Coverstory: Zwischen Märchen und Innovation

Foto (C) Michael Mazohl

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Start-ups sind für viele der Prototyp der neuen Wirtschaft: flexibel und damit besser in der Lage, auf rasche Veränderungen zu reagieren, als große Unternehmen. Sie sollen Innovationen bringen und idealerweise auch das große Geld. Ein Streifzug.
Ende Mai hoch über den Dächern von Wien. Während draußen dunkle Gewitterwolken vorüberziehen und den tollen Blick noch spektakulärer erscheinen lassen, haben sich in der Sky Lounge der Universität Wien Investoren zusammengefunden. Einige Teilnehmer kommen aus den Nachbarländern Slowenien, Ungarn oder Tschechien. „Ich suche nach Investoren, in Tschechien gibt es nämlich nicht so viele potente“, erzählt ein Teilnehmer, der aus Prag angereist ist. Ausgerichtet wurde das Treffen von der Austrian Angel Investors Association (AAIA), der die beiden erfolgreichen österreichischen Investoren Hansi Hansmann und Selma Prodanovic vorstehen. Die Jagd nach dem großen Geld in Form eines Einhorns (siehe auch Goldgräberstimmung 4.0), also einem Start-up, das eines Tages eine Milliarde US-Dollar wert sein könnte, war Thema von gleich zwei Vorträgen. Der Verdacht, dass es den Investoren vor allem ums große Geld gehen könnte, lag entsprechend nahe. Selma Prodanovic, von der AAIA als „Grande Dame des Unternehmertums“ präsentiert, sieht das anders: „Das ist mehr ein Schmäh! Natürlich gibt es welche, die wirklich danach jagen. Und natürlich hofft jeder, dass er eines findet.“ Es zu finden sei so etwas wie „ein Maß für einen bestimmten Status“.

 

Prodanovic plädiert für mehr Realismus, denn so viele Einhörner gibt es schlichtweg nicht. Ihr Anteil liegt bei gerade einmal 0,071 Prozent der privaten Unternehmen, wie einer der Vortragenden ebenfalls relativiert. Aus Europa stammen die wenigsten, wenn man der Einhorn-Liste des US-Magazins „Fortune“ Glauben schenken kann. Darin aufgelistet sind Unternehmen mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Kein einziges stammt aus der EU: Sechs sind in den USA beheimatet, drei in China und eines in Indien. An Stelle 15 findet sich das schwedische Start-up Spotify. In Europa sind die Märkte zu kleinteilig, genau deshalb müssten Start-ups hier erst recht auf die internationalen Märkte blicken, heißt es.

Auch das scheint einigermaßen ambitioniert, wenn man sich die Anfänge der meisten Start-ups vor Augen hält. Da stehen meist junge Menschen, die eine Idee haben, die sie unternehmerisch umsetzen wollen. Friends, Family and Fools: So werden nicht umsonst die ersten Investoren von Start-ups genannt. Es sind Menschen, die an die GründerInnen glauben (es sind derweil mehrheitlich Männer) und dabei in die eigenen Taschen greifen, um die Ideen ihrer Lieben zu unterstützen. Dies klingt nach einer großen Portion Idealismus, die wohl tatsächlich die meisten Start-up-GründerInnen auszeichnet. Eben dieser Idealismus und die Kreativität, die mit Start-ups verbunden wird, machen wohl auch die Faszination aus, die viele für Start-ups empfinden. Nicht umsonst schmücken sich auch PolitikerInnen gerne mit diesen empfundenen Vorreitern der Wirtschaft.

Foto (C) Michael Mazohl
V wie Versuchung: Es ist schwer, nicht von der schönen neuen Welt der Start-ups fasziniert zu sein. Immerhin verspricht sie neue Ansätze, die unsere Welt verändern könnten. Die Versuchung, an all dieser ­positiven Energie mitnaschen zu können, ist groß. Für die ArbeitnehmerInnen ist das aber bisweilen ebenso riskant wie für die Finanziers, nur dass Letztere weniger zu verlieren haben.

Faszination

Von Start-ups geht wohl auch deshalb eine Faszination aus, weil sie einen Weg gefunden haben, Alternativen zu den klassischen Finanzquellen von Unternehmen zu finden. Denn Banken sind bei der Vergabe von Krediten immer zurückhaltender, was nicht zuletzt eine Folge der Finanzkrise ist. Allerdings sollten die strengeren Regeln im Austausch für staatliche Garantien eigentlich dazu führen, das spekulative Geschäft zu bremsen, faktisch aber sind Banken insgesamt geizig geworden. Zudem ist es bei vielen Start-up-Ideen eben alles andere als klar, ob sich daraus tatsächlich ein erfolgreiches Geschäft machen lässt. Das Versprechen der Innovation hat im Gegenzug Risikokapital auf den Plan gerufen, das nun diese Lücke zu schließen versucht.

Dass von all dem sogar für die Politik eine große Faszination ausgeht, ist erstaunlich. Denn wenn man sich in diesen Wirtschaftszweig vertieft, landet man bei einem Fachsprech, der manche vielleicht an die Zeit vor der großen Dotcom-Blase erinnert, die meisten aber wohl jedenfalls an die Zeit vor der letzten großen Wirtschaftskrise, als ähnliche Begriffe Hochsaison hatten – während die Realität dahinter die ganze Welt nahe an den Abgrund brachte. Schnell wachsen, große Märkte erobern, viel Geld beim Verkauf bringen: Sind nicht ebendiese Ansprüche dazu geeignet, die nächste Blase hervorzubringen?

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