Coverstory: König Kunde oder Konsumtrottel?

Foto (C) Michael Mazohl

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Zur ambivalenten Geschichte des VerbraucherInnenschutzes zwischen Rechtlosigkeit und Regulierungssucht, Konsum und Konsumkritik sowie menschlichem Kaufverhalten.
Konsum und Kapitalismus gehören zusammen wie Pech und Schwefel: ohne Massenproduktion kein Massenkonsum. Wirtschaftswachstum wiederum braucht Konsumnachfrage, und diese wiederum steuert die Jobmaschine. So weit die wirtschaftspolitische Dimension. Und die individuelle Dimension: Der Großteil der Menschen „verbraucht“ zur Existenzsicherung Dinge und Dienstleistungen. Wer weder Grund noch Boden besitzt, muss alles kaufen. Damit wird der „Schutz“ der KonsumentInnen im Grunde sogar zur Überlebensfrage.

Auf der anderen Seite lebt Massenkonsum von Werbung, sprich auch davon, dass Bedürfnisse geweckt werden, von denen die KonsumentInnen vorher oftmals gar nicht wussten, dass sie diese überhaupt haben. Mögen sich die KundInnen in der Phase des Werbens noch als mächtige KönigInnen fühlen, so stellt sich bei manchen wohl nach dem Kauf das Gefühl ein, ein „Trottel“ gewesen zu sein: finanziell reingelegt und mit Problemen alleingelassen. Hersteller und KundInnen leben in einer wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehung, aber nicht im Gleichgewicht. Um für eine Balance zu sorgen, gehen Staaten verschiedene Wege. Liberale Politik etwa fordert einen starken KonsumentInnenschutz mit harten Unternehmensstrafen. Wohlfahrtsstaatliche Politik wiederum vertraut stärker auf staatliche bzw. (Selbst-)Regulierung. Dahinter stehen verschiedene Bilder: jenes vom vernünftigen, rational entscheidenden Menschen oder jenes vom ohnmächtigen, leicht verführ- und manipulierbaren Menschen. „Rechte entwickeln sich mit der Gesellschaft, das ist auch im Konsumentenschutz so. Es ist eine Querschnittsmaterie, die geht in die Agrar- und Wettbewerbspolitik genauso hinein wie in ethische Fragen“, fasst Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik der AK Wien, zusammen.

Vom Versorgungs- zum Erlebniskonsum

Die Anfänge des VerbraucherInnenschutzes in Österreich gehen auf die 1930er-Jahre zurück. Damals sollten stabile Preise für Lebensmittel und Mieten geregelt werden. Bis heute zählen diese Kategorien zu den Top-4-Haushaltsausgaben (siehe Download: Grafik 1: Was kauft Österreich?). Die Versorgung mit ausreichenden, aber auch mit gesunden Nahrungsmitteln war das wichtigste Ziel in der Nachkriegszeit.

Der Wirtschaftsboom der 1960er-Jahre stärkte die Kaufkraft vieler – und damit entwickelte sich auch der Wunsch nach Konsum, der über die alltägliche Lebensführung hinausging. Die Konsumgesellschaft im modernen Sinn entstand: Das heißt, es geht nicht nur um den Nutz-, sondern auch um den Symbolwert eines Produktes, das Status und Prestige vermittelt. Einkaufen wird zur Freizeitbeschäftigung, Shopping soll ein Erlebnis sein.

Mit der Ausdehnung der Konsumzone wuchs auch die Konsumkritik: 1962 schrieb Vance Packard das Buch „Die geheimen Verführer“, das zum Klassiker der Werbekritik werden sollte, über manipulative Methoden der Reklame. Erst das Konsumentenschutzgesetz aus dem Jahr 1979 regelte in Österreich vieles, was heute selbstverständlich ist. Der Beitritt zur EU brachte weitere Fortschritte: die Verlängerung des Gewährleistungsrechts, mehr Transparenz bei Kreditverträgen und ein verbessertes Rücktrittsrecht. Beginnend mit den 1990er-Jahren waren Internet und Handy die dominanten Themen, die bereits weit in andere Politikbereiche ausstrahlten, etwa die Frage: Wie gefährlich sind Handystrahlen? Heute sind KonsumentInnenschutz-Argumente Teil der Unternehmensstrategie: Detaillierte Warnhinweise bzw. Vertragsvereinbarungen sollen Vertrauen wecken. Vieles davon ist für Laien unverständlich, statt Sicherheit empfindet man Ohnmacht. Nach einem ähnlichen Muster funktionieren viele Gütesiegel und Herkunftsbezeichnungen, statt Vertrauen stiften sie oftmals mehr Verwirrung und Unsicherheit.

Foto (C) Michael Mazohl

Gestatten: Mein Name ist Konsument

1961 gründeten die Sozialpartner den VKI, den Verein für Konsumenteninformation. Irreführende Werbung, korrekte Preisauszeichnung und Deklarierungspflicht waren die Themen der ersten Ausgaben der VKI-Zeitschrift. Produkttests machten den „Konsument“ berühmt und einflussreich. In den Anfängen testete man sogar noch die Qualität und „Gesundheit“ von Zigaretten mit einer Abrauchmaschine. Nun wusste man, warum die Marke Jonny den Beinamen „Beuschelreißer“ trug, und als Folge produzierte die Austria Tabak die „Milde“, die leichteste Zigarette der Welt und es wurde die Deklarierungspflicht des Nikotin- und Teergehalts auf der Packung eingeführt.

In den 1980er-Jahren rücken Umweltthemen in den Vordergrund, vom Verschwinden der Glas- zugunsten der Plastikflasche bis hin zu Untersuchungen von chemischen Belastungen in Lebensmitteln. Der wachsende Wohlstand spiegelt sich in der Themenwahl: Urlaubsreisen, Flüge, Finanzdienstleistungen. Heute ist der „Konsument“ ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der KonsumentInnendemokratie in Österreich. Über 3,5 Millionen Website-Zugriffe bestätigen das.

In Österreich liegt die Vertretung von KonsumentInneninteressen in den Händen der Sozialpartnerschaft, institutionell verankert in Arbeiterkammer und VKI. Beide kümmern sich um Beratung und Information und haben Klagsmöglichkeit. Selbst wenn es in den Streitfällen häufig nur um kleine Geldbeträge geht, beeindruckt die Menge: Zwischen 2011 und 2014 erstritt der VKI durch Musterprozesse, Verbands- und Sammelklagen 55 Millionen Euro für geschädigte KonsumentInnen. Die Klagen richteten sich gegen falsche Zinsberechnungen, dubiose Geldgeschäfte, irreführende Beratung oder die über Jahre zu Unrecht kassierte Zahlscheingebühr.

Bei vielen Prozessen geht es um die Beispielwirkung oder auch darum, eine Rechtslücke aufzuzeigen. Ohne Möglichkeit, zu Gericht zu gehen, sind Verbraucherregelungen zahnlos. „Die Klagsmöglichkeit ist unsere Stärke, oft reicht eine Klagsandrohung, um Unternehmen zum Umdenken zu bringen“, stellt die AK-Juristin Zgubic klar. Der Großteil der Arbeit der AK liegt in der konsumentenpolitischen Interessenarbeit, in der Beratung und Information sowie der Klagstätigkeit. Rund 320.000 Anfragen werden österreichweit jährlich behandelt. Es betrifft Fragen zu Gewährleistungsrecht, Schadenersatz, Rücktritt, Bankdienstleistungen und Mietrecht.

Konsumarbeit

Konsumieren ist eine aufwendige Tätigkeit geworden. Da wollen zunächst Informationen eingeholt werden: Testauswertungen, Kommentare lesen, Kostenvoranschläge einholen und vergleichen. Als nächster Schritt kommt die Qual der Wahl: Welches Produkt passt am besten zu meinen Bedürfnissen und zu meinem Budget? Soll man kaufen, leasen oder sharen? Wäre vielleicht eine Ratenvereinbarung vernünftiger? Direkt im Geschäft kaufen oder besser im Webshop? Und später: Wie pflege ich das Ding richtig, um es in Schuss zu halten? Und ist es schrottreif bzw. veraltet: Wie entsorge ich Mobiltelefon oder Fernseher korrekt (siehe auch Interview mit Sepp Eisenriegler)?

Das ist Konsumarbeit und den Zeitaufwand leisten dafür oft Frauen, unbezahlt, versteht sich. Durch „Prosumation“ steigt dieser Aufwand. Ob Online-Banking, Zugtickets kaufen, Rechnung selbst ausdrucken, tanken, Obst abwiegen oder Einzelteile zu Möbeln zusammenbauen: Der Trend zum/zur „selbstproduzierenden“ Kunden/Kundin als ausgelagertem Teil der Produktionskette geht weiter. Als digitale Crowd wird die Kundschaft zudem enger in Herstellungsprozesse eingebunden. Kommentare von UserInnen werden zum Zwecke der Marktforschung eingesetzt, inzwischen geht die Entwicklung bis hin zur Finanzierung alternativer Geschäftsideen durch Crowdfunding.

Konsumieren ist eine komplexe Form des Handelns. Es gibt Sicherheit, bietet Orientierung, schafft soziale Kontakte, stiftet Identität und ist eine „Kulturtechnik wie Lesen“. „Die Wahl der richtigen Pfeffermühle ist genauso ein Ausweis von Geschmack und Urteilskraft wie die Entscheidung für ein bestimmtes Buch“, meint der bayrische Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich.

Die bunte Vielfalt an Waren belastet aber auch: „Konsumdruck kann eine Quelle für Burn-out sein und fördert die soziale Spaltung.“ Stress und Zeitdruck reduzieren rationale Entscheidungen und machen Marken als Leitwährung und Werbung als „Kaufhilfe“ wichtiger. „80 Prozent der Kaufentscheidungen sind emotional“, meint der Neuroökonom Martin Lindmann. Je mehr Wahlmöglichkeiten, desto schwieriger wird es, vernünftig zu entscheiden, weil das Aufnahmevermögen von Informationen stark beschränkt ist (die „magische“ Sieben). In diesem Sinn gab der britische Verbraucherschutzrat einem Bericht den Titel: „Warning: too much information can harm!“.

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Politik mit dem Einkaufswagen

Der Gegentrend zu einer immer komplexer werdenden Konsumwelt ist der Trend zum Selbermachen, zu „Do it yourself“-Plattformen wie Pinterest bis hin zum Konsumverzicht der MülltaucherInnen.

Wem Konsumverzicht zu radikal ist, schließt sich eventuell einem Kaufboykott an. Als erfolgreiches Beispiel dafür gelten die Proteste gegen den Ölkonzern Shell Mitte der 1990er-Jahre. „Konsumerismus“ heißt, durch aktives Kaufverhalten Unternehmen zu nachhaltigen Veränderungen zu motivieren. Lassen sich so die Arbeitsbedingungen im globalen Süden verbessern? Das „Ja“ liegt etwa der Clean-Clothes-Kampagne für Näherinnen in Bangladesch zugrunde – allerdings erst nach dem Einsturz des Rana Plaza mit über 1.100 Toten. „Aber“ muss man wohl ergänzen, wenn man sich das Beispiel Waschnüsse vor Augen führt, die als ökologisches Waschpulver gelten. Der große Haken daran: Die stark gestiegene internationale Nachfrage führte dazu, dass indische Wäscherinnen diese nicht mehr bezahlen können und als Alternative auf billigere, schädlichere Waschmittel zurückgreifen.

So begrüßenswert es ist, wenn Unternehmen soziale Verantwortung (Corporate Social Responsibility) übernehmen und KundInnen bereit sind, für mehr zu bezahlen – Kontrolle und internationale politische Regulierung kann es nicht ersetzen.

Gläserne KonsumentInnen

Konsumentscheidungen werden immer komplexer und mit ihr wachsen die Anforderungen an den KonsumentInnenschutz. Diese Entwicklung beschleunigt die Digitalisierung der Konsumwelt. Längst geht es nicht nur um Betrugspotenziale beim Online-Kauf, Haftungsfragen bei Plattformen wie Airbnb, Helpling oder Uber, sondern um die Gefahr des „gläsernen Konsumenten“.

Datenschutz-Fragen sind die Menschenrechtsfragen des 21. Jahrhunderts: Die Verbraucherschutz-Aspekte von Big Data, Internet der Dinge oder Wearables (tragbare Datenverbindungen) müssen erst grundlegend abgesteckt werden. Mit jedem Online-Besuch weiß der Computer-Algorithmus mehr von uns, schlägt uns passende Bücher und profilgerechte Werbung vor. Das braucht staatliche Mindestregelungen und Bildung. Seitens der Sozialdemokratie und der Arbeiterkammer gab es immer wieder die Forderung nach einem Unterrichtsfach KonsumentInnenschutz, verbunden mit der unlängst angekündigten „digitalen Kompetenz“ bildet das eine starke Basis für selbstbewussten Konsum.

Von
Beatrix Beneder

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/17.

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