Priorität für sozialen Fortschritt
Vor allem aber signalisieren sie nicht jenen Kurswechsel, der in den Augen aller drei InterviewpartnerInnen längst überfällig ist. Soukup beschreibt die Richtung, in die es gehen sollte, folgendermaßen: „Es ist ein Bild des sozialen Fortschritts, der bedeutet, die gegenwärtigen Formen der Ausbeutung und Ungleichheit zu bekämpfen und für gute Lebensbedingungen hier und jetzt einzutreten, und Strukturen zu schaffen, die das in Zukunft ermöglichen.“ Dies heißt seiner Ansicht nach, „letzten Endes auch Machtfragen zu stellen und die Machtdominanz des Kapitals über die Arbeit umzukehren.“
Hier sind nicht nur Gewerkschaften und andere progressive Kräfte gefordert. Letztlich ist dies nämlich auch ein Auftrag an jeden Bürger und jede Bürgerin, immerhin bestimmen sie erstens mit ihrer Stimme bei den Parlamentswahlen in den jeweiligen Mitgliedstaaten die Zukunft der EU mit. Und zweitens können alle europäischen WählerInnen kommendes Jahr bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ihre Stimme abgeben.
Für die drei InterviewpartnerInnen jedenfalls bleibt weiterhin genug zu tun. Denn so gut Österreich im EU-Vergleich dasteht: innerhalb der Europäischen Union gibt es weiterhin riesige Unterschiede im Wohlstandsniveau und was die Rechte und den Schutz von ArbeitnehmerInnen betrifft. Nicht vergessen werden darf die Ungleichheit, die auf vielen Ebenen zunimmt und die populistische PolitikerInnen momentan lieber unter den Tisch fallen lassen.
Der Brüsseler AK-Expertin Petra Völkerer ist es wichtig, zum Schluss noch über einen größeren Tellerrand zu blicken, als es die EU selbst ist. Denn auf internationaler Ebene spielt die Union eine maßgebliche Rolle. Auch wenn andere Akteure an Bedeutung gewinnen: Die EU ist der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt und kann entsprechend Einfluss ausüben, wie AK-Expertin Völkerer betont. „Ein soziales Europa kann nur gelingen, wenn wir uns auch für menschenwürdige Arbeitsbedingungen außerhalb Europas und faire Wertschöpfungsketten einsetzen. Mittlerweile wird bei jedem Handelsabkommen ein Nachhaltigkeitskapitel mitverhandelt, in dem auch ArbeitnehmerInnenrechte verankert sind“, so Völkerer.
Über den Tellerrand hinaus
So positiv dies ist, gilt erneut: Es gibt keine Sanktionen. Nichtsdestotrotz misst die AK-Expertin diesen Handelsabkommen eine sehr große Bedeutung bei, schließlich betrifft das, was dort vereinbart wird, auch die Menschen in den Mitgliedsländern: „Wenn es den ArbeitnehmerInnen außerhalb Europas sehr schlecht geht, dann wird es immer schwieriger werden, das soziale Schutzniveau in Österreich oder Europa aufrecht zu erhalten. Und es ist auch ein Indikator dafür, wie wichtig der Europäischen Union ein soziales Europa ist: wie man mit dem Rest der Welt umgeht.“
Das soziale Europa: Es ist vermutlich stärker, als man glaubt. Aber um dem Anspruch auch wirklich gerecht zu werden, der in diesem Begriff steckt, ist zweifellos noch viel Engagement und Durchhaltevermögen gefragt.
Sonja Fercher
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/18.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
sonja.fercher@oegb.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at