Vorreiterin für EinzelkämpferInnen
ver.di hat ein „Referat Selbstständige“: Wie passt das mit einer Gewerkschaft zusammen?
Veronika Mirschel ist eine Vorreiterin, wenn es darum geht, Ein-Personen-Unternehmen gewerkschaftlich zu organisieren. Gemeinsam mit einem Kollegen betreut sie das „Referat Selbstständige“ in der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Selbstständige und Gewerkschaft: Geht das überhaupt zusammen? Mirschel bejaht dies, auch wenn sie eingesteht, dass das Thema durchaus kein einfaches ist. Um die 30.000 EinzelunternehmerInnen, dort auch Solo-Selbstständige genannt, werden von ver.di betreut beziehungsweise sind Mitglied in der Gewerkschaft.
„Die sogenannten Selbstständigen wurden lange von Betriebsräten ignoriert. Dabei gibt es immer mehr von ihnen, in immer mehr Branchen.“ Eine von ver.di in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2016 gibt ihr recht. Aus ihr geht hervor, dass immer mehr Beschäftigte ihr Einkommen aus verschiedenen Quellen beziehen.
„Heute gibt es Selbstständige in Berufsgruppen, in denen das vor einigen Jahrzehnten fast völlig unbekannt war“, erklärt Mirschel. So sind im Medienbereich immer mehr Kameraleute oder CutterInnen selbstständig. „Und der Witz ist: Die wollen teilweise auch in der Selbstständigkeit bleiben, weil sie sich damit freier fühlen.“ Auch im Bildungswesen gibt es immer mehr Selbstständige. „Volkshochschulen funktionieren fast ausschließlich über Selbstständigkeit, aber auch an Schulen und Universitäten trifft man das verstärkt an.“ So zählen Schwierigkeiten beim Erzielen regelmäßiger und ausreichender Einkommen, Absicherungsprobleme bei Krankheit, Alter und Auftragslosigkeit sowie die (Nicht-)Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu den Top-5-Herausforderungen der von ver.di befragten neuen Selbstständigen.
Gleichzeitig wird ein Bedürfnis nach gewerkschaftlichem Engagement spürbar. 42 Prozent der Befragten fordern, dass sich ver.di „mehr“ um die Belange neuer Selbstständiger kümmert. 37,2 Prozent fordern sogar „viel mehr“ Engagement ihrer Gewerkschaft.
Das Referat Selbstständige versucht diesen Bedürfnissen mit „Hilfe zur Selbsthilfe“ und Selbstorganisation entgegenzukommen. „Unser Konzept ‚KollegInnen helfen KollegInnen‘ wird sehr gut angenommen.“ Allein im vergangenen Jahr wurden so bis zu 2.500 Beratungen durchgeführt.
Daneben baut das Referat ehrenamtliche Mitgliederstrukturen auf. „Es gibt Stammtische in verschiedenen deutschen Städten, die ehrenamtlich organisiert werden“, sagt Mirschel. „Sie sind auch für Nicht-Mitglieder offen. Da gibt es Informationen zu Themen wie Vertragsrecht oder Steuerfragen. Außerdem gibt es eine demokratische Mitgliederstruktur innerhalb der Gewerkschaft.“
Misstrauen gebe es bisweilen innerhalb der Gewerkschaft, weil Selbstständige als „mühseliger Ameisenhaufen“ betrachtet werden. „Da denken sich manche Funktionäre: Lass uns lieber große Betriebe organisieren. Das bringt mehr.“ Dabei sei das Thema Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit schon lange in großen Organisationsstrukturen anzutreffen. „Zum Beispiel in der Logistik. Da gibt es jetzt so viele Sub-Sub-Sub-Unternehmer, die dann pro Auslieferung eines Paketes gerade mal einen Euro verdienen. Diese Leute muss man organisieren!“