Hausgemachtes Problem
Wenn man die Entwicklung seit der Krise betrachtet, so ist eine Tatsache erstaunlich: Obwohl die Konjunktur mau war, gab es „eine relativ günstige Beschäftigungsentwicklung“, so der WIFO-Experte. Warum dies nicht dazu geführt hat, dass die Arbeitslosigkeit entsprechend gesunken ist, hat viele Ursachen. Eine davon ist der demografische Wandel, der dazu führt, dass mehr ältere Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt sind. Auch die Bildungsexpansion der 1970er-Jahre spielt eine Rolle, denn höher Qualifizierte bleiben länger am Arbeitsmarkt. Eine weitere Ursache ist die Zuwanderung. Ein wesentlicher Faktor aber ist von der Politik gemacht: die Pensionsreformen, die den Zugang zu Formen der Frühpension erschwert haben.
WIFO-Experte Mahringer hat an sich nichts an der Zielsetzung auszusetzen, dass ältere ArbeitnehmerInnen länger arbeiten sollen. „Aber das ist nichts, was man alleine dadurch lösen kann, dass man Gesetze ändert, die den Pensionszugang regeln. Das muss sich auch am Arbeitsmarkt realisieren.“ Die Menschen müssten eine Chance bekommen, tatsächlich einer Beschäftigung nachzugehen. Dafür braucht es einen Wandel am Arbeitsmarkt: „Man muss das Erwerbsleben und die Arbeitsplätze so gestalten, dass ältere Arbeitskräfte oder Arbeitskräfte mit gesundheitlichen Einschränkungen dort produktiv teilnehmen können.“ Eben da aber hakt es. AK-Expertin Hofbauer hat dazu folgende Beobachtung gemacht: „Unternehmen verzeihen Einschränkungen immer weniger.“
Momentan ist „länger auf dem Arbeitsmarkt bleiben“ für viele Menschen nämlich nicht damit gleichbedeutend, dass sie arbeiten, sondern vielmehr damit, dass sie länger arbeitslos sind. Insgesamt ist die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen gestiegen, zwischen 2008 und 2017 hat sich ihre Zahl fast verdreifacht. Haben es vergangene Regierungen verabsäumt, die Konsequenzen der Pensionsreformen abzufedern? Es sei durchaus einiges geschehen, bestehende Modelle etwa zur Rehabilitation seien stark weiterentwickelt worden, meint AK-Expertin Hofbauer. „Aber es ist einfach schwer, die Betriebe wirklich dafür zu gewinnen.“
Eine weitere große Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik ist die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt dynamischer geworden ist. Das erhöht die Anforderungen an das AMS im Allgemeinen – und im Besonderen, was Qualifizierungsmaßnahmen betrifft. WIFO-Experte Mahringer formuliert es folgendermaßen: „Wenn man einen flexiblen Arbeitsmarkt haben will, und den braucht man für eine flexible Wirtschaft, dann ist es gut, die Leute, die flexibel sein sollen, gut zu behandeln. Denn sonst werden sie sich davor scheuen, flexibel zu sein.“
Fördern und fordern
Eine Form dieser guten Behandlung bestehe darin, die Risiken für die ArbeitnehmerInnen nicht zu groß werden zu lassen. „Das kann man mit einer guten Existenzsicherung machen.“ Zwar gesteht Mahringer ein, dass es ein Spannungsfeld zwischen guter Existenzsicherung und ausreichenden Arbeitsanreizen gibt, sprich dass es sich lohnt, arbeiten zu gehen. Hier sind die Löhne freilich ein wichtiger Aspekt. Mahringer ergänzt dies um eine „aktive Arbeitsmarktpolitik, die fördernd und fordernd ist“. Just hier setzt die Regierung den Rotstift an.
Eine Folge des dynamischen Arbeitsmarktes ist, dass Arbeitslosigkeit kein Randgruppenrisiko mehr ist. „Innerhalb von zehn Jahren ist nahezu die Hälfte der Arbeitskräfte irgendwann einmal von Arbeitslosigkeit betroffen“, hält Mahringer fest. Vor diesem Hintergrund hält AK-Expertin Hofbauer die Infragestellung des Berufs- und Einkommensschutzes für kontraproduktiv. Der Berufsschutz sei ohnehin nicht mehr sehr stark, dieser gelte schon jetzt nur noch für 100 Tage. Der Einkommensschutz wiederum spiele eine sehr wichtige Rolle: „Bei diesem dynamischen Arbeitsmarkt darf Arbeitslosigkeit nicht sofort dazu führen, dass sich dein Status massiv verschlechtert – und er verschlechtert sich eh sofort.“ Die Statussicherung sei ein wesentliches Ziel, „denn sonst geht die Spirale einfach nach unten“, warnt Hofbauer. Eine Folge: „Es geht ganz viel Humankapital verloren.“ Kurzum, es werden Fachkräfte vernichtet.