Coverstory: Schuhe, Zwiebeln, Fleisch und die gerechte Verteilung

Ob sie es wollen oder nicht: Auch die Menschen in Österreich sind Teil eines Systems, das zwar für manche Wohlstand bringt, für andere aber Ausbeutung. Heimische VerbraucherInnen können beim Einkaufen zwar einen Beitrag zu einer gerechteren Welt leisten, die wirklich entscheidenden Schritte müssen aber von der Politik kommen – und auch diese können ArbeitnehmerInnen beeinflussen.
Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer

Inhalt

  1. Seite 1 - Ungleich verteilte Wohlstandsgewinne
  2. Seite 2 - Etwas läuft gewaltig schief
  3. Seite 3 - Schutz nur für EuropäerInnen?
  4. Auf einer Seite lesen >
Das heutige Wirtschaftssystem beruht auf Ausbeutung, die auch den Mittelschichten weltweit zu mehr Wohlstand verhilft. Umso wichtiger sind internationale Solidarität und die internationale Arbeit der Gewerkschaften. Auf Dauer muss sich aber das System ändern.
Ich würde ja gerne bio kaufen oder nur Kleidung, für die keine Menschen ausgebeutet werden – aber ich kann mir das einfach nicht leisten: Dass dies nicht nur eine Ausrede ist, wissen alle, die versuchen, bei möglichst vielen Produkten darauf zu achten, wie sie hergestellt wurden, und eine kleinere oder mittelgroße Geldbörse haben. Diesem Einwand wird oftmals mit dem – sicherlich gut gemeinten – Ratschlag begegnet: Lieber ein bisschen Verzicht üben, dafür aber gute Produkte genießen. Aber sind es wirklich die KonsumentInnen, in deren Hand es liegt, dass die Welt gerechter wird?

Sind es wirklich die KonsumentInnen, in deren Hand es liegt, dass die Welt gerechter wird?

Finden Produkte, die unter Ausbeutung von Mensch und/oder Umwelt hergestellt werden, keine AbnehmerInnen mehr, so werden sie auch über kurz oder lang vom Markt verschwinden. So jedenfalls argumentieren jene, die immer noch an die Macht des Marktes glauben. Dieses Argument ist natürlich nicht völlig von der Hand zu weisen, aber auch die KonsumentInnen sind Teil eines Systems, das die Politikwis­senschafter Ulrich Brand und Markus Wissen „imperiale Lebensweise“ nennen. Klingt martialisch, doch sollte man den Begriff nicht sofort in die „linke Propaganda­kiste“ stecken, dazu ist die Analyse der beiden Wissenschafter erstens zu fundiert. Zweitens wollen sie weder unterstellen, dass die Menschen es darauf anlegen, dass andere ausgebeutet werden, noch wollen sie moralisieren, wie Ulrich Brand im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft mehrfach betont.

Ohne böse Absicht

„Natürlich wird der Globalisierungsprozess von transnationalen Unternehmen und von Politik, vor allem von Geopolitik, vorangetrieben“, hält Brand fest. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille, denn in der Tat können Firmen nur überleben, wenn ihre Produkte auch gekauft werden. „Wir wollen aufzeigen, dass Menschen in ihrem Alltag in Österreich ganz selbstverständlich und gar nicht, weil sie böse Absichten haben, auf die billigen Arbeitskräfte und die billigen Ressourcen der Welt zurückgreifen: wenn sie ein Handy kaufen; wenn sie Fleisch konsumieren, das vielleicht mit gentechnisch veränderten Futtermitteln aus dem Ausland produziert wurde; oder wenn sie bei der Arbeit woanders produzierte Rohstoffe verarbeiten.“

Wohlstandsgewinne sind enorm ungleich verteilt.

Matthias Schnetzer, AK-Verteilungsexperte

Die Krux an der Sache ist: Die Globalisierung bzw. die imperiale Lebensweise haben zweifellos mehr materiellen Wohlstand geschaffen. Somit sichert sie „die materielle Existenz und Teilhabe auch von Menschen mit geringem Einkommen“, wie Ulrich Brand hervorhebt. Zudem ist der gestiegene Wohlstand weltweit keineswegs nur den Reichen und schon gar nicht nur den
Menschen in den Industrieländern zugutegekommen. Und doch sind diese Wohlstandsgewinne enorm ungleich verteilt, wie auch AK-Verteilungsexperte Matthias Schnetzer erläutert. Er verweist auf die Studien von renommierten Ökonomen wie Thomas Piketty oder Branko Milanovic: „Global gesehen haben vor allem zwei Gruppierungen in den letzten 20 Jahren gute Einkommenszuwächse verzeichnet: Ganz grob sind das zum einen die Mittelschichten in den Schwellenländern China, Indien, Russland, Brasilien. Und zum Zweiten ist es das internationale Top-1-Prozent, sprich die Einkommensreichsten in den USA, aber auch in Europa.“

Verlierer der Globalisierung ist der afrikanische Kontinent.

Matthias Schnetzer, AK-Verteilungsexperte

Verlierer der Globalisierung ist der afrikanische Kontinent, „wo in der Einkommensentwicklung tatsächlich nur sehr wenig vorangeht“, so Schnetzer. Aber auch die Mittelschichten in den USA und Europa haben kaum reale Einkommenszuwächse verzeichnet. Zugespitzt sagt der Verteilungsexperte: „Im globalen Süden gewinnen die Mittelschichten, im globalen Norden verlieren die kleinen Einkommen. Wer richtig gewinnt, das ist das reichste Prozent.“

Inhalt

  1. Seite 1 - Ungleich verteilte Wohlstandsgewinne
  2. Seite 2 - Etwas läuft gewaltig schief
  3. Seite 3 - Schutz nur für EuropäerInnen?
  4. Auf einer Seite lesen >

Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.