Keine inhaltlichen Differenzen
Nach etwas mehr als eineinhalbjähriger Regierungszeit ist die ÖVP/FPÖ-Koalition diesen Mai geplatzt – allerdings nicht, weil sie sich inhaltlich nicht zusammenraufen konnte. Gescheitert ist sie an einem Skandalvideo, das FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei verfänglichen Gesprächen auf Ibiza zeigte. Das führte schließlich zum Aufkündigen der Koalition durch Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Inhaltlich formierte sich jedoch von Beginn der Legislaturperiode an Kritik – sowohl an den konkreten Regierungsprojekten als auch am Umgang mit der Sozialpartnerschaft. Getragen wurde diese Kritik nicht nur von Opposition und NGOs, sondern auch von ÖGB und AK, denn im Sinne Böhms wurde hier von der Regierung Kurz so gar nicht vorgegangen. Vor allem das Durchpeitschen einer neuen Arbeitszeitregelung, die Flexibilität allein im Interesse von Unternehmen großschreibt, erregte das Missfallen von ArbeitnehmerInnenseite, das auch bei einer Großdemo Ende Juni 2018 an die 100.000 ÖsterreicherInnen auf die Straße brachte.
Freiwilligkeit
Beschäftigte können nun vom Arbeitgeber bis zu 12 Stunden am Tag und bis zu 60 Stunden in der Woche eingesetzt werden, begrenzt nur durch eine EU-Regelung, nach der die Arbeitszeit im Durchschnitt von 17 Wochen 48 Stunden nicht überschreiten darf. Die Freiwilligkeit, die aufgrund der massiven Proteste schlussendlich doch noch Eingang ins Gesetz fand, ist allerdings oft schwer festzumachen „und ändert am Grundproblem nur wenig, weil prinzipiell immer eine mögliche Kündigung im Raum steht“, kritisiert der AK-Sozialexperte Josef Wöss.
Arbeitsdruck enorm erhöht
Die Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnen sind schon spürbar. So betont AK-Präsidentin Renate Anderl: „Der 12-Stunden-Tag hat den Arbeitsdruck extrem erhöht.“ Das belegt auch eine Umfrage von SORA, die anlässlich der AK-Wahl in Wien Anfang April präsentiert wurde. Demnach gab rund ein Drittel (31,4 Prozent) der 1.002 Befragten an, dass sie vom 12-Stunden-Tag betroffen sind. Jede/r Zweite (51,6 Prozent) sagte, er oder sie leide unter zunehmendem Druck am Arbeitsplatz.
Das zentrale Problem beim neuen Arbeitszeitgesetz ist, dass nun generell etwas zugelassen wurde, was nur in Ausnahmefällen zulässig sein sollte.
Josef Wöss, AK-Sozialexperte
Steigender Arbeitsdruck und steigendes Arbeitstempo seien schon länger zu spüren, so Wöss. Durch die Ausweitung der Maximalarbeitszeit werde beides aber weiter verstärkt. „Das zentrale Problem beim neuen Arbeitszeitgesetz ist, dass nun generell etwas zugelassen wurde, was nur in Ausnahmefällen zulässig sein sollte“, betont Wöss. Es gehe nicht darum, dass jetzt alle Unternehmen die neuen Möglichkeiten voll ausschöpfen. „Ich glaube, das größte Problem ist die Unberechenbarkeit, die natürlich nun noch stärker wird.“ Es werde eine grundsätzliche Bereitschaft erwartet, 12 Stunden am Tag oder 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. „Dass das zum Beispiel jene in oft unlösbare Schwierigkeiten bringt, die Betreuungspflichten haben, liegt auf der Hand.“ Hier seien vor allem Frauen betroffen. Aber auch die Planung von Zeit mit der Familie oder Freizeitaktivitäten werde erschwert.
Abfederung erreicht
In den Kollektivvertragsverhandlungen haben die Gewerkschaften in vielen Branchen eine Abfederung erreicht. In größeren Betrieben können auch Betriebsvereinbarungen für einen Schutz der Beschäftigten sorgen, da muss aber der Arbeitgeber zustimmen. In kleineren Betrieben gebe es oft aber keinen Betriebsrat, betont Wöss. Hier seien Beschäftigte besonders unter Druck. Sie können sich schlecht wehren, denn wer seinen Arbeitsplatz nicht gefährden möchte, scheut oft die Auseinandersetzung. Das zeige sich auch immer wieder in der Beratungstätigkeit der AK: Meist ersuchen Menschen erst dann um Hilfe, etwa ihre geleisteten Überstunden doch ausbezahlt zu bekommen, wenn das Arbeitsverhältnis bereits aufgelöst wurde.
Grundsätzlich zeigt sich für Wöss: „Die Regierung hat bei der Arbeitszeitreform im Wesentlichen das umgesetzt, was von den Unternehmerverbänden maximal gefordert wurde.“ Auf die erforderliche Arbeitszeitautonomie von Beschäftigten, zum Beispiel mit Betreuungspflichten, sei dabei überhaupt nicht geachtet worden. Sie sei sogar weiter verringert worden. Hier hakt auch AK-Präsidentin Anderl ein: „Immer, wenn wir die Menschen entlasten wollten, etwa durch die sechste Urlaubswoche oder das Recht auf die 4-Tage-Woche, war es ganz schnell vorbei mit der Flexibilität der Regierung und der Unternehmer. Genau dasselbe beim Papamonat – da warten wir noch immer auf den gesetzlichen Anspruch.“