Coverstory: Gutes Leben nicht nur für Gutgestellte

Inhalt

  1. Seite 1 - Der Sozialstaat - ein Dorn im Auge der Regierung?
  2. Seite 2 - Erhebliche Umverteilungswirkung und weitreichende Folgen
  3. Seite 3 - Worum es eigentlich gehen sollte
  4. Seite 4 - Ein positiver Wirtschaftsfaktor
  5. Auf einer Seite lesen >
Die Regierung hat die Weichen in Richtung mehr Ungleichheit gestellt. Der Sozialstaat soll gekürzt werden, statt seine Potenziale als positiver Standortfaktor auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Auf mehr Chancengleichheit in der Bildung müssen die jungen Menschen weiter warten.

Mehrfachdividende

Gerade beim Thema soziale Dienstleistungen zeigt sich, dass auch die gerne verbreitete Aussage viel zu kurz gegriffen ist, wonach nur die Wirtschaft Jobs schaffe. Viel zu teuer sei staatliches Handeln, lautet ein weiteres Argument, das auch nicht wahrer wird, wenn es öfter behauptet wird. Denn wie die AK anhand von mehreren sozialen Dienstleistungen vorgerechnet hat, rechnen sich Investitionen in den Sozialstaat nicht nur, sondern können sogar eine Mehrfachdividende bringen.

Um es am Beispiel der Kinderbetreuung zu illustrieren: Es entstehen neue Jobs; wer aus der Arbeitslosigkeit heraus einen solchen Job gefunden hat, zahlt Steuern und Abgaben, statt Arbeitslosengeld beziehen zu müssen; sollten bauliche Maßnahmen nötig sein, entstehen dadurch zumindest vorrübergehend Arbeitsplätze; zugleich können Elternteile, die bisher gar nicht arbeiten konnten, vielleicht einen Job aufnehmen, oder jene, die Teilzeit arbeiten mussten, können auf Vollzeit wechseln, so ein solcher Job zu haben ist. All das bringt dem Staat Mehreinnahmen und den Menschen Vorteile – und zwar im Idealfall dauerhaft.

All diese Fakten werden ignoriert, schlimmer noch: Die Arbeitsmarktpolitik erstreckt sich in der falschen Unterstellung, wonach die Arbeitslosen nur zu bequem wären, um auch Arbeit anzunehmen – und entsprechend in Maßnahmen, mit denen der Druck auf die Arbeitslosen erhöht wird. Doch auch wenn sich der Arbeitsmarkt glücklicherweise erholt, so gilt es einiges aufzuholen, seitdem die Finanzkrise 2008 ihre Spuren hinterlassen hat. Zwar ist die Arbeitslosigkeit seit einem Jahr um ca. 30.000 Menschen zurückgegangen, die Beschäftigung steigt. Diese in der Tat gute Nachricht wird allerdings von einer anderen Zahl überschattet: Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 ist die Zahl der Arbeitslosen um 150.000 Personen angestiegen. Je nachdem, welche Berechnung man für die Arbeitslosigkeit zugrunde legt, wäre ein Rückgang zwischen 50.000 und 100.000 notwendig, rechnet Marterbauer vor (laut Eurostat-Berechnung stieg die Arbeitslosigkeit von 4 Prozent im Jahr 2008 auf 5,6 Prozent, laut nationaler Berechnung von 6 auf 8,5 Prozent).

„Die Arbeitslosenquoten auf das Niveau von 2008 zu senken müsste eines der zentralen Ziele der neuen Bundesregierung für die kommende Legislaturperiode sein“, fordert der AK-Chefökonom. „Denn die hohe Arbeitslosigkeit bedeutet für die unmittelbar Betroffenen und ihre Familien massive Verschlechterungen im Lebensstandard. Sie trifft darüber hinaus aber auch viele andere Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen, deren Verhandlungsmacht durch die Schieflage des Arbeitsmarktes eingeschränkt wird; nicht zuletzt beeinträchtigt Arbeitslosigkeit die Finanzierbarkeit des Sozialstaates und geht damit zulasten der gesamten Bevölkerung.“ Dazu kommt, dass bestimmte Gruppierungen weiterhin enorme Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben, darunter ältere Beschäftigte, gering Qualifizierte oder Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Genau hier wären staatliche Interventionen notwendig – und genau hier setzt die türkis-blaue Regierung den Rotstift an.

Zurück zum guten Leben für alle: Dieses ist der Regierung wahrlich kein erklärtes Anliegen. Genauso wenig trifft das auf die Frage zu, wie der auch von den ArbeitnehmerInnen erwirtschaftete Wohlstand möglichst fair verteilt werden kann.

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl

Worum es eigentlich gehen sollte

Vielmehr wird jenen das Leben noch schwerer gemacht, die schon jetzt große Hürden zu überwinden haben, ob in der Bildung oder am Arbeitsmarkt. Der Wirtschaftsstandort Österreich wird auf eine sehr einseitige Art und Weise betrachtet, die Beschäftigten spielen darin eine untergeordnete Rolle. AK-Ökonomin Christa Schlager: „Kürzlich verkündete die Regierung eine Standortpartnerschaft mit Industrie und Wirtschaft, ohne die ArbeitnehmerInnen und deren Vertretungen zu erwähnen, geschweige denn einzubinden. Das führt zu einer verkürzten und einseitigen Sicht der Dinge.“ Denn damit werden die arbeitenden Menschen und ihre Bedürfnisse, aber auch ihre Fähigkeiten und Potenziale als zentrale Ressourcen in einer hoch entwickelten Volkswirtschaft beiseitegeschoben – bei einer gleichzeitig laufenden Debatte über Fachkräftemangel, kritisiert die AK-Expertin.

„Wenn es darum geht, den Wohlstand zu steigern – und darum geht es ja eigentlich bei ökonomischem Handeln –, sollte über die Potenziale unserer Volkswirtschaft, über notwendige Zukunftsinvestitionen, wie diese entwickelt und besser nutzbar gemacht werden können, und über günstige Rahmenbedingungen nachgedacht werden“, hält Schlager fest. Und dazu gehört für sie auch eine Diskussion über den Sozialstaat: „Inwiefern er ein Bestandteil des wirtschaftlichen Erfolgs ist und wie er in Zukunft in Österreich noch verbessert werden kann.“

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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