteien ist „Wir gegen die anderen“. Worum geht es hier eigentlich?

Daniela Ingruber: Es geht um eine Spaltung, eine Trennung zwischen diesem „Wir“ und „den anderen“. Eine Zeit lang hat die Erzählung gelautet: Wir, die Arbeitenden, gegen die anderen, die uns vermeintlich etwas wegnehmen. Rechte Parteien zielen dabei gerne auf Migrant:innen oder auch arbeitslose Menschen. Das ist für eine Gesellschaft sehr gefährlich. Denn wenn die einen als die Fleißigen bezeichnet werden, dann impliziert das für manche: Das sind die Guten und die, die das Recht haben zu bestimmen. Wenn ich fleißig bin, soll ich auch belohnt werden, während für die anderen das Gegenteil gilt. Die darf ich bestrafen und schlechtreden.

Wird hier nicht auch ein Klassenkonflikt verschleiert? Gesellschaftliche Ungleichheiten, wie etwa die Vermögensverteilung, wird ja in ein „Innen und Außen“ statt „Oben und Unten“ umgedeutet.

Ja, rechte Parteien kreieren schnell ein „Innen“, dem man angehört. Die Pandemie hat das stark befeuert. Durch Propaganda und Verschwörungslegenden besonders gut, dass man Menschen verbindet, die sonst vielleicht gar nichts miteinander zu tun hätten. Manche Parteien knüpfen genau daran an. Sie versprechen große politische Änderungen im Sinne der Bevölkerung, ohne jemals darauf einzugehen, was sie tatsächlich planen. In den vergangenen Jahren ist ein weiteres Narrativ hinzugekommen, das auf „oben und unten“ abzielt: Wir, das Volk, gegen die sogenannten Eliten. Dabei geht es interessanterweise nicht um die de facto Ärmeren gegen die Reicheren. Ein Beispiel hierfür ist etwa, dass als Elite inzwischen ja auch Wissenschaftler:innen oder Journalist:innen bezeichnet werden, die aber häufig sehr prekär beschäftigt sind. Bei Parteien, die sich eher links verorten, gibt es hingegen meist so etwas wie den Solidaritätsgedanken. Auch wenn es nicht immer so klar ausgesprochen wird.

Dabei lässt sich durch Regierungsbeteiligungen und Abstimmungsverhalten ablesen, für welche Interessen sich rechte Parteien tatsächlich einsetzen. So hat die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz den 12-Stunden-Tag eingeführt und die Ruhezeiten für Beschäftigte im Tourismus gekürzt. Warum sind sie bei Arbeiter:innen dennoch so beliebt?

Das ist eines der großen Phänomene, an dem man gut sehen kann, wie weit die Geschichten, die rechte Parteien der Bevölkerung erzählen, und das, was sie dann tun, auseinander liegen. Sie erzählen immer wieder: ‚Wir sind für euch da, wir machen etwas für euch.‘ Aber dann, sobald sie an der Macht sind, bedienen sie eine ganz andere Klientel. Trotzdem bleiben die Wähler:innen bei ihnen, weil diese Erzählung noch immer steht. Das ist ein „Talent“ vieler rechter Parteien, das auch ihre Social Media-Präsenzen befeuern.

Man kann als politische:r Konkurrent:in zum Beispiel über Arbeit, Sozialleistungen oder Ungerechtigkeit sprechen. Und egal, was man sagt, rechte Politiker:innen werden das Thema so drehen, dass es am Ende beispielsweise wieder um Ausländer:innen geht. Je nach Narrativ, das sie gerade behandeln möchten. Irgendwann ist das Thema dann so präsent, dass sich nicht nur alle anderen Parteien darin verrennen, sondern dass auch das dahinter liegende Gedankengut im Mainstream ankommt. Dann verändern sich sowohl die Sprache als auch das berühmte „Bauchgefühl“. Dann hat das radikale Gedankengut und damit die dazugehörigen Parteien gewonnen.

Warum wird ihnen trotz anderer Faktenlage geglaubt?

Ein Grund ist schlicht ein menschliches Phänomen. Wenn ich jemanden nicht mag, glaube ich viel eher, dass diese Person korrupt ist und etwas Schlechtes für die Gesellschaft macht. Wenn ich dagegen jemanden mag, dann kann diese Person relativ viel machen, ohne dass ich mir sofort eingestehe, das ist jetzt auch korrupt oder das ist jetzt eigentlich gar keine Politik für mich. Davon leben diese rechten Parteien sehr gut. Sie schaffen es, zunächst Sympathien zu bekommen, indem sie so tun, als würden sie zuhören. Und das auch tatsächlich immer wieder machen. Dann finden sie eine emotionalisierende Sprache, schaffen ein Gefühl und kreieren damit – zum Großteil negative – Bilder. Etwa, dass im Parlament lauter Menschen sitzen würden, denen man eigentlich nicht vertrauen könne.

Was macht das alles mit einer Demokratie?

Die Demokratie hält das schon eine Zeit lang aus, dass das meiste auf Narrativen basiert und dass vieles ohne jede Beweislage behauptet wird. Aber auch die Demokratie kann nur bestimmte Dinge verkraften und irgendwann ist sie dann tatsächlich in Gefahr. Bei unserem Nachbarn in Ungarn sieht man, dass das bereits gekippt ist. Unsere Aufgabe als Bevölkerung ist es zu schauen: Geben wir jetzt nur aus selbstbezogenen Motiven jemandem eine Stimme oder haben wir als Bürger:innen nicht auch die Verantwortung darauf zu achten, wie es der ganzen Gesellschaft geht und was es für sie braucht. Demokratie eignet sich auf Dauer nicht für ausschließlich ich-bezogene Sichtweisen.

Weiterführende Artikel:

Wölfe im Schafspelz

Feminismus bei der EU-Wahl: ein kurzes Kapitel

Dorthin gehen, wo es brennt

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.

Über den/die Autor:in

Milena Österreicher

Milena Österreicher ist freie Journalistin und beschäftigt sich mit Menschenrechten, Gesellschaftsfragen, Feminismus und Zukunftsideen. Sie ist zudem Chefredakteurin des vierteljährlich erscheinenden „MO - Magazin für Menschenrechte” und Mitglied im FYI-Kollektiv.

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.