Coverstory: HeldInnen und Schurken

Foto (C) Michael Mazohl
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Inhalt

  1. Seite 1 - AK unter Beschuss
  2. Seite 2 - Mehr als eine Interessenvertretung
  3. Seite 3 - Gegenmacht zu Machtnetzwerken
  4. Seite 4 - Dreieck der Akteure
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Es ist keine große Überraschung, dass die Arbeiterkammer einer aggressiven rechts-ultrarechten Regierung ein Dorn im Auge ist. Schließlich ist sie nicht nur eine wichtige Anlaufstelle für ArbeiterInnen und Angestellte bei einer breiten Palette von Problemen. Sie ist zugleich die einzige Institution, die den Propagandanetzwerken des großen Geldes etwas entgegensetzen kann. Wird sie geschwächt, kann einfacher ausgebeutet und noch viel mehr Schaden angerichtet werden.
Vor ein paar Jahren saß ich bei Herbert Tumpel, dem damaligen AK-Präsidenten, im Präsidentenbüro. Tumpel war ja eher der maulfaule Typ – wenn man ihn nicht gut kannte, dann wirkte er mürrisch und ein wenig seltsam. Zu viele Worte verlor er üblicherweise nicht. „Schau dir diese Zahlen an“, sagte er und fingerte an einem Stapel Dokumente herum. Dann zog er ein Blatt Papier heraus und machte dazu einen erwartungsvollen Grinser. Es war der österreichische Institutionen-Vertrauensindex, der von MeinungsforscherInnen regelmäßig erhoben wird.

Bundesregierung, Bundesheer, katholische Kirche – das sind die Institutionen, die eher im Minus oder bestenfalls im blassen Plus liegen. Nur wenige ÖsterreicherInnen sagen von diesen Institutionen, dass sie ihnen vertrauen. Gemeinden, Polizei, Verfassungsgerichtshof folgen dann irgendwo im gehobenen Mittelfeld. Ganz an der Spitze die beiden Institutionen, denen die ÖsterreicherInnen am meisten vertrauen: Rechnungshof und Arbeiterkammer. Seither gab es ein paar Verschiebungen bei den Zahlen, aber keine großen. Heute führen Rechnungshof, Verfassungsgerichtshof und Arbeiterkammer die Liste der vertrauenswürdigsten Institutionen an. Sie sind damit etwa so beliebt wie das Rote Kreuz oder die freiwilligen Feuerwehren.

Diese hohe gesellschaftliche Reputation der Arbeiterkammer ist erstaunlich. Denn es ist gerade einmal fünfundzwanzig Jahre her, dass das Image der AK ziemlich angekratzt war. In den Augen der Bevölkerung erschien sie als abgeschlossene Bürokratie, in der Apparatschiks ihr Unwesen trieben, deren Nutzen sich für kaum jemanden erschloss und die auch noch regelmäßig von Skandalen erschüttert war. Das Zerrbild wurde von Multifunktionären wie dem steirischen AK-Präsidenten Alois Rechberger geprägt, der sich nicht nur ein fürstliches Salär aus diversen Quellen gönnte, sondern auch noch AK-Gelder missbräuchlich für seinen Wahlkampf als SPÖ-Nationalrat verwendete – ein fetter Posten ging sogar für Zigarren drauf. AK-Funktionäre wie Rechberger oder der Kammerdirektor Zacharias wurden vom Boulevard und von dem damals aufstrebenden jungen Rechtspopulisten Jörg Haider, der die Chance sah, die AK fertigzumachen, als „Paradebonzen“ vorgeführt.

Aber jetzt ist das anders, da sich die Arbeiterkammer in den vergangenen Jahrzehnten modernisiert hat. Weil sie das musste, schließlich war sie in den frühen Neunzigerjahren mit der Nase ziemlich hart am Trottoir aufgeschlagen. Für die hohe Reputation in der Bevölkerung sind zwei Dinge ausschlaggebend: Ein Grund ist das Servicenetz, das die AK bietet. Jeder Österreicher und jede Österreicherin weiß, dass er oder sie bei der Arbeiterkammer zu so ziemlich jedem Problem im Job oder mit Chefs verlässliche Beratung bekommt. Und auch darüber hinaus: Wenn es um Wohnungen und die Miethöhe oder den KonsumentInnenschutz geht: Die AK ist einfach der Laden, „zu dem man hingeht“. Der zweite Grund: Die AK ist politisch, aber nicht ostentativ parteipolitisch. Nach den Skandalen der 1980er- und 1990er-Jahre wurde streng darauf geachtet, dass AK-SpitzenfunktionärInnen nicht zugleich im Parlament sitzen. Das gibt den jeweiligen AK-PräsidentInnen die Glaubwürdigkeit, Forderungen an jede Regierung richten zu können, egal wer auch immer diese stellt, ohne auf schwierige Doppelrollen Rücksicht nehmen zu müssen.

Seit vergangenem Dezember steht die Arbeiterkammer gewissermaßen wieder unter Beschuss. Es ist keine große Überraschung, dass eine solche Institution einer aggressiven rechts-ultrarechten Regierung ein Dorn im Auge ist. Erst war während der Regierungsbildung die Rede davon, die gesetzliche Mitgliedschaft der etwas mehr als drei Millionen ArbeiterInnen und Angestellten ganz abzuschaffen. Dann stand die Drohung im Raum, die AK-Umlage, also den Mitgliedsbeitrag, von durchschnittlich sieben Euro im Monat zu reduzieren. Das Ziel: Wenn die AK weniger finanzielle Mittel hat, kann sie auch weniger für ihre Mitglieder tun. Vor allem kann sie viel weniger Geld in wissenschaftliche Studien, wirtschaftspolitische Öffentlichkeitsarbeit und Ähnliches stecken. Schließlich ist die Arbeiterkammer zugleich der finanzkräftigste Thinktank links der Mitte, also die einzige Institution, die den Propagandanetzwerken des großen Geldes etwas entgegensetzen kann.

Denn wie anders sieht es auf der Gegenseite aus: Die Netzwerke der Konservativen und Neoliberalen können auf Institutionen wie die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung, PR-Institute wie die Agenda Austria oder das Hayek Institut und viele andere Marketingfirmen bauen, die notdürftig als wissenschaftliche Institutionen getarnt sind und die die Geschäfte ihrer Geldgeber erledigen. Milliardäre halten sich ganze Fernsehsender. Vergleichbare Netzwerke haben die „normalen Leute“ keineswegs. Macht wird durch Netzwerke ausgeübt: Das ist in etwa die These des Sozialwissenschafters Harald Katzmair, der regelmäßig die Landkarte der Macht in Österreich studiert und einer „Netzwerkanalyse“ unterzieht. Gut verknotete traditionelle und konservative Eliten-Machtstrukturen, von Raiffeisen über die Banken, das Big Business, bis hin zu Thinktanks und (halb-)öffentlichen Institutionen geben hier den Ton an. Nicht nur das, sie sind auch raffinierter und skrupelloser beim Knüpfen ihrer Netze. Gegengewichte wie die Arbeiterkammer sind ihnen ein Dorn im Auge.

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Fragwürdiges Argumentarium

Aber das ist natürlich längst nicht alles. Als Zulage haben sie sich in den vergangenen dreißig Jahren ein schönes ideologisches Argumentarium zurechtgelegt: Staatliche und öffentlich-rechtliche Institutionen seien ein Übel, wird da getrommelt. Die fragwürdigen Begründungen: Diese würden den Wettbewerb hemmen, notwendige Reformen ver­hindern, auf gesetzlichen Arbeitnehme­rInnenrechten beharren und damit die Flexibilität behindern, die angeblich die Quelle allen Fortschritts sei. Und außerdem seien Institutionen wie die Arbeiterkammer oder auch die Gewerkschaften natürlich bürokratisch oder sonst wie rückwärtsgewandt. Blockierer! Reformverhinderer! Und wie die leeren Phrasen alle lauten.

Diese Deregulierungsideologie hat sich in den vergangenen dreißig Jahren flächendeckend durchgesetzt. Allein mit der Wirklichkeit hat sie nicht viel zu tun. Dass Österreich ökonomisch und technologisch so gut dasteht und auch eine gut ausgebildete Bevölkerung aufweist, ist gerade auf das sozialpartnerschaftliche Institutionengeflecht und damit auch auf Organisationen wie die Arbeiterkammer zurückzuführen. Tatsächlich gibt es ja, entgegen landläufiger Meinung, eine ganze Bibliothek international vergleichender Forschung, die den Schluss nahelegt, dass korporatistisch geprägte Länder nicht erstarren, wie gerne behauptet wird. Ganz im Gegenteil, sie schneiden vielmehr besser ab als Länder, in denen eher der Konflikt regiert. Sogar Gewerkschaften, die, wie die österreichischen, auf Verhandlungslösungen und Konsens setzen, erzielen auf lange Sicht bessere Lohnentwicklungen für die Beschäftigten als Gewerkschaften, die streiklustig sind.

Korporatistische Länder sind, grob gesprochen, solche, in denen organisierte Verbände sich Macht teilen und viele Konflikte am Verhandlungstisch lösen. Es sind also jene, in denen nicht der reine individualistische Kampf, jeder gegen jeden, herrscht; in denen nicht das Prinzip „hire and fire“ regiert; in denen die Lohnfindung nicht im Betrieb stattfindet und auch nicht in regelmäßigen Arbeitskämpfen. Vielmehr sind es jene, in denen viel am grünen Tisch erledigt wird und in denen es dafür stabile Organisationen gibt. Je mehr solche Verbände, umso korporatistischer.

Wie eine Wundertüte

Immer wieder werden in internationalen Studien verschiedene Ländertypen verglichen. Länder, die eine besonders ausgeprägte korporatistische Struktur haben wie Österreich oder die Niederlande; Länder, die kaum solche Strukturen aufweisen, von den USA bis Griechenland; und Länder, die dazwischenliegen wie Deutschland oder Portugal. In den Ländern mit korporatistischer Sozialpartnerschaft liegt die Arbeitslosenquote unter dem Durchschnitt, die Reallohnzuwächse darüber, die Niedriglohnsegmente sind kleiner, das Wirtschaftswachstum und die Produktivität liegen über dem Durchschnitt. Und auch die Ungleichheit ist, zumindest bei den Einkommen, geringer (neben der Einkommens- und der Lohnungleichheit gibt es ja auch noch die Vermögensungleichheit). Also, noch einmal kurz: Arbeitslosigkeit niedrig, Löhne eher hoch, Wachstum und Produktivität ebenso. Eine Wundertüte gewissermaßen.

Daraus folgt aber etwas Wichtiges: Institutionen, die ArbeitnehmerInneninteressen stärken, sind daher nicht nur als „Interessenvertretung“ wichtig, also aus Gerechtigkeitsgründen. Vielmehr haben sie auch eine allgemein positive Wirkung: Sie ermöglichten erst die Entstehung einer breiten Mittelschicht und garantieren, dass diese Mittelschicht nicht erodiert. Sie stabilisieren die Löhne und damit die Konsumnachfrage, und tragen zum Produktivitätswachstum bei, weil das Management von Unternehmen schwerer auf Lohndumping als „Erfolgsstrategie“ setzen kann.

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… eine Antwort wäre: Solche Institutionen versperren der Kapitalseite den einfachen Weg zum Erfolg – nämlich den Weg der krassen Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die alles mit sich machen lassen müssen.
Und sie sind eine Gegenmacht, derer man sich gerne entledigen würde …

Wichtige Gegenmacht

Das wirft freilich die Frage auf, warum die VertreterInnen des Big Business und deren Marionetten – mögen die Sturz, Krache oder sonst wie heißen – so gegen Institutionen wie die Arbeiterkammer sind. Denn wenn eher auf Ausgleich und starke Interessenvertretungen basierende Länder als Ganzes erfolgreicher sind als weniger korporatistische Länder, dann haben ja alle davon Vorteile, logischerweise auch die Unternehmen.

Eine Antwort wäre: Solche Institutionen versperren der Kapitalseite den einfachen Weg zum Erfolg – nämlich den Weg der krassen Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die alles mit sich machen lassen müssen. Und sie sind eine Gegenmacht, derer man sich gerne entledigen würde – weil es einfach bequemer ist, schalten und walten zu können, wie man mag. Ökonomisch mächtige und privilegierte Gruppen haben ein recht simples Ziel: „So viel Geld wie möglich anzuhäufen und ihre Macht so wenig wie möglich einschränken zu müssen“, so der Star-Ökonom James K. ­Galbraith.

Wahrscheinlich ist es noch krasser: In Ländern mit Verbänden, die für Machtbalance sorgen, kann man Staat und Gesellschaft nicht einfach plündern. Aber genau darauf ist eine Kaste aus Raubrittern aus. Ein Beispiel sind die in den vergangenen Jahrzehnten so populären Privatisierungen. Diese wurden schließlich mit einem ähnlichen ideologischen Instrumentarium wie die Deregulierung begründet: Öffentliche Unternehmen seien „ineffizient“, staatliche Aktivität im Wirtschaftsleben würde die Märkte verzerren etc. Die Erfahrung, nicht zuletzt aus der ersten schwarz-blauen Regierung, zeigt aber, dass die Sache sehr viel simpler ist: Privatisierungen geben Raubrittern und ihren Netzwerken die Möglichkeit, den schnellen Schnitt zu machen und öffentliches Vermögen auszuplündern. Privatisierung ist oft nur ein geschöntes Wort für raumfüllende Korruption.

Gegenmacht zu den Machtnetzwerken der wirtschaftlich Privilegierten ist dann am effektivsten, wenn sich möglichst viele Menschen zusammentun – und natürlich dann, wenn diese Gegenmacht staatlich institutionalisiert ist. Die etablierten Machteliten, denen das gegen den Strich geht, können aber natürlich nicht offen rausposaunen: „Wir wollen ungestört unsere Dominanz ausüben und sonst soll niemand etwas zu sagen haben, sondern nur buckeln.“ Deshalb haben sie sich eine Reihe von ideologischen Propagandainstrumenten zurechtgelegt, die der Bevölkerung den Abbau von Institutionen der Gegenmacht schmackhaft machen sollen.

Neben dem „Blockierer-Vorwurf“ und dem Gelaber von der Deregulierung ist das vor allem ein pervertierter Individualismus. In der Arbeitswelt von heute brauche es doch keine kollektiven Institutionen mehr, wird behauptet. Nicht nur die Unternehmen würden heute miteinander in Konkurrenz stehen, sondern auch die Beschäftigten. In der Leistungsgesellschaft (auch so eine gern missbrauchte leere Worthülse) habe es doch jeder und jede selbst in der Hand, aus dem eigenen Leben etwas zu machen. Wer täglich an sich arbeitet und von früh bis spät dem Wettbewerb huldigt, zu dem das Leben geworden ist, ist unverzichtbar und kann sich seine Arbeitsbedingungen selbst aussuchen. Urlaubsregelungen, Arbeitszeit und Lohnniveau verhandelt man am besten mit dem Chef oder der Chefin auf Betriebsebene aus. Und RichterInnen werden wir keine brauchen.

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Wunsch nach mehr Solidarität

Für einige Zeit hatte diese betörende Geschichte tatsächlich eine gewisse Wirkung. Heute macht sich aber Katerstimmung breit: Die meisten Menschen haben eher das Gefühl, dass es wieder Zeit für mehr Solidarität ist, weil mit dem Götzendienst am Extremindividualismus einfach ein krankes System geschaffen wurde. Ein System, in dem die Menschen viel zu oft das Gefühl haben, am Ende elementar auf sich allein zurückgeworfen zu sein. Simpel gesagt: Auch deshalb wissen heute viele Menschen wieder, was wir an Institutionen wie der Arbeiterkammer haben.

Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass die Regierungsseite ihre Angriffe auf die Arbeiterkammer genau planen wird. Sie wird diese nicht frontal angreifen, denn dazu ist die AK zu populär. Sie wird erst einmal versuchen, die Glaubwürdigkeit der Arbeiterkammer anzugreifen. Sie wird da und dort Geldverschwendung unterstellen, vielleicht irgendwelche Geschichten mit dem Fuhrpark erfinden, die Frage aufwerfen, ob die Kammer denn wirklich so viel Führungspersonal benötigt. Und sie wird all das mit einem Mischmasch an Fake-News verrühren, denn wie wir alle im vergangenen Jahr mitbekommen haben, sind Fakten und die Realität für diese Regierung nicht einmal ungefähre Richtwerte. Selbst der Bundeskanzler hat behauptet, dass die Arbeiterkammer die Reisekosten zur ÖGB-Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag übernommen hat – und das nur wenige Tage bevor er einfach verlautbarte, der „Financial Times“-Redakteur, der seine Regierung „far right“ („weit rechts“) nannte, habe sich entschuldigt. Beides war, wie bekannt wurde, einfach erfunden.

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Verständlich und salopp

Die Arbeiterkammer tut gut daran, ihre Kommunikationsstrategie darauf einzustellen: in einer modernen Sprache zu sprechen, die alle verstehen. Auch ausreichend salopp. Und zu personalisieren: Die Arbeiterkammer hat großartige Expertinnen und Experten, die sich täglich in der Beratung und der Rechtsvertretung für die Mitglieder einsetzen. Diese Leute gehören vor den Vorhang. Einfach, weil eine gute Geschichte immer mit Personen zu tun hat: Opfern, HeldInnen, Schurken. Die geprellten ArbeitnehmerInnen sind die Opfer, die Unternehmen, die Gesetze nicht einhalten, die Schurken – und die AK-MitarbeiterInnen, die die Rechte der Opfer durchsetzen, sind die Hel­dInnen. Heldengeschichten erzählt man immer noch besser mit Personen in der Hauptrolle, die aus der Anonymität der Institution hervortreten.

Spricht man mit Gewerkschafte­rInnen und progressiven PolitikerInnen aus anderen Ländern, wird sehr oft mit Bewunderung auf die Institution einer gesetz­lichen Interessenvertretung geblickt. Oft aber wird dann die Frage nachgeschoben: Tritt damit die Arbeiterkammer nicht in Konkurrenz zu den Gewerkschaften? Denn: Vertretung und Beratung im arbeitsrechtlichen Einzelfall sind auch wichtige Elemente gewerkschaftlicher Arbeit. Wer sie benötigt, braucht aber keine Gewerkschaften, weil er bei der AK mindestens genauso gute Hilfe erhält. Nun könnte man daraus folgern, dass die Gewerkschaften ein Problem bekommen, wenn eine gesetzliche Interessenvertretung einen Teil ihres Jobs erledigt. In der Realität spielt das aber praktisch keine große Rolle. Gewerkschaften agieren auf betrieblicher Ebene, was die AK nicht tut. Das Rückgrat der Gewerkschaften sind die Betriebsräte. Die Tarifpolitik ist Sache der Gewerkschaften, die AK hat damit nichts zu tun. Es ist ein Dreieck, in dem alle Akteure eine wichtige Funktion erfüllen.

Ist all das altmodisch oder überholt in einer Welt der Ego-Ideologie und des Ich-tums? Das versucht uns die herrschende Ideologie einzureden: dass weniger Solidarität irgendwie mehr wäre – mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung. Jetzt haben wir eine Bundesregierung, die Sprachrohr dieser Herrschaftsideologie ist, sie auch noch mit Ressentiments und Nationalismus verrührt und jede Gegenmacht am liebsten ausmerzen würde.

Herbert Tumpel ist mittlerweile längst in Pension, auch sein Nachfolger schon und neuerdings residiert mit Renate Anderl eine Frau im Präsidentenbüro (erst das zweite Mal in der Geschichte der AK steht eine Frau an der Spitze).

Aus den oberen Etagen der AK-Zentrale, vis-à-vis vom Belvedere, hat man einen packenden Blick auf Wien. Alles sieht von hier oben aus wie immer – die Stadt, die ein bisschen verschlafen wirkt. Menschen, die ihren Geschäften nachgehen. Alles wie gewohnt. Menschen, mit ihrem eigenen Leben. Man kann hier in Gedanken versinken und sich daran erinnern, dass jede Person ihre eigenen Sorgen hat, sich durchkämpft durchs Leben, gegen Widrigkeiten und für ein bisschen Glück. Jede/r ein wenig für sich. Aber in einer guten Gesellschaft doch nicht auf sich allein gestellt.

Und was man auch weiß: Die nächsten Jahre werden keine Kaffeefahrt.

Von
Robert Misik

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.

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Über den/die Autor:in

Robert Misik

Robert Misik ist Journalist, Ausstellungsmacher und Buchautor. Jüngste Buchveröffentlichung: "Die falschen Freunde der einfachen Leute" (Suhrkamp-Verlag, 2020). Er kuratierte die Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar" am Museum Arbeitswelt in Steyr. Für seine publizistische Tätigkeit ist er mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet, 2019 erhielt er den Preis für Wirtschaftspublizistik der John Maynard Keynes Gesellschaft.

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