Positive Impulsgeberin
Oft genug ist die EU auch Impulsgeberin für Veränderungen in den Mitgliedstaaten. In Österreich etwa ist in Sachen Gleichstellung erst dann so richtig etwas weitergegangen, als es durch EU-Richtlinien dazu verpflichtet war. Gleiches gilt für die Kinderbetreuung, insbesondere jene von Kindern unter drei Jahren. „Da ist ja in Österreich nur deshalb was vorangegangen, weil es die Barcelona-Ziele gegeben hat, weil wir unter Druck standen“, hält Regner fest, und sie ergänzt: „Da ist sehr vieles an Substanz da, die wir der europäischen Zusammenarbeit verdanken. Europa sind also nicht die anderen, sondern es besteht darin, dass wir alle zusammen daran arbeiten, dass es besser wird.“
„Viele Regierungsbeschlüsse waren eigentlich keine erfolgreichen Koalitionsvereinbarungen, sondern die Umsetzung von EU-Richtlinien, etwa dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht mehr nur der billigste Anbieter zum Zug kommt, sondern der beste.“
Einer der aktuellen Punkte auf der Tagesordnung in Brüssel: die Work-Life-Balance. „Alle reden immer davon, dass sie bald im Burn-out sind, deshalb müssen wir uns dringend etwas einfallen lassen, dass man alles halbwegs unter einen Hut bringt: dass man Kinder oder Familie hat, sich ehrenamtlich engagiert, arbeitet und dabei auch halbwegs verdient, ohne rund um die Uhr arbeiten zu müssen, während andere arbeitslos sind“, so Regner. „Da sind gewisse Mindeststandards für Papamonat, Karenzzeit und auch für die Pflegetage drinnen, die durchaus über das hinausgehen, was es in Österreich gibt.“
AK-Expertin Völkerer verweist auf eine Verbesserung beim sogenannten Europäischen Semester. Dieses ist an sich eine der Konsequenzen, die man aus der Krise gezogen hat. Es bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre Budget- und Wirtschaftspolitik an bestimmten Zielen und Regeln ausrichten müssen. Bei aller Kritik, die auch die AK an diesem Mechanismus übt, hält Völkerer eine Verbesserung fest: „Seit letztem Jahr werden nicht nur die makroökonomischen Daten abgeklopft, sondern es wird auch geschaut, wie die Staaten die Europäische Säule sozialer Rechte umsetzen.“
Bei all den positiven Punkten haben aber sowohl AK-Expertin Völkerer als auch EU-Abgeordnete Regner jede Menge Kritik an der EU übrig. Die größte Hürde auf dem Weg zu einem sozialen Europa sei im Moment gar nicht so sehr die EU-Kommission, die von AK und Gewerkschaften immer wieder für ihre neoliberale Agenda kritisiert wird. Vielmehr seien es die Länder und damit der EU-Rat, so Völkerer. Zugleich verweist sie auf die grundsätzliche Kritik an der EU-Politik, die ihr Kollege Nikolai Soukup immer wieder äußert und der sie sich vollinhaltlich anschließt.
Grundlegendes Ungleichgewicht
Der AK-Experte beschäftigt sich in der Wiener Arbeiterkammer mit dem Thema EU. Er sieht zwar auch mehrere positive Entwicklungen, diese können ein grundlegendes Ungleichgewicht aber nicht ausgleichen. „Die Herausforderung besteht darin, sich nicht in den Details der einzelnen Rechtsakte zu verlieren, sondern zu schauen, was eigentlich die grundsätzliche Ausrichtung der EU ist“, so Soukup. „Hier kommt man zu einem sehr ernüchternden und enttäuschenden Bild, das man als massive soziale Schieflage beschreiben kann.“ Deutlich gemerkt habe man dies bei der EU-Krisenpolitik. Ansätze für diese Schieflage seien zwar schon vorher in die EU eingeschrieben worden, die Krisenpolitik hat diese aber noch zusätzlich verschärft.
„Das Binnenmarkt-Projekt und die Währungsunion waren stark an marktliberalen Prinzipien ausgerichtet, während die sozialen Abfederungsmechanismen eher schwach ausgeprägt waren“, bemerkt der AK-Experte. „Vor allem konnten die sozialen Rechtsakte nicht ausgleichen, was der Druck der neoliberalen Integration der EU angerichtet hat.“
Soukup blickt dafür zurück in die Geschichte der Europäischen Union, genauer gesagt zum Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992. Damals wurde die EU im eigentlichen Sinn erst gegründet, davor sprach man von den Europäischen Gemeinschaften. Eine der wesentlichen Weiterentwicklungen war die Wirtschafts- und Währungsunion. Um auch Deutschland mit an Bord zu holen, vereinbarte man die damals vielzitierte Budgetdefizitgrenze von drei Prozent. „Das heißt, man hat von Beginn an schon eine Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen, die auf eine restriktive Budgetpolitik ausgerichtet war“, so der AK-Experte.