Mehr Urlaub bei Bahnfahrt
Umso mehr ist die Politik gefordert. Diese müsste die Rahmenbedingungen dafür herstellen, um sowohl nachhaltiges Wirtschaften als auch nachhaltiges Konsumieren voranzutreiben. Momentan werden Menschen nämlich auch in diese imperiale Lebensweise hineingezwungen, wie Ulrich Brand kritisiert: „Wenn man am Land lebt und systematisch das Auto bevorzugt wird; wenn man für gute Lebensmittel ins Reformhaus gehen und mehr bezahlen muss, weil der gute, ökologische Lebensmittelstandard nicht überall die Regel ist.“
Alternativen könnten eine soziale und ökologische Infrastruktur sein, wie dies von der AK vorangetrieben wird, findet Brand. Es könnte ein Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr sein bzw. zum Ausstieg aus der individuellen Automobilität. Es könnten auch individuelle Anreize sein. Ulrich Brand nennt als Beispiel: Wer mit der Bahn in den Urlaub fährt, bekommt einen Urlaubstag zusätzlich.
„Die Politik muss mutig sein!“, fordert der Politikwissenschafter. Denn nur so könne man auch die Menschen mitnehmen, sodass auch sie ihre Gewohnheiten ändern und so manche Dinge hinterfragen. Die Politik müsse – auch mit vielleicht symbolischen Schritten – voranschreiten: „Wenn die Wiener Stadtregierung sagen würde: Der Klimawandel zwingt uns dazu, den Lobautunnel nicht zu bauen oder auf die dritte Flughafenpiste zu verzichten – dann fangen Menschen an, darüber nachzudenken: Muss ich so viel fliegen? Macht es nicht mehr Sinn, den Bahnverkehr auszuweiten?“
Wenn die Wiener Stadtregierung sagen würde: Der Klimawandel zwingt uns dazu, den Lobautunnel nicht zu bauen oder auf die dritte Flughafenpiste zu verzichten – dann fangen Menschen an, darüber nachzudenken: Muss ich so viel fliegen? Macht es nicht mehr Sinn, den Bahnverkehr auszuweiten?
Ulrich Brand, Politikwissenschafter
Zugleich müsse man sich Konzepte überlegen, wie man jenen Beschäftigten neue Jobmöglichkeiten eröffnet, die in klimaschädlichen Branchen arbeiten und deren Arbeitsplatz im Zuge des ökologischen Umbaus auf dem Prüfstand stehen könnte. Hier nimmt Brand auch die Gewerkschaften in die Pflicht: Diese dürften sich nicht in Abwehrkämpfen etwa beim Kohleausstieg oder in der Automobilindustrie verlieren, wie er dies bei manchen deutschen Gewerkschaften beobachtet. Vielmehr müssten sie sich offensiv neue Konzepte überlegen.
Die richtige W-Frage
Zugleich müssten sich Gewerkschaften endgültig davon verabschieden, im Wachstum das Allheilmittel auch für die gerechte Verteilung zu sehen. „Der neoliberale Kapitalismus ist stark gewachsen in den 1990er-Jahren, aber er hat die Verteilungsschere vergrößert“, hält Brand fest. „Die primäre Frage ist das Wohlstandsmodell. Und die Wohlstandsfrage zu stellen heißt zu hinterfragen, wie viel Macht die starken transnationalen Akteure über die Schaffung unseres Wohlstands haben sollen: Stichwort industrielle Landwirtschaft, Stichwort SUVs, Stichwort Handys und Stichwort Kleidung aus Kambodscha. Das sind aus meiner Sicht die entscheidenden Fragen, die in den Gewerkschaften zu wenig thematisiert werden.“
All dies sind nicht nur soziale Fragen, vielmehr sind sie mit dem Klimaschutz eng verbunden. Der Rekord-Juni und weitere Rekordmeldungen seither haben deutlich gemacht, dass der Klimawandel nicht erst in ferner Zukunft stattfinden wird – er ist schon da. Höchste Zeit also für eine mutige Politik – gesetzt den Fall natürlich, dass es einem mit dem Klimaschutz wirklich ernst ist.
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/19.
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