Wer zu Österreich gehört, ist allerdings eine andere Frage. Die Präambel beschwört zwar die „individuelle Verantwortung […] gegen jeden Versuch einer Diskriminierung oder Spaltung entschlossen aufzutreten“. Sehr im Gegensatz dazu setzt das Regierungsprogramm aber einen Schwerpunkt auf „wir“ versus „die anderen“. Das spiegelt sich hier wortreich wider: 46 Mal geht es um Asyl oder Migration, also Menschen, die von woanders herkommen. Was diese zu tun haben, darüber wird kein Zweifel gelassen: Mehr als 60 Mal ist von Integration die Rede. Menschenrechte spielen dagegen mit neun Erwähnungen eine ziemlich untergeordnete Rolle.
Erst recht zum Schattendasein verurteilt ist die Solidarität mit gerade einmal fünf Zählern im Regierungsprogramm. Sehr anschaulich zeigt sich das an der Mindestsicherung. Dort soll es für Asylberechtigte eine deutliche Reduktion gegenüber InländerInnen geben, obwohl der Verfassungsgerichtshof eine solche unsachliche Unterscheidung gerade wieder als unzulässig anerkannt hat.
Trennendes vor Gemeinsames
Auch im Bildungskapitel wird gerne getrennt – und bewertet. So wird schon in der Elementarpädagogik (vulgo Kindergarten) auf Werte und die verbindliche Vermittlung der Verfassungs- und Gesellschaftsordnung gepocht. Wie das bei Drei- bis Fünfjährigen sinnvoll erfolgen kann, bleibt offen. Klar ist nur, dass es beim Verstoß gegen besagte Werte verstärkte „Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten“ geben soll.
Außerdem soll es ein zweites verpflichtendes Vorschuljahr geben. Entsprechend dem Konzept, Trennendes hervorzuheben, gilt dieses nur für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen. Beim Formulieren dieser Forderung dürfte nicht unbedingt präsent gewesen sein, dass sich bei der bisher einzigen Sprachstandserhebung unter Vierjährigen herausstellte, dass die Mehrzahl der förderbedürftigen Kinder autochthone ÖsterreicherInnen waren – und dass keiner so recht weiß, wie man nun bei Dreijährigen einen Sprachförderbedarf sinnvoll feststellen soll.
Fordern statt fördern
In dieser Weltsicht ist es durchaus schlüssig, dass es für Schulkinder mit Sprachproblemen eigene Deutschklassen ohne Einbindung in den Regelunterricht geben soll. Die weitgehende Abschottung ist dem Deutschlernen allerdings nur bedingt zuträglich, da dafür der Sprachaustausch mit gleichaltrigen SchülerInnen essenziell ist. Wesentlich sinnvoller wäre eine gleichzeitige Förderung von Erst- und Zweitsprache mit einer Kombination von Sprach- und Fachunterricht. Auch fehlt eine Evaluation der bereits bestehenden Sprachförderkurse. Man weiß also nicht, welche Sprachmaßnahmen bisher erfolgreich waren und welche nicht. Lernen, wie Kinder am besten lernen, scheint nicht das zentrale Anliegen zu sein.
Selektiert wird aber nicht nur bei Kindern anderer Herkunft, sondern generell: Mit den Talente-Checks soll bereits am Ende der 3. Schulstufe – also bei Achtjährigen – festgestellt werden, wer für höhere Schulen geeignet ist und wer nicht. Grundprinzip im Bildungskonzept der Regierung sind viele Testungen ohne ausgleichende Förderungen: Selektion als durchgängiges Prinzip.
Was nicht bedeutet, dass Förderungen im Regierungsprogramm nicht erwähnt werden – mehr als 300 Mal kommt der Begriff vor! Dabei geht es allerdings sehr häufig um Unternehmen. Nur jedes zwölfte Mal ist damit die Unterstützung von Kindern oder Jugendlichen gemeint. Da ist es dann nur stimmig, dass die Mittel für Integration an den Schulen im aktuellen Budget um die Hälfte gekürzt wurden.
Strafen und Sanktionen
Stattdessen wird auf „Law and Order“ gesetzt, mehr als 100 Mal werden Strafen oder Sanktionen erwähnt. Auch bei jungen Menschen ist man nicht zimperlich: „Verschärfungen der Bestimmungen und Sanktionen für Eltern bei Sozialleistungen bei Schulpflichtverletzung oder bei Missachtung von Aufgaben und Pflichten“ setzt sich das Regierungsprogramm zum Ziel.
Bei Unternehmen heißt es hingegen: „Zur Verhinderung von Strafexzessen soll das Kumulationsprinzip überarbeitet werden“. Gemeint ist damit die Verletzung von Schutzbestimmungen wie Arbeitszeitregeln oder Gesundheitsschutz. Dass schon jetzt nur in 1,4 Prozent aller Fälle, in denen das Arbeitsinspektorat Übertretungen feststellt, Strafen verhängt werden, scheint der Regierung noch immer zu viel zu sein.
Schutz ist ein positiver Begriff und soll dementsprechend in einigen Bereichen ausgeweitet werden: selbstredend bei den Außengrenzen, ebenso bei Eigentum und Geschäftslokalen. Geht es aber darum, dass arbeitssuchende Menschen ein Berufs- und Entgeltschutz zugestanden wird, um nicht jeden noch so miesen Job annehmen zu müssen, geht es genau in die andere Richtung. „Stärkere Arbeitsanreize“ lautet die Formel, hinter der letztlich nichts anderes steht als der Abbau dieser Schutzbestimmungen. Und was für Kindergarten- und Schulkinder als richtig betrachtet wird, darf auch bei Arbeitslosen nicht fehlen, nämlich die Sanktionen, deren Wirksamkeit erhöht werden soll. Apropos Parallelen zur Schule: Auch beim Arbeitsmarkt werden die Mittel für Deutschkurse gekürzt. Fordern statt fördern scheint hier das Motto zu sein.
Richtig wirksam als Sanktion wird es sein, wenn die Notstandshilfe mit der Mindestsicherung „harmonisiert“ wird. Das lässt eine Übernahme des höchst problematischen Hartz-IV-Systems befürchten, was auf eine Enteignung von länger arbeitslosen Menschen hinausläuft. Der Schutz von Eigentum gilt eben nicht für jene, die die Brutalität des Arbeitsmarktes – vor allem Älteren gegenüber – zu spüren bekommen.
Dass die Arbeitslosigkeit durch höheren (auch finanziellen) Druck auf Arbeitslose behoben werden kann, ist aber erstens falsch und zweitens rückschrittlich. Weder die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes noch die Verschärfung der Zumutbarkeit (Wegzeiten, Entgeltschutz) sind Antworten auf fehlende Arbeitsplätze oder auf Vermittlungsprobleme wegen mangelnder beruflicher Qualifikation. Es sollte eben die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und nicht die von arbeitslosen Menschen im Zentrum der Regierungspolitik stehen.
Gleichmacherei ist der Regierung Sache nicht. „Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen, ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden.“ Diesem Ansatz folgend werden bei der Verantwortung von Frauen in „lebensentscheidenden Bereichen“ vorrangig Erziehung, Pflege, Bildung genannt. Kinder und Fürsorge sind schließlich weibliche Domänen.
Befremdlich ist, dass Frauen mit Migrationshintergrund sowohl im Integrations-, als auch im Frauenkapitel als hilflos und von ihren Männern unterdrückt dargestellt werden. Mit Maßnahmen der Gewaltprävention sollen diese Frauen „befreit werden“ und mittels Werteschulungen soll die österreichische weibliche Bevölkerung „beschützt werden“.
Frauenthemen, aber kein Budget
Die Regierung spricht sich aber auch für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, Gleichstellung am Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit für Frauen aus. Konkrete Maßnahmen sucht man allerdings vergeblich. Auch das diesjährige Frauenbudget mit gerade einmal 10,2 Millionen – das sind etwas über zwei Euro pro Frau in Österreich – wird hier wenig bewegen.
Allerdings wartet die Regierung ja immer wieder mit Überraschungen auf, wie etwa dem kolportierten Sonderbudget in der Höhe von 42 Millionen Euro für Kanzler und Vizekanzler für 2018. Also wer weiß, vielleicht wartet als nächste Überraschung ja eine Vervierfachung des Frauenbudgets auf uns.
Zug um Zug zu einer „defekten“ Demokratie
Die offensichtlich angetragene Schwächung der Gegenmacht und der Medien ist ein Mosaikstein von vielen zur Schwächung der Demokratie. Weitere dieser Steine sind Verschärfungen im Strafrecht („Sicherheitspaket“, das man eigentlich besser „Verunsicherungspaket“ nennen sollte) und aller Voraussicht nach Gegen-Geschenke der Politik für Wahlspenden bzw. erfolgreiches Lobbying. Der Tourismussektor wird beispielsweise ohne jede Not und bei hohen Buchungszahlen um rund 120 Millionen pro Jahr im Rahmen des Doppelbudgets 2018/2019 entlastet. Bis 2021 ist eine Senkung der Körperschaftssteuer in Milliardenhöhe geplant – ein Schelm, wer sich an den Spruch „Wer das Geld hat, macht die Regeln“ erinnert fühlt. Wahrscheinlich ist es aus heutiger Sicht zu früh, von einer autokratischen Wende in Österreich zu sprechen. Leider aber verdichten sich die Zeichen in diese Richtung.
„Slim-fit-Sozialstaat“ funktioniert nicht
Das im Regierungsprogramm und bei Interviews oft strapazierte Bild eines „schlanken Staats“ mag auf den ersten Blick verlockend wirken. Die Senkung der Abgabenquote von 42 auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, weniger Bürokratie, Verschlankung von Strukturen: Ziele wie diese können möglicherweise beeindrucken. Mitunter entstehen Erwartungen an breite Steuersenkungen, besseres Service bei öffentlichen Dienstleistungen oder Träume von budgetären Spielräumen für Zukunftsinvestitionen – vielleicht für die eigenen Kinder.
Dieses vermeintlich hübsche Bild verblasst im Realitäts-Check ziemlich schnell und stellt sich als trojanisches Pferd erster Güte dar, vor allem beim Sozialstaat. Denn dieser funktioniert in der „Slim-fit-Version“ einfach nicht: Er passt weder für alle noch für verschiedene – oft schwierige – Lebenslagen. Österreich zählt zu den höchstentwickelten Sozialstaaten der Welt, und doch gibt es noch immer viel Luft nach oben. Herausforderungen wie die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft, unterschiedliche Startchancen im Leben, fehlende alternsgerechte Arbeitsplätze oder die fortschreitende Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sprechen für ein Mehr statt ein Weniger an sozialer Sicherheit. Darüberhinaus sichern und erhöhen die Sozialausgaben die Standortqualität.
Dass niedrigere Abgaben und Steuern auch auf Sicht – sieben Milliarden Euro pro Jahr weniger im Vergleich zu 2017 ist die errechnete Unterkante (!) – notgedrungen zu schlechteren und niedrigeren Leistungen führen, ist augenscheinlich. Diese mutwillige Unterfinanzierung wird sich in einem Konjunkturabschwung sogar noch ver-stärken und mittelfristig Reformdebatten lostreten, den (Sozial-)Staat weiter diskreditieren und die „Sparspirale“ erst so richtig ins Drehen bringen. Die Entlastung wird dabei den Vermögens- und Einkommensstarken zugutekommen, die Einsparungen hingegen werden die Mitte der Gesellschaft und ganz besonders die Schwächsten, die es ohnedies schwer haben, treffen. Letztendlich ist das ein Bild voller Schatten!
ArbeitnehmerInnenvertretungen „mundtot“ machen
Aber nicht nur die ArbeitnehmerInnen, auch ihre Interessenvertretungen kommen im Regierungsprogramm in jeder Hinsicht unter Druck. Die Gewerkschaften werden durch die geplante Verlagerung von Kompetenzen von der Kollektivvertrags- auf die Betriebsebene geschwächt. Die Arbeiterkammer wird gesetzlich wie materiell bedroht. Alles in allem ist das Bild „stimmig“: Die Interessen der (Groß-)Industrie und bestimmter Interessengruppen werden absehbar bedient. So soll unter anderem die Körperschaftssteuer für große Unternehmen in Milliardenhöhe gesenkt werden, Arbeitszeitlimits sollen geöffnet werden, und es soll weniger Kontrollen in der Arbeitswelt im Bereich des ArbeitnehmerInnenschutzes geben. Dafür sind Leistungsverbesserungen für BäuerInnen und Selbstständige in der Pensionsversicherung geplant. Für diese Vorhaben sind „Gegenmächte“ wie Gewerkschaften und Arbeiterkammer unliebsam und müssen offenbar entsprechend geschwächt werden.
Dass die 3,7 Millionen unselbstständig arbeitenden Menschen entgegen den Vorhaben der Bundesregierung eine starke Lobby für ihre berechtigten Anliegen und Sorgen verdienen, ist mehr als offensichtlich. Nicht nur das, es sollte selbstverständlich sein. Allein das zunehmende Machtgefälle zwischen einer Einzelperson und Unternehmen, die steigende Verunsicherung von Menschen und die Gefährdung des sozialen Ausgleichs machen starke ArbeitnehmerInnenvertretungen wichtiger denn je.
Spaltpilz für die Gesellschaft, Gefahr für alle
Wie (rechts)konservative und rechtsnationale Parteien in Europa zum Teil sehr subtil den Sozialstaat demontieren, zeigen die Erfahrungen in mittlerweile einigen Ländern. Sogar die skandinavischen Länder, für die der Sozialstaat über Jahrzehnte ein Wert für sich war, blieben davon nicht verschont. Die Rhetorik ist stets ähnlich: „Bessere Leistungen für UNSERE Leute, Kürzen bei AusländerInnen. Dann werden die Mittel frei für …“. Real umgesetzt werden dann erfahrungsgemäß Kürzungen bei den staatlichen Leistungen insgesamt – zuerst für die nicht alteingesessene Bevölkerung, auf Raten aber für alle, also auch die InländerInnen.
Bei dieser Diffamierungsstrategie wird kaum zwischen AusländerInnen aus den EU-Ländern, AsylwerberInnen/-berechtigten oder GrenzgängerInnen differenziert. Nach dem Motto: „Und is er ned von do, dann is ma wuascht von wo.“ Was die moralische Komponente solcher Vorschläge betrifft, spricht allein schon die Wortwahl Bände. Das brutale Auseinanderdividieren von In- und AusländerInnen, das bewusste Emotionalisieren gegen Randgruppen ist sowohl menschenfeindlich als auch demokratiepolitisch brandgefährlich. Österreich hat in den 1930er-Jahren doch genug leidvolle Erfahrungen mit diesem Zugang gemacht und sollte eigentlich über diese Art der Demagogie erhaben sein.
Sozialer Zusammenhalt sieht anders aus: Es geht um soziale Absicherung von Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind, und es geht um Solidarität. In einer entwickelten Gesellschaft sollten wechselseitiges Vertrauen und verlässliche Institutionen die Oberhand haben. Diskurse zu vermeintlichem Sozialmissbrauch/Sozialtourismus haben darin jedenfalls keinen Platz. Es sollten tragfähige Brücken zwischen den Menschen und zwischen dem Heute und dem Morgen gebaut werden!
Massiver Druck auf ArbeitnehmerInnen
Mit fadenscheinigen Argumenten, wie „die Menschen wollen ja zwölf Stunden arbeiten“ oder „Flexibilität bringt mehr Freizeit und Freiheit für die arbeitenden Menschen“, versucht die Bundesregierung, ihre einseitige Klientelpolitik zu legitimieren. Von den ArbeitnehmerInnen wird gefordert, noch flexibler zu werden, noch höheren Arbeitseinsatz zu zeigen. Statt die Arbeitszeiten in Richtung „gesunde“ Vollzeit für Beschäftigte weiterzuentwickeln oder innovative Arbeitszeit(verkürzungs)modelle zu fördern, riskiert die Bundesregierung durch die Anhebung der Höchstgrenzen der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (auf zwölf bzw. 60 Stunden) einen hohen gesellschaftlichen und ökonomischen Schaden. Das gilt für die Gesundheit der Menschen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Verfestigung von Arbeitslosigkeit und vieles mehr.
Sybille Pirklbauer
Mehr Infos: Adi Buxbaum
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.
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