Dringender Bedarf
Vor allem junge Menschen würden dringend eine Vollzeitstelle benötigen, um entsprechend zu verdienen. Noch dazu wird trotz Teilzeit ein Höchstmaß an Flexibilität von den Arbeitskräften gefordert – sich die Arbeitszeit selbst einteilen zu können, das ist eher die Ausnahme. Die vida-Expertin: „Teilzeit bedeutet im Normalfall leider nicht, dass sie geregelt ist und im Vorhinein klar wäre, wann gearbeitet werden muss. Die Zeit wird meistens von den Arbeitgebern sehr kurzfristig eingeteilt.“
Teilzeit und hohe Konkurrenz
Der Verdienst im Reinigungsgewerbe beträgt zwischen acht und neun Euro brutto pro Stunde. „Die Tendenz geht in Richtung neun Euro und die Untergrenze von 1.500 Euro brutto pro Monat ist mittlerweile erreicht“, sagt Ursula Woditschka. Doch freilich kann dieser Monatslohn nur mit einer 40-Stunden-Woche erarbeitet werden. Ähnliches gilt bei den FriseurInnen. Hier werden zu viele Lehrlinge für den Markt ausgebildet. Das FriseurInnen-Personal eines Ladens wird relativ häufig ausgewechselt – FriseurInnen, die angestellt und älter als 35 Jahre sind, haben eher Seltenheitswert. Wer in diesem Beruf weiterarbeiten will, wird zumeist selbstständig. Auch deshalb gibt es zu viele Läden – egal ob größer oder kleiner –, die sich einander das Leben schwer machen und die Preise drücken.
Wechseln FriseurInnen den Laden, dann sollten sie am besten ihren KundInnenstock mitbringen und die Einnahmen des Geschäfts vergrößern. Gewöhnlich gibt es bei den FriseurInnen Teilzeitverträge: Wer bloß einen kleinen KundInnenstock hat, erhält auch nur wenige Stunden. Die Chance auf eine Vollzeitbeschäftigung ist daher gering. Das Trinkgeld hat einen entscheidenden Anteil am Einkommen. Doch davon werden keine Sozialabgaben bezahlt. Auf Dauer ist das problematisch. „In der aktiven Arbeitsphase leben viele Menschen knapp oberhalb des Existenzminimums und können mehr schlecht als recht überleben“, sagt Woditschka. Doch spätestens in der Pension ist es ein Leben unterhalb der Armutsschwelle.
Kalkulierter Zugang zur Arbeit
In Österreich kann der Sozialstaat noch ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit bieten. Die Differenz zwischen den Leistungen für Arbeitslose und dem Arbeitseinkommen ist dann in manchen Fällen gering. „Zwar gilt: Wer alleine lebt und Vollzeit arbeitet, der verdient mit dem Mindestlohn mehr als in der Arbeitslosigkeit oder in der Mindestsicherung“, erklärt Thomas Leoni, wissenschaftlicher Mitarbeiter im WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung). Bei Menschen aber, die Anspruch auf Kinderzuschläge haben und nur Teilzeit arbeiten können, verschwinden die Unterschiede nahezu komplett. „Inaktivitätsfalle“ nennen das ExpertInnen. Ähnlich verhält es sich bei ArbeitnehmerInnen, die nicht unter einen Kollektivvertrag fallen, und bei Menschen, die nicht kontinuierlich oder im größeren Ausmaß beschäftigt sind.
Ursula Woditschka wird mit diesem Dilemma auch in ihrer Praxis konfrontiert: „Wenn sich eine Alleinerziehende von ihrem Arbeitslohn nicht einmal etwas leisten kann, etwa einen Urlaub oder am Wochenende eine Kinderbetreuung, dann kommt es vor, dass sie zu rechnen beginnt.“ Viele überlegen dann, wie viele Stunden sie arbeiten müssen, um Unterstützungen nicht zu verlieren. Nicht alle Berufssparten sind gleich stark betroffen. Eine Konzentration gibt es im Dienstleistungssektor unter VerkäuferInnen, Bürokräften, FriseurInnen, HilfsarbeiterInnen und MitarbeiterInnen im Fitnesscenter. Besonders Frauen, MigrantInnen und Menschen, die über keine höhere Ausbildung verfügen, sind betroffen. Über 35 Prozent der ArbeitnehmerInnen mit lediglich Pflichtschulabschluss arbeiten für einen Niedriglohn. Unter Teilzeitbeschäftigten beträgt der Anteil der NiedriglöhnerInnen 27,5 Prozent. Bei Vollzeitbeschäftigten sind es weniger als zehn Prozent.
Warum so wenig bezahlt wird, erklärt Thomas Leoni: „Haushaltsnahe Leistungen werden gesellschaftlich nicht besonders wertgeschätzt, denn das wird ja daheim ohnehin gemacht. Das gilt auch bei der Betreuung von Kindern oder bei der Altenpflege.“ Ähnliches trifft auch im Reinigungsgewerbe oder auch bei den FriseurInnen zu. Obwohl es in manchen Sonntagsreden anders ausgedrückt wird, legt die Gesellschaft relativ wenig Wert auf die gerechte Entlohnung dieser Dienste. Dazu kommt, dass viele der betroffenen Branchen gewerkschaftlich schwer zu organisieren sind. „Die Betriebe sind in der Regel sehr klein“, erklärt Woditschka. „Im Dienstleistungsbereich arbeiten oft nicht mehr als fünf Personen in einer Filiale. Betriebe mit 20 oder mehr MitarbeiterInnen sind leichter zu betreuen.“
Schlecht erreichbar
Nachdem jene ArbeitnehmerInnen oft direkt „am Menschen“ arbeiten und die Dienstleistungen oft in kleinen Betrieben erbracht werden, sind die MitarbeiterInnen während der Geschäftszeit kaum erreichbar. Sie können nicht einfach unterbrechen und ein Gespräch führen, das nichts mit den KundInnen zu tun hat. „In vielen anderen Branchen ist das etwas leichter. Dort können wir schon mit einem Besuch mehr Menschen erreichen“, erklärt Woditschka.
Es ist tendenziell schwieriger geworden, Gewerkschaftsmitglieder zu werben. Die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung sind im Laufe der Jahrzehnte zur Selbstverständlichkeit geworden. Junge Menschen wissen oft gar nicht mehr, wie sich die 40-Stunden-Woche entwickelt hat, wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zustande kamen oder weshalb es heute fünf bis sechs Wochen Urlaub gibt. „Jeder weiß, dass er das Recht darauf hat, aber wie diese Rechte seinerzeit von Menschen erstritten wurden, das weiß heute keiner mehr“, erklärt Ursula Woditschka.
Auch bei den Kollektivvertragsverhandlungen gelten andere Rahmenbedingungen als in den klassischen gewerkschaftlich organisierten Bereichen. Bei den Metallern können sich die Verhandlungspartner an Umsätzen, an tatsächlichen Verkäufen, künftigen Geschäften, Bestellungen oder an Exporten orientieren. Konjunkturprognosen lassen sich hier leichter erstellen. Das ist im Dienstleistungsbereich schwieriger. Es gibt viel weniger verfügbare Daten. „Besonders bei den FriseurInnen gibt es sehr wenige Wirtschaftszahlen“, weiß Woditschka. Denn die meisten Unternehmen sind Kleinstbetriebe, die ihre Geschäfte nicht offenlegen. „Daher ist nicht bekannt, wie viel Geld diese Branche umsetzt und an Gewinnen lukriert.“ Auch ist der Produktivitätsfortschritt in Branchen, die besonders Technologie und Maschinen einsetzen, höher als bei den personenbezogenen Dienstleistungen.
„Wir orientieren uns bei den Verhandlungen an der Inflationsrate. Da wird ein Anteil aufgeschlagen, um die Kaufkraft zu stärken“, sagt Ursula Woditschka. „Es wird dann nicht wie auf einem Bazar gefeilscht, sondern es geht darum, realistische Preise umzusetzen. Wir wollen höher als die Inflationsrate abschließen, damit den Menschen etwas im Börserl bleibt.“ Der Unterschied zwischen Leistungen für Arbeitslose und Arbeitseinkommen sollte größer werden. Aber dies sollte nicht durch Kürzungen des Arbeitslosengeldes, sondern durch die Erhöhung der Löhne und Gehälter erfolgen.
Öffentliche Hand als Vorbild
Hier könnte die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen. Denn viele Menschen, die wenig verdienen, arbeiten in der Alten- oder Kinderbetreuung oder im Pflegesystem. Hier werden die Lohnerhöhungen direkt oder indirekt mit der öffentlichen Hand verhandelt. „Es wäre ein richtiges Signal, wenn diese Einkommen adäquat angehoben werden“, sagt Thomas Leoni.
Christian Resei
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.
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