Zug um Zug zu einer „defekten“ Demokratie
Die offensichtlich angetragene Schwächung der Gegenmacht und der Medien ist ein Mosaikstein von vielen zur Schwächung der Demokratie. Weitere dieser Steine sind Verschärfungen im Strafrecht („Sicherheitspaket“, das man eigentlich besser „Verunsicherungspaket“ nennen sollte) und aller Voraussicht nach Gegen-Geschenke der Politik für Wahlspenden bzw. erfolgreiches Lobbying. Der Tourismussektor wird beispielsweise ohne jede Not und bei hohen Buchungszahlen um rund 120 Millionen pro Jahr im Rahmen des Doppelbudgets 2018/2019 entlastet. Bis 2021 ist eine Senkung der Körperschaftssteuer in Milliardenhöhe geplant – ein Schelm, wer sich an den Spruch „Wer das Geld hat, macht die Regeln“ erinnert fühlt. Wahrscheinlich ist es aus heutiger Sicht zu früh, von einer autokratischen Wende in Österreich zu sprechen. Leider aber verdichten sich die Zeichen in diese Richtung.
„Slim-fit-Sozialstaat“ funktioniert nicht
Das im Regierungsprogramm und bei Interviews oft strapazierte Bild eines „schlanken Staats“ mag auf den ersten Blick verlockend wirken. Die Senkung der Abgabenquote von 42 auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, weniger Bürokratie, Verschlankung von Strukturen: Ziele wie diese können möglicherweise beeindrucken. Mitunter entstehen Erwartungen an breite Steuersenkungen, besseres Service bei öffentlichen Dienstleistungen oder Träume von budgetären Spielräumen für Zukunftsinvestitionen – vielleicht für die eigenen Kinder.
Dieses vermeintlich hübsche Bild verblasst im Realitäts-Check ziemlich schnell und stellt sich als trojanisches Pferd erster Güte dar, vor allem beim Sozialstaat. Denn dieser funktioniert in der „Slim-fit-Version“ einfach nicht: Er passt weder für alle noch für verschiedene – oft schwierige – Lebenslagen. Österreich zählt zu den höchstentwickelten Sozialstaaten der Welt, und doch gibt es noch immer viel Luft nach oben. Herausforderungen wie die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft, unterschiedliche Startchancen im Leben, fehlende alternsgerechte Arbeitsplätze oder die fortschreitende Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sprechen für ein Mehr statt ein Weniger an sozialer Sicherheit. Darüberhinaus sichern und erhöhen die Sozialausgaben die Standortqualität.
Dass niedrigere Abgaben und Steuern auch auf Sicht – sieben Milliarden Euro pro Jahr weniger im Vergleich zu 2017 ist die errechnete Unterkante (!) – notgedrungen zu schlechteren und niedrigeren Leistungen führen, ist augenscheinlich. Diese mutwillige Unterfinanzierung wird sich in einem Konjunkturabschwung sogar noch ver-stärken und mittelfristig Reformdebatten lostreten, den (Sozial-)Staat weiter diskreditieren und die „Sparspirale“ erst so richtig ins Drehen bringen. Die Entlastung wird dabei den Vermögens- und Einkommensstarken zugutekommen, die Einsparungen hingegen werden die Mitte der Gesellschaft und ganz besonders die Schwächsten, die es ohnedies schwer haben, treffen. Letztendlich ist das ein Bild voller Schatten!
ArbeitnehmerInnenvertretungen „mundtot“ machen
Aber nicht nur die ArbeitnehmerInnen, auch ihre Interessenvertretungen kommen im Regierungsprogramm in jeder Hinsicht unter Druck. Die Gewerkschaften werden durch die geplante Verlagerung von Kompetenzen von der Kollektivvertrags- auf die Betriebsebene geschwächt. Die Arbeiterkammer wird gesetzlich wie materiell bedroht. Alles in allem ist das Bild „stimmig“: Die Interessen der (Groß-)Industrie und bestimmter Interessengruppen werden absehbar bedient. So soll unter anderem die Körperschaftssteuer für große Unternehmen in Milliardenhöhe gesenkt werden, Arbeitszeitlimits sollen geöffnet werden, und es soll weniger Kontrollen in der Arbeitswelt im Bereich des ArbeitnehmerInnenschutzes geben. Dafür sind Leistungsverbesserungen für BäuerInnen und Selbstständige in der Pensionsversicherung geplant. Für diese Vorhaben sind „Gegenmächte“ wie Gewerkschaften und Arbeiterkammer unliebsam und müssen offenbar entsprechend geschwächt werden.
Dass die 3,7 Millionen unselbstständig arbeitenden Menschen entgegen den Vorhaben der Bundesregierung eine starke Lobby für ihre berechtigten Anliegen und Sorgen verdienen, ist mehr als offensichtlich. Nicht nur das, es sollte selbstverständlich sein. Allein das zunehmende Machtgefälle zwischen einer Einzelperson und Unternehmen, die steigende Verunsicherung von Menschen und die Gefährdung des sozialen Ausgleichs machen starke ArbeitnehmerInnenvertretungen wichtiger denn je.
Spaltpilz für die Gesellschaft, Gefahr für alle
Wie (rechts)konservative und rechtsnationale Parteien in Europa zum Teil sehr subtil den Sozialstaat demontieren, zeigen die Erfahrungen in mittlerweile einigen Ländern. Sogar die skandinavischen Länder, für die der Sozialstaat über Jahrzehnte ein Wert für sich war, blieben davon nicht verschont. Die Rhetorik ist stets ähnlich: „Bessere Leistungen für UNSERE Leute, Kürzen bei AusländerInnen. Dann werden die Mittel frei für …“. Real umgesetzt werden dann erfahrungsgemäß Kürzungen bei den staatlichen Leistungen insgesamt – zuerst für die nicht alteingesessene Bevölkerung, auf Raten aber für alle, also auch die InländerInnen.
Bei dieser Diffamierungsstrategie wird kaum zwischen AusländerInnen aus den EU-Ländern, AsylwerberInnen/-berechtigten oder GrenzgängerInnen differenziert. Nach dem Motto: „Und is er ned von do, dann is ma wuascht von wo.“ Was die moralische Komponente solcher Vorschläge betrifft, spricht allein schon die Wortwahl Bände. Das brutale Auseinanderdividieren von In- und AusländerInnen, das bewusste Emotionalisieren gegen Randgruppen ist sowohl menschenfeindlich als auch demokratiepolitisch brandgefährlich. Österreich hat in den 1930er-Jahren doch genug leidvolle Erfahrungen mit diesem Zugang gemacht und sollte eigentlich über diese Art der Demagogie erhaben sein.
Sozialer Zusammenhalt sieht anders aus: Es geht um soziale Absicherung von Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind, und es geht um Solidarität. In einer entwickelten Gesellschaft sollten wechselseitiges Vertrauen und verlässliche Institutionen die Oberhand haben. Diskurse zu vermeintlichem Sozialmissbrauch/Sozialtourismus haben darin jedenfalls keinen Platz. Es sollten tragfähige Brücken zwischen den Menschen und zwischen dem Heute und dem Morgen gebaut werden!
Massiver Druck auf ArbeitnehmerInnen
Mit fadenscheinigen Argumenten, wie „die Menschen wollen ja zwölf Stunden arbeiten“ oder „Flexibilität bringt mehr Freizeit und Freiheit für die arbeitenden Menschen“, versucht die Bundesregierung, ihre einseitige Klientelpolitik zu legitimieren. Von den ArbeitnehmerInnen wird gefordert, noch flexibler zu werden, noch höheren Arbeitseinsatz zu zeigen. Statt die Arbeitszeiten in Richtung „gesunde“ Vollzeit für Beschäftigte weiterzuentwickeln oder innovative Arbeitszeit(verkürzungs)modelle zu fördern, riskiert die Bundesregierung durch die Anhebung der Höchstgrenzen der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (auf zwölf bzw. 60 Stunden) einen hohen gesellschaftlichen und ökonomischen Schaden. Das gilt für die Gesundheit der Menschen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Verfestigung von Arbeitslosigkeit und vieles mehr.
Sybille Pirklbauer
Mehr Infos: Adi Buxbaum
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.
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