Wie viel Energie brauchen wir?
In der Politik sind Infrastruktur und Ausbau semantisch eng verbunden. „Die Bundesregierung bekennt sich zum Ausbau aller Formen heimischer erneuerbarer Energieträger“, heißt es im neuen Regierungsprogramm. Wie schon die türkis-blaue Vorgängerregierung, so kündigt auch Türkis-Grün darin an, dass Österreich bis 2030 zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt sein soll. „Damit einher gehen die notwendigen Netzinfrastrukturinvestitionen“, hält das Programm fest.
Ein ambitioniertes Ziel. Denn um es zu erreichen, fehlen aus heutiger Sicht noch 27 Terawattstunden an erneuerbaren Erzeugungskapazitäten. Wie die AK berechnet hat, entspricht dies der Jahresproduktion von über 20 großen Donaukraftwerken oder mehr als einer Verdoppelung der aktuell geförderten Ökostrommenge.
Kann das gelingen? Manche aus der Energiebranche sind da durchaus skeptisch, zum Beispiel die IG Windkraft als Vertretung der privaten Windkraftanlagenbetreiber. Insgesamt sorgen in Österreich aktuell rund 1.340 Anlagen für 7 TWh Strom. Über die Hälfte der Anlagen steht in Niederösterreich. Doch der Ausbau geht schleppend voran. Im Jahr 2020 werden österreichweit nur 18 neue Windräder mit 59 MW Leistung ans Netz gehen, erklärt der Branchenverband. Die Ausbauziele der Regierung sind in diesem Tempo kaum zu erreichen.
Skeptisch ist man auch in der AK, so positiv man die Zielrichtung bewertet: „Wir müssen die Klimaziele erreichen, daran führt gar kein Weg vorbei“, hält AK-Energieexpertin Dorothea Herzele fest. „Aber der Ausbau erneuerbarer Energie muss klug erfolgen.“ Dafür müsse insbesondere die Ökostromförderung auf neue Beine gestellt werden, fordert sie. Diese nämlich hat zwei große Schwächen. Erstens ist die Last der Finanzierung ungleich verteilt: „Private Haushalte und kleine Gewerbetreibende tragen bei der Finanzierung von Förderungen die Hauptlast“, kritisiert Herzele.
Wir müssen die Klimaziele erreichen, daran führt gar kein Weg vorbei.
Dorothea Herzele, AK-Energieexpertin
Die Verteilung der Fördermittel wiederum stammt aus einer Zeit, als man den Ausbau möglichst rasch vorantreiben wollte. „Inzwischen ist dieses System nicht mehr zeitgemäß, sondern ineffizient und teuer“, hält Herzele fest. Statt fixer Einspeistarife will die AK Marktprämien. Zudem sollten kleine Anlagen mehr gefördert werden und es brauche Investitionen ins Stromnetz selbst. Ob Türkis-Grün bessere Antworten auf diese Herausforderungen als die Vorgängerregierung liefert, das kann aus Sicht der AK noch nicht abgeschätzt werden. Denn dazu fehlen im türkis-grünen Regierungsprogramm noch die Details.
Einen Wunsch deponiert der Sprecher der Windkraft-Lobby, Martin Jaksch-Fliegenschnee: Es komme darauf an, dass auch die Bundesländer genug Flächen für Windkraftanlagen ausweisen: „Die Windenergie macht vor allem als dezentrale Energieversorgung Sinn. Wenn man Niederösterreich einfach mit Windrädern zupflastert und den Strom dann per Hochspannungsnetz durch ganz Österreich schickt, verursacht das volkswirtschaftlich höhere Kosten, als die Energie dort zu erzeugen, wo sie gebraucht wird.“
Bei der digitalen Infrastruktur ist die Rolle des Staates winzig, und die Regulierung digitaler Angebote läuft der technologischen und marktwirtschaftlichen Entwicklung offenkundig hinterher.
Am Beispiel des Ökostroms wird deutlich, dass dem Staat auch dann noch eine wichtige Aufgabe zukommt, wenn Infrastruktur in die Hände von Privaten gelegt wurde. Denn über Förderungen kann er ebenso lenkend eingreifen wie mit Regulierungen. Ob das Ziel „100 Prozent Ökostrom im Jahr 2030“ mit den angepeilten 27 Terawattstunden aus dem Regierungsprogramm erreichbar ist, wird auch an anderer Stelle skeptisch gesehen. Schon im Jahr 2018 erklärte der Energieexperte Erwin Mayer in einer Enquete des Nationalrats, er gehe eher von einem Bedarf an weiteren 40 Terawattstunden Ökostrom bis zum Jahr 2030 aus. Schließlich gehe der Umstieg auf CO2-sparende Technologien fast immer mit gesteigertem Stromverbrauch einher.
Ähnlich sieht dies AK-Expertin Herzele, mindestens so wichtig sei es daher, „dass wir effizienter mit Strom umgehen“. Deshalb ist des Rätsels Lösung auch nicht die generelle Ausweitung der E-Mobilität – zumindest dann nicht, wenn sie zu stark auf den Individualverkehr setzt. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) hat berechnet, dass die ÖBB sogar um 6,5-mal klimafreundlicher sind als E-Autos.