Im Jahr 2005 ist Kreutzberger zum ÖGB-Verlag dazugestoßen – zum zweiten Mal. Doch seine Biografie ist so bewegt, dass selbst er bisweilen nachdenken muss, um die Stationen in der richtigen Reihenfolge aufzuzählen. Was sich an seinem Lebenslauf als gelernter Schriftsetzer ablesen lässt, sind die enormen Entwicklungen und Umbrüche in der Wirtschaft und Arbeitswelt der letzten Jahrzehnte. „Damit habe ich auch noch gelernt“, sagt er lachend, als er ein historisches Bild eines Setzers mit Bleibuchstaben sieht. Sowohl die Technik als auch die Arbeitswelt haben sich seit seiner Lehre massiv verändert. Zuletzt sorgte die Digitalisierung für den momentan größten Umbruch, der viele Berufsbilder in seiner Branche endgültig verschwinden ließ.
Hände und Augen: Das sind die wichtigsten Werkzeuge geblieben. Zusätzlich musste man als SetzerIn in Mathematik firm sein, denn es musste viel gerechnet werden, als man noch nicht mit dem Finger in die Tastatur hackte und den Cursor über den Bildschirm bewegen konnte, um den Text richtig zu setzen oder Korrekturen vorzunehmen. In den Zeiten des Bleisatzes hielt man jene Textzeilen noch in Händen, die man zuvor gesetzt hatte. Somit konnte man sehen, wo man Anpassungen vornehmen musste, damit der Text gut „fällt“, sprich so gut über die Zeilen und Spalten verteilt ist, wie in der vorliegenden A&W. Dafür dürfen etwa die Abstände zwischen den Buchstaben nicht zu groß sein, Wörter müssen an der richtigen Stelle abgetrennt oder Absätze gemacht werden.
Fallende Buchstaben
Als Kreutzberger die erste Ausgabe der A&W aus dem Jahr 1923 aufschlägt, stellt sein geschultes Auge sofort fest: „Das ist schon im Maschinensatz gesetzt worden.“ Dieser war die nächste technische Weiterentwicklung und ermöglichte es, die Bleibuchstaben über eine Tastatur zu setzen. Dabei wurde offenbar nicht immer darauf geachtet, wie der Text fällt, sondern die Buchstaben fielen, wie sie eingetippt wurden. „Ich kenne keinen Schriftsetzer, der diesen Beruf wirklich gelernt hat, der so etwas gemacht hätte“, erklärt Kreutzberger seine Reaktion auf den historischen Text.
Auf den Bleisatz folgte der Foto- oder Lichtsatz. Dieser funktioniert ganz so wie die analoge Fotografie. Doch statt einer Landschaftsaufnahme oder eines Porträts kamen Buchstaben auf die Negative, statt eines Fotos wurde anschließend der Text belichtet und so auf Papier gebracht. Die neue Art des Setzens war zwar eine technische Weiterentwicklung, allerdings bedeutete diese anfangs auch, dass man den Text zunächst tatsächlich blind setzte. Deshalb musste vorher gerechnet werden, was das Zeug hielt, um nachher ein gutes Ergebnis zu bekommen. „Wir waren eine der ersten Firmen, die mit dem Fotosatz begonnen haben“, erinnert sich Kreutzberger an einen seiner früheren Jobs. Für ihn hieß es umlernen, denn nun waren Fotografiekenntnisse zusätzlich gefragt.
In dieser Zeit begann für Kreutzberger der Weg in Richtung Bildschirm: „Da gab es eine kleine Leuchtanzeige, ein winziges Fenster, wo man immer die letzten fünf Buchstaben gesehen hat“, erzählt er und lacht bei diesem Gedanken auf. „Da hast du vorher immer alles ganz genau ausrechnen müssen. Da hast du sagen müssen: Das kommt auf Position sowieso, hat diese Größe, diese Schrift, diese Auszeichnung – also fett, halbfett oder kursiv.“ Und wehe, man vertippte sich, denn im Fotosatz wurde auch gleich ein Film belichtet. „Dann hast du von vorne anfangen müssen. Das war schon eine feine Hack’n“, meint er lachend.
Bildschirmanfänge
Mit den ersten Computern hielt auch in der Grafikbranche jene Entwicklung Einzug, die inzwischen in der gesamten Arbeitswelt Alltag ist. Allerdings ist der Begriff Computer im Falle von Kreutzbergers erstem Exemplar mit Vorsicht zu genießen, denn mit einem heutigen PC hatte das noch wenig zu tun. „Die haben einen grünen Bildschirm gehabt, auf dem du eine gewisse Zeit gesehen hast, was dort gerade passiert, und dann ist es wieder verblasst.“ Zudem ließ sich die Arbeit auf Band speichern. Dieses diente noch nicht dazu, um die Arbeit darauf auch anderen zugänglich zu machen. Aber es war immerhin eine Sicherung, die hilfreich war, wenn man einen Fehler gemacht hatte: „Dann hat man das Band wieder auslesen und was korrigieren können. Das war schon ein Fortschritt.“
Schließlich war es dann so weit: Der erste Computer im heutigen Sinne wurde das Werkzeug des nun zum Layouter gewordenen Schriftsetzers. Erneut hieß es für Kreutzberger umlernen. Ob er damit eigentlich nie gehadert habe, ständig neue Techniken zu lernen? „Ich hab das eigentlich immer als spannend empfunden“, antwortet der Grafiker. Er ergänzt allerdings: „Gut, ich war jung.“ Nicht allen Kollegen fiel die Umstellung leicht, erinnert er sich: „Wir haben natürlich Kollegen gehabt, vorwiegend ältere, die darunter wirklich gelitten haben, weil für die war der Umstieg natürlich enorm.“
Kein Wunder, immerhin war über Jahrzehnte die gleiche Technik zum Einsatz gekommen, nur dass mit dem Maschinensatz eine Automatisierung vollzogen worden war. „Die Kollegen haben 30, 40 Jahre so gearbeitet, da hat es vorher nichts anderes gegeben“, hält er fest. Doch dann war plötzlich alles neu. Viele seiner Kollegen sind auch arbeitslos geworden, erzählt Kreutzberger. „Sie haben den Sprung zu den Lichtsatzgeräten, die den Bleisatz ziemlich verdrängt haben, nicht mehr geschafft. Für viele war das sicher die Hölle“, meint er. Immerhin ist das Berufsbild innerhalb von wenigen Jahren völlig verschwunden – und es ist nicht das einzige.
Ausschneiden und platzieren
Die Arbeitswelt hat sich massiv verändert und nicht immer nur zum Positiven, darin ist sich Kreutzberger mit Sonja Adler einig. Die Redaktionsassistentin der A&W stieß im Jahr 2002 dazu und hat noch das Klebelayout miterlebt. Mit diesem nach Bastelei anmutenden Begriff ist gemeint, dass der Redakteur die einzelnen Elemente einer Zeitungsseite als einzelne Papierausdrucke bekam. „Er hat das ausgeschnitten und platziert“, erläutert Kreutzberger, und Adler ergänzt: „Damit das am Ende wirklich so ist, wie die Seite ausschauen soll.“ Im Falle der A&W machte diese Arbeit nicht der Redakteur, sondern ein weiterer Kollege: „Der ist immer ein, zwei Wochen im Monat gekommen, um das zu machen“, erinnert sich Adler. Mit dem Ende des Klebesatzes wurde auch der Arbeitsplatz in der A&W hinfällig, glücklicherweise war der Kollege da bereits in Pension.
Adler spricht weitere Veränderungen an, von denen natürlich auch der ÖGB-Verlag nicht verschont wurde. Denn als sie im Jahr 2002 in einem Büro im Dachgeschoß der Hohenstaufengasse begann, war sie nur für die A&W zuständig. Das ist inzwischen anders – wie bei vielen anderen Beschäftigten auch. Um es neutral auszudrücken: Durch neue technische Möglichkeiten lassen sich Tätigkeiten schneller erledigen oder werden überhaupt vom Computer durchgeführt, weshalb Kapazitäten frei wurden und den ArbeitnehmerInnen neue Aufgaben zugeteilt wurden. Dazu kommt, dass bestimmte Berufsbilder eben verschwunden sind, manche Tätigkeiten aber übriggeblieben sind. Diese wiederum wandern oftmals in die Agenden der bestehenden Belegschaft. „Sekretärinnen müssen heute viel mehr machen“, meint auch Adler.
Kreutzberger blickt kopfschüttelnd zurück: „Wenn du daran denkst, wie viele verschiedene Berufssparten an einem Produkt gearbeitet haben, und es war eigentlich überhaupt kein Thema, dass das bezahlt wird. Und heute macht man alleine fünf Berufe und es ist trotzdem zu teuer. Diese Entwicklung ist schon krank. Wirklich krank.“ Nicht nur die SchriftsetzerInnen wurden von den LayouterInnen ersetzt, rundherum wurde durch Automatisierung Personal abgebaut. Denn zusätzlich zum Fotografen gab es zuvor einen Lithografen, der für das „Setzen“ der Bilder zuständig war, dazu kam die Retusche, also die Fotomontage. Heute sind Teile dieser Tätigkeiten zu den FotografInnen und LayouterInnen gewandert – oder gar zu RedakteurInnen, die oftmals selbst Fotos schießen oder andere Formate bis hin zum Video bespielen müssen.
Freude bei der Arbeit
Trotz aller Wehmut: Noch heute kommen beide ins Schwärmen, wenn sie an die Zeit zurückdenken, als Computer und das Internet Einzug in ihren Arbeitsalltag gehalten und diesen erleichtert haben. Was ihnen jedoch fehlt: der persönliche Kontakt und die damit verbundene Kommunikation. Denn es ist eben diese, die einem Arbeitsplatz erst jene Qualität verleiht, die Beschäftigte auch gut arbeiten lässt. Dass das nicht auf Kosten der Arbeit gehen muss, weiß Kreutzberger aus Erfahrung: „In der Druckerei waren nicht nur zwei Leute, sondern wir waren 20 in einer Gasse – so hat das geheißen. Da ist ’kudert und g’lacht worden – und die Arbeit wurde trotzdem gemacht.“
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Für einen fairen Wandel
Welche Berufe laufen eigentlich durch die Digitalisierung Gefahr zu verschwinden? An sich haben jene Berufsbilder die besten Zukunftschancen, die nur schwer automatisierbar sind, schreibt AK-Expertin Sylvia Kuba in ihrem Beitrag zum Buch „Überall ist Zukunft“. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass es sich nur um hoch qualifizierte Tätigkeiten handelt. Auch persönliche Dienstleistungen können nicht so einfach von Maschinen ersetzt werden, selbst wenn Dinge wie der Pflegeroboter längst nicht mehr der Science-Fiction angehören. Gerade die Pflege ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie Technik eingesetzt werden kann, um Beschäftigte zu entlasten und ihnen mehr Zeit für andere Tätigkeiten zu lassen, etwa für die persönliche Ansprache der PatientInnen.
Die Digitalisierung selbst hat nicht automatisch zur Folge, dass die Beschäftigung sinkt. In einer Studie ging die nunmehrige GPA-djp-Geschäftsführerin Agnes Streissler-Führer der Frage nach, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Beschäftigungswachstum gibt. Das Fazit: Der Zusammenhang ist jedenfalls nicht eindeutig, denn die Entwicklung am Arbeitsmarkt wird natürlich von vielerlei Faktoren beeinflusst. Stichworte sind etwa der demografische Wandel oder veränderte Konsumgewohnheiten, die neue Jobs entstehen lassen. Im Bankbereich wiederum hatte die Finanzkrise logischerweise einen negativen Einfluss. Die Digitalisierung selbst habe insgesamt zu mehr Beschäftigung geführt (siehe auch Interview).
„Kein Grund zur Sorge?“, fragt die Gewerkschafterin, um diese Frage sogleich negativ zu beantworten. „Denn zum einen wissen wir nicht, wie die Qualität der neu entstehenden Arbeitsplätze ist. Und zum anderen wissen wir, dass in den kommenden Jahren gerade in den mittleren Qualifikationen große Umbrüche entstehen.“ Diese Veränderungen machten Um- und Weiterqualifizierungen nötig. Die Verantwortung dafür dürfe allerdings keinesfalls nur den Beschäftigten umgehängt werden. „Im Gegenteil: Die Gewinne, die aus der Digitalisierung gezogen werden, müssen einen wesentlichen Beitrag zu diesen Qualifizierungskosten leisten. Sei es, indem die Unternehmen bereits intern proaktiv und vorausschauend ihre Belegschaft für die Digitalisierung fit machen, oder sei es, indem über höhere bzw. effektivere Besteuerung von (Digitalisierungs-)Gewinnen zusätzliche Steuereinnahmen für das Bildungssystem generiert werden“, hält Streissler-Führer fest.
Angesichts der negativen Entwicklungen in der Arbeitswelt zeigt sich die Streissler-Führer kämpferisch. Gewerkschaften müssten alle „Mittel des Arbeitsrechts, der Kollektivverträge und der betrieblichen Mitbestimmung dazu nutzen, Digitalisierung mitzugestalten“. Dafür definiert sie vier Ziele: Digitalisierung muss human und sozial erfolgen; der Mensch muss die Technik bestimmen und nicht umgekehrt; für alle Menschen, „die mit Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen“, muss es, „ein gutes Mindestmaß an Arbeits-, Sozial- und Koalitionsrechten“ geben; all jene, die mit dem Wandel nicht mithalten können, müssen „noch immer sinnstiftende und adäquat abgesicherte Beschäftigung haben“.
Optionen für gute Arbeit
Über die Zukunft der Arbeit angesichts der Digitalisierung lässt sich trefflich spekulieren. Viele negative Entwicklungen zeichnen sich jetzt schon ab. Zu den atypischen Beschäftigungsformen haben sich Wirtschaftsformen wie die Gig-Economy gesellt, bei der Dienstleistungen über Plattformen im Internet vermittelt werden.
Zahlreiche Entwicklungen sind problematisch, wie Jörg Flecker im Buch „Überall ist Zukunft“ festhält. Über die Industrie 4.0 meint er gar, dass diese „weitgehend ein neoliberales Programm“ sei, „mit dem Flexibilitäts- und Anpassungsdruck auf die Arbeitenden ausgeübt wird“. Umso wichtiger sei es, dass Gewerkschaften sich entschieden für gute Arbeit einsetzen.
In seinem Beitrag legt der Soziologe zwei Optionen dafür dar. Die erste hat die Verbesserung der Qualität der Arbeit zum Ziel. Dies bedeutet für ihn: „weniger körperliche und psychische Belastungen, lernförderliche Arbeit, alternsgerechte Arbeitsgestaltung, faire Aufteilung unbeliebter Arbeiten, Chancengleichheit, Vermeidung von Nachtarbeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc.“ Die zweite Option hat den Ausbau der Beschäftigung zum Ziel, der mit einer Arbeitszeitverkürzung einhergehen könnte. Sein Fazit: „Die Gestaltung und den Einsatz der Technik strikt an gesellschaftlichen Zielen aufzuziehen, wäre eine technologiepolitische Option – und könnte zu einer echten industriellen Revolution führen.“
Auch die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik stehen vor großen Herausforderungen. AK-Experte Gernot Mitter legt in seinem Beitrag Reformvorschläge vor. Unter anderem regt er einen erweiterten ArbeitnehmerInnen-Begriff an, in den er Freelancer, Scheinselbstständige, WerkvertragsnehmerInnen und jene Arbeitsformen, „die ihnen ähnlich sind“, miteinbezieht. Dieser wäre Grundlage für die soziale Absicherung.
Zusätzlich schlägt der AK-Experte eine neue Geldleistung vor, und zwar für den Fall von „fehlender oder nicht (mehr) nachgefragter Qualifikation“. Diese soll den Betroffenen „auch längere Weiterbildungsphasen für das Erlernen eines neuen Berufes oder eines auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten qualifikatorischen Fertigkeits- und Fähigkeitsbündels“ ermöglichen.
In der von Mitter entworfenen Arbeitsmarktpolitik 4.0 spielen Aus- und Weiterbildungen natürlich eine wichtige Rolle. Diese müssten stärker individualisiert angeboten werden, so der AK-Experte. „Das erfordert unter anderem vor allem den Aufbau von quantitativ und qualitativ ausreichender Bildungs- und Bildungswegberatung sowie von Unterstützungsangeboten, wenn Probleme während bzw. mit den Bildungsmaßnahmen bewältigt werden müssen.“ Zudem müsse die Arbeitsmarktpolitik Instrumente entwickeln, um den technologischen Wandel zu begleiten.
Die dritte Säule besteht darin, auch für jene Menschen eine Teilhabe an der Erwerbsarbeit zu sichern, die „Vermittlungseinschränkungen“ haben. Als Vorbild nennt Mitter die Aktion 20.000. Nicht zuletzt regt Mitter an, dass sich die Arbeitsmarktpolitik die neuen Technologien zunutze macht, um Arbeitslose erfolgreicher vermitteln zu können.
Sonja Fercher
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/18.
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