„Aber Moment mal!“, mögen Sie denken. „Klassen, das ist doch ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert. Klassenkampf, das klingt nach Straßenkampf, verhärteten Positionen, verbohrter Ideologie, wenn nicht gar nach Bürgerkrieg. All das sollte doch schon längst überwunden sein.“ Freilich, Begriffe wie Proletariat und Bourgeoisie, Arbeit und Kapital wurden von Karl Marx und Friedrich Engels im 19. Jahrhundert geprägt. Berechtigterweise kann man sich also fragen, was sie mehr als 200 Jahre später noch in der Diskussion verloren haben. Besonders nach dem Untergang des Realsozialismus, der diese Begriffe dafür missbraucht hat, um Menschen zu verfolgen und zu unterdrücken.
Es ist wohl kein Zufall, dass VertreterInnen aus den Reihen von Regierung und Wirtschaft genau dieses Wort in den Mund nehmen, um KritikerInnen in Bedrängnis zu bringen. Denn wer möchte schon in die Nähe eines unterdrückerischen Regimes gerückt werden? Wer will sich heutzutage unterstellen lassen, Straßenkampf führen zu wollen – heute, wo die Stimmung ohnehin wieder sehr brodelt? Von daher mag es auch seltsam klingen, ausgerechnet für das Klassenzimmer einen Klassenkampf zu fordern. Seltsam ist es allerdings nur dann, wenn man den Begriff Klassenkampf so versteht, wie gerade ausgeführt wurde.
Denn eins muss man festhalten: Was hinter den Begriffen Bourgeoisie und Proletariat steckt, ist aktuell wie noch vor 200 Jahren. So wird auch heute niemand ernsthaft infrage stellen, dass die Gesellschaft nicht homogen ist, sondern aus unterschiedlichen sozialen Gruppierungen besteht – und dass diese Gruppierungen durchaus unterschiedliche Interessen haben. Nichts anderes haben Marx und Engels im Grunde aufgezeigt, nur dass die Gesellschaft heute zweifellos anders aussieht als damals.
Ein grundlegender Widerspruch hat sich aber bis heute gehalten: Wer arbeitet, hat andere Interessen als jene, die Arbeitsplätze anbieten und/oder über Kapital verfügen. Bis heute ist nicht minder wahr, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die über Vermögen verfügen – sei es Geld, Immobilien, Firmen oder andere Vermögenswerte, nicht zuletzt an den Finanzmärkten. Manche von ihnen können dieses Vermögen gar für sich arbeiten lassen. Währenddessen gibt es auf der anderen Seite Menschen, die nur oder überwiegend über jenes Geld verfügen können, das sie mit ihrer Arbeit verdienen.
Großer Fortschritt
Proletariat ist inzwischen zu einem Schimpfwort geworden, aber heutige Beschäftigte haben mit den ProletarierInnen von damals eins gemeinsam: Sie bieten ihre Arbeitskraft an. Freilich gibt es auch unter ihnen jene, die mehr verdienen, und jene, die weniger verdienen. Jene, die verhältnismäßig sichere Arbeitsplätze haben, und jene, die sich durch das Prekariat kämpfen. Jene, die Arbeit haben, und jene, die verzweifelt einen Job suchen. Zugleich ist ein großer Unterschied und Fortschritt im Vergleich zum 19. Jahrhundert feststellbar: Es gibt einen Wohlfahrtsstaat, der die Menschen vor bestimmten Risiken schützt, ihnen bessere Chancen ermöglicht und der Ungleichheit in der Gesellschaft entgegenzuwirken versucht.
Dieser Wohlfahrtsstaat kann allerdings nur dann funktionieren, wenn er auch mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Von daher muss die Frage erlaubt sein, ob denn alle entsprechend ihrer Möglichkeiten einen Beitrag dazu leisten. Die bittere Antwort lautet: Davon sind wir weit entfernt. Denn der österreichische Sozialstaat wird zu 80 Prozent von ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen finanziert, aber nur in einem minimalen Ausmaß von Unternehmen und Vermögenden. Noch bitterer ist die Tatsache, dass die Regierung momentan daran arbeitet, dieses Ungleichgewicht weiter zu verschärfen (siehe „Verteilung von unten nach oben“).
Eins muss klar sein: Wer den Wohlfahrtsstaat beschneidet, spart genau an jenem Instrument, das für eine gerechte Verteilung des Wohlstands sorgt. Letzterer ist nämlich auch in Österreich weiterhin ungleich verteilt. Der Sozialstaat greift hier ausgleichend ein – und das durchaus mit großem Erfolg. Das bedeutet aber keinesfalls, dass alles in bester Ordnung wäre. Denn so traurig es ist: Gerade das Bildungssystem sortiert jene aus, deren Eltern nicht genug verdienen, deren Eltern nicht in den Genuss von höheren Bildungschancen gekommen sind, deren Eltern aus anderen Ländern nach Österreich gekommen sind, um am österreichischen Wirtschaftswunder mitzuwirken. Selbst die großen Bildungsreformen der Ära Kreisky haben hier keine grundlegende Veränderung gebracht, auch wenn sie zweifellos vieles zum Positiven verändert haben.
Diskriminierung
Unterm Strich bleibt: Nicht alle Kinder in Österreich haben die gleichen Chancen. Und der Grund dafür ist nicht ihr mangelndes Talent, nicht ihr mangelnder Leistungswillen oder gar ihre ethnische oder kulturelle Herkunft. Die Gründe dafür sind die finanziellen Ressourcen und die Bildungsherkunft ihrer Eltern. Man mag es Klasse nennen oder soziale Schicht oder gerne einen noch besseren Begriff dafür finden. Tatsache ist: Immer noch werden Kinder ihrer sozialen Herkunft nach unterschiedlich behandelt. Besser gesagt: Es werden jene schlechter behandelt, deren Eltern finanziell schwerer über die Runden kommen – die aber gesellschaftlich wertvolle Tätigkeiten verrichten, sei es am Bau, in der Reinigung oder in Gesundheit und Pflege, um nur die plastischsten Beispiele zu nennen.
Man mag es Klassenkampf nennen oder einen passenderen Begriff dafür finden: Es geht darum, dass die Politik von Gewerkschaften und AK ein Ziel verfolgt: dass alle Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können, dass alle die gleichen Chancen haben, um später ein erfolgreiches Berufsleben führen zu können – oder ein gutes Leben, Punktum. Die Schule sollte dafür die Voraussetzungen liefern. Das tat sie aber bisher schon nicht, wie die OECD – eine Institution, die des Klassenkampfs völlig unverdächtig ist – immer wieder anprangert und wie dies auch andere Bildungsstatistiken Österreich seit Jahren bescheinigen.
Zweifellos hat sich viel verbessert. Heute haben mehr Menschen aus sozial schwächeren Familien bessere Aufstiegschancen. Man ist nicht mehr automatisch zu einem Leben als HilfsarbeiterIn oder Knecht verdammt, nur weil es schon die Eltern, die Großeltern und die Urgroßeltern waren. Dass dem so ist, dazu hat gerade der Wohlfahrtsstaat beigetragen und tut es auch heute noch. Aber dieser gehört weiterentwickelt und an die Anforderungen der heutigen Zeit angepasst. Stichworte dazu sind etwa prekäre Beschäftigung oder Pflege. Dafür muss er aber auch mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet sein – womit wir wieder bei den unterschiedlichen Interessen sind. Denn es tragen eben nicht alle ihren Verhältnissen entsprechend dazu bei, dass dieser Wohlfahrtsstaat auch die finanziellen Möglichkeiten hat, um seine Ziele zu erfüllen.
Es ist aber eine Frage der Gerechtigkeit, dass nicht nur jene Einkommen belastet werden, die man durch Arbeit sauer verdient hat. Anders ausgedrückt: Es geht um Verteilungsgerechtigkeit. Es geht darum, wer am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand teilhaben kann, und darum, dass davon nicht nur jene profitieren, die ohnehin schon bessere Startbedingungen haben.
Verteilungskampf
Was hat das nun mit Arbeitskampf zu tun? Nun, Kollektivvertragsverhandlungen sind auch eine Methode, um eine gerechte Verteilung zu erreichen, in dem Fall zwischen Arbeit und Kapital, so altmodisch dies klingen mag. Es geht darum, dass bei diesen Verhandlungen an einer Schraube gedreht wird, nämlich an jener der Löhne und Gehälter. Dieses Jahr besteht enormer Handlungsbedarf. Denn die Regierung hat mit dem 12-Stunden-Tag eine Regelung beschlossen, die massiv zulasten der ArbeitnehmerInnen geht. Somit besteht die große Herausforderung darin, den Arbeitgebern nun wieder eine faire Gegenleistung abzuringen. Kann sein, dass dafür kein Arbeitskampf nötig ist. Kann aber auch nicht sein.
KV-Verhandlungen sind nur eine Schraube, so zentral diese auch ist, um einen Interessenausgleich zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern zu erreichen. Damit Österreich dem Anspruch näherkommen kann, eine gerechte Gesellschaft zu sein, muss an vielen weiteren Schrauben gedreht werden, allen voran in der Bildungspolitik. Man mag das Klassenkampf nennen. Aber wenn Klassenkampf bedeutet, dass man sich für eine gerechte Gesellschaft einsetzt: Ja, dann soll es so sein.
Sonja Fercher
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.
Fotos: Michael Mazohl
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Regierungspläne
Streichung der Notstandshilfe
Nach Ende des Arbeitslosengeldes sollen BezieherInnen in Zukunft nicht mehr die Notstandshilfe bekommen. Stattdessen plant die Regierung ein „Arbeitslosengeld neu“, das in die Mindestsicherung münden soll. Damit ist ein System analog zu Hartz IV in Deutschland vorgesehen. Die Folgen dort: Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit, Ausweitung des Niedriglohnsektors, deutliche Zunahme der Armut.
Mehr: tinyurl.com/y9xfskyz
Nachlese: tinyurl.com/ybc2fjma
Kürzungen bei der Mindestsicherung
Massive Leistungsverschlechterungen durch Kürzung der generellen Leistungen, Erschwerung des Zugangs für Nicht-ÖsterreicherInnen. Die Folge: Bedürftige Menschen, die auf Leistungen im Rahmen der Mindestsicherung angewiesen sind, müssen künftig mit noch weniger Mitteln auskommen.
Mehr: tinyurl.com/ybtx96lf
Kürzungen bei der Arbeitsmarktförderung – zurückgerudert
Nach massiven Protesten ist die Regierung inzwischen zurückgerudert. Statt 1,251 Milliarden Euro sollte das Budget des AMS ursprünglich nur noch eine Milliarde Euro betragen. Mitte September hat die Regierung angekündigt, dass dies wieder vom Tisch ist. Mit dem Finanzministerium gibt es aber noch keine Einigung.
Aus für Jobprogramm für Langzeitarbeitslose
Die Aktion 20.000 richtete sich an jene Menschen, die es besonders schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Dazu zählen insbesondere Langzeitarbeitslose, die älter als 50 Jahre sind. Trotz des großen Erfolges hat die Regierung diese Maßnahme gestrichen. Damit vergibt die Regierung eine Riesenchance, die Arbeitslosigkeit auch für Menschen, die von den Unternehmen wegen ihres Alters nicht mehr beschäftigt werden, zu senken. Die Aktion 20.000 müsste ausgeweitet, statt abgeschafft werden.
Nachlese: tinyurl.com/yce2jxaa
Familienbonus
Diese Maßnahme ist sowohl in verteilungs- als auch in frauenpolitischer Hinsicht problematisch. Wer monatlich netto weniger als 1.065 Euro verdient, erhält für sein Kind keinerlei steuerliche Erleichterung. Gutverdienende bekommen sechsmal so viel pro Kind wie Alleinerziehende. Arbeitslose und andere armutsgefährdete Haushalte gehen leer aus. Innerhalb der Familie wird der Steuerbonus vielfach den Vätern zufallen, denn Frauen haben häufig kein ausreichend hohes Einkommen, um vom Familienbonus zu profitieren.
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Kürzungen bei der Unfallversicherung
Schon jetzt tragen Arbeitgeber die Kosten für Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen bei Weitem nicht zur Gänze. Die Regierung plant, den Unfallversicherungsbeitrag noch weiter abzusenken und die Rechnung durch die Versicherten bezahlen zu lassen. Denn die AUVA, die letztlich eine Haftpflichtversicherung für Unternehmen ist, soll plötzlich über die Krankenkasse von den Beschäftigten finanziert werden.
Senkung der Körperschaftsteuer
Diese Maßnahme ist insbesondere für große Unternehmen von Vorteil. Konkret hat die AK berechnet, dass vier Fünftel der Steuerentlastung auf die bestverdienenden fünf Prozent entfallen. Dies reißt eine Lücke ins Budget, sodass Mittel für eine Entlastung der ArbeitnehmerInnen, soziale Dienstleistungen oder öffentliche Investitionen fehlen. Stellt man diese Maßnahme zudem der Entlastung der ArbeitnehmerInnen gegenüber, so ergibt sich für Unternehmen eine Entlastung von einem Drittel, für ArbeitnehmerInnen von weniger als sechs Prozent.
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Mehr soziale Selektion im Bildungssystem
Statt die starke soziale Selektion, die das österreichische Bildungswesen charakterisiert, zu bekämpfen, setzt die Regierung Maßnahmen, mit denen diese noch weiter verschärft wird. So soll es in der Neuen Mittelschule wieder zwei Leistungsgruppen geben. Der durch die vorige Regierung initiierte Ausbau der Ganztagesbetreuung in Schulen wird verzögert.
Senkung der Steuer- und Abgabenquote
Die Steuer- und Abgabenquote soll auf 40 Prozent des BIP gesenkt werden. Dies würde einem Volumen im zweistelligen Milliardenbereich entsprechen. Die Finanzierung des Steuerausfalls soll durch „ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen“ erfolgen. Konkrete Maßnahmen nennt die Regierung allerdings nicht. Klar ist jedoch eines: Mit den Einnahmen werden wichtige sozialpolitische Leistungen finanziert, von der kostenfreien Bildung über die Krankenversorgung für alle bis hin zur Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur. Diese sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und könnten sich viele in dieser Qualität nicht leisten.
Mehr: tinyurl.com/y8el9bk8
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18. Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen
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