Mehr Freizeit statt Gehaltserhöhung
Bewegung in die Debatte um betriebliche Arbeitszeitverkürzung brachte die Freizeitoption. Im Zuge der KV-Verhandlungen 2013 war es in der Elektro- und Elektronikindustrie erstmals möglich, sich anstelle der Ist-Lohn-Erhöhung für mehr Freizeit zu entscheiden. Voraussetzung ist eine Betriebsvereinbarung. Diese Stunden werden unterschiedlich genutzt. Josef Scharinger ist Rohbaumeister bei Siemens und seit mehr als 36 Jahren im Unternehmen. Monatlich wandern fünf Stunden auf ein Zeitkonto. Der begeisterte Motorradfahrer möchte die Gutstunden für einen früheren Pensionsantritt ansparen. Ähnlich hält es Roland Feistritzer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Siemens. Der 44-Jährige nutzt die Freizeitoption vorrangig dafür, um tageweise Freizeit zu konsumieren. Auch er möchte das angesparte Zeitguthaben vor dem Pensionsantritt aufbrauchen. Die Freizeitoption wurde auch auf andere Branchen ausgedehnt. Viele Unternehmen wollen weg vom lange üblichen 9-bis-5-Modell. Gleitzeit mit Kernarbeitszeit ist ein gängiges Modell.
Im Frühjahr 2017 wurde debattiert, die Höchstarbeitszeit von 10 auf 12 Stunden anzuheben. Bereits jetzt ist es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, so lange zu arbeiten: etwa bei hohem Arbeitsanfall und entsprechender Betriebsvereinbarung. Für Arbeitsmediziner Karazman versteckt sich hinter der Forderung um Arbeitszeitflexibilisierung in Wahrheit eine Arbeitszeitverlängerung mit gravierenden Folgen: „Ohne verlängerte Erholungszeit sind Arbeitsunfähigkeit, zunehmende Krankenstände, steigende Gesundheitskosten und vorzeitige Pensionierungen vorprogrammiert.“
Fit bis zur Pension
Weiters schrieb er in einem offenen Brief an die Regierung: „Die verringerte Produktivität in der zehnten bis zwölften Arbeitsstunde macht den wirtschaftlichen Vorteil zunichte. Wer längere Erholungsphasen und weniger Nachtarbeit hat, arbeitet länger fit bis zur Pension.“ Echte Flexibilisierung bedeutet für ihn, dass MitarbeiterInnen zwischen kurzen und längeren Diensten, gängiger und kürzerer Wochenarbeitszeit und bei Urlauben wählen können. Nur so werden Stress, Krankheit und Frühpension vermieden, Produktivität und Qualität steigen. Auch WU-Experte Michael Soder fordert mehr Zeitsouveränität: „ArbeitnehmerInnen sind glücklicher, wenn sie sich ihre Zeit selbst einteilen und der Gap zwischen gewünschter und tatsächlicher Arbeitszeit nicht zu groß ist.“
Einige Unternehmen fanden Strategien, um die Arbeitszeiten an die Belegschaft anzupassen, ohne die Stundenzahl zu erhöhen. Der Vorarlberger Betrieb Omicron ist auf die Entwicklung von Prüflosen für die Energietechnik spezialisiert. „Unser Modell baut auf Eigenständigkeit der Mitarbeiter“, sagt Personalleiter Harald Dörler. Regelungen mit Kernzeit gebe es praktisch keine. Je nach Projekt oder Job kann die tatsächliche Arbeitszeit auch darüber liegen. Die Kollektivverträge geben eine Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden vor. Wann der Mitarbeiter diese leistet, sei flexibel: „Manche sind am Morgen produktiver, andere am Nachmittag, andere am Wochenende. Das überlassen wir den Mitarbeitern.“ Die Zeiten werden mittels Software erfasst, die MitarbeiterInnen tragen sie selbst ein. „Es gibt bei uns keine Freigabekontrolle im Sinne einer zentralen Stelle“, so Dörler. MitarbeiterInnen können so einmal, wenn nötig, bis in die Nacht arbeiten, oder sich auch einmal frei nehmen. „Die Mitarbeiter schätzen Flexibilität sehr.“ Auch befristete Auszeiten oder Väterkarenzen seien möglich.