Ursprünglich wollte sie Historikerin werden, doch mit diesem Studium hätte Ilona in ihrem Heimatland zu wenig Geld verdient. Sie beschloss, gemeinsam mit ihrem Partner Máté nach Wien zu gehen. Statt Geschichte zu studieren (oder Rechtswissenschaften, was ihr Vater favorisierte), arbeitet Ilona nun in einem Lebensmittelgroßmarkt: „Ich mache meine Arbeit gerne, obwohl meine Eltern die Uni vorgezogen hätten.“ Etwa 1.200 Euro bleiben ihr im Monat zum Leben. Die Miete von 800 Euro für eine 60 Quadratmeter große Privatwohnung teilt sich Ilona mit ihrem Freund. „Wir mussten in wenigen Tagen eine Wohnung finden.“ In Ungarn verdient ein durchschnittlicher Facharbeiter 7.000 Euro pro Jahr. Trotz der – für Wiener Verhältnisse – teuren Wohnung ist das Leben in Wien für Ilona auch in finanzieller Hinsicht attraktiver.
Wiener Wohnen punktet
Wie Ilona zieht es viele Menschen nach Wien. Neben vielen Menschen aus Osteuropa ist auch eine starke Zuwanderung aus Deutschland auffallend, weil Wien im Vergleich zu vielen deutschen Städten noch immer günstigen Wohnraum bietet. Der Grund dafür: Wien kann immer noch von seinen historischen Verdiensten zehren, denn keine andere europäische Stadt besitzt ähnlich große kommunale Wohnbau-Bestände. Wiener Wohnen – die „Hausverwaltung“ der Stadt Wien – betreut rund 220.000 Wohnungen mit 500.000 BewohnerInnen, dazu kommen 1.366 Kinderspielplätze. Damit ist Wiener Wohnen die größte kommunale Hausverwaltung Europas. Ursprünglich war es für Städte kein Alleinstellungsmerkmal, wenn sie einen hohen kommunalen Wohnungsbestand hatten, doch Berlin oder Dresden haben ihre Wohnungen an die private Hand verkauft. Berlin hat seit den 1990er-Jahren den Fehler begangen, beinahe 200.000 kommunale Wohnungen für „Spottpreise“ (Wortlaut lokaler Medien) zu privatisieren. Dementsprechend eng ist nun auch der Wohnungsmarkt in der deutschen Hauptstadt.
Soziales Wohnen für Generationen
Dieser hohe Anteil an Gemeinde- und geförderten Wohnungen nimmt viel Druck aus dem Wiener Markt. Dass auch Menschen mit kleineren Einkommen gut und zu fairen Preisen in der Hauptstadt wohnen können, prägt seit Langem das soziale Klima in der Stadt. Die französische EU-Bürgerin Nathalie lebt seit rund 20 Jahren in Wien, inzwischen mit einem hier lebenden Franzosen verheiratet, die beiden haben einen 8-jährigen Sohn. Sie hat vor sechs Jahren einen Antrag auf eine Gemeindewohnung gestellt. Nathalie und ihre kleine Familie lebten bisher in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung in einem unsanierten Altbau. Im April sind sie in eine geräumige 3-Zimmer-Wohnung in einem Gemeindebau übersiedelt – jetzt hat ihr Sohn endlich ein eigenes Kinderzimmer und die Eltern wieder Privatsphäre. Etwa 24,5 Prozent der Wiener Bevölkerung leben derzeit in einem Gemeindebau, rund 19,4 Prozent in geförderten Genossenschaftswohnungen. Ein Drittel der Bevölkerung wohnt in privaten Mietwohnungen. Im Wohnungseigentum residieren 13 Prozent, im Hauseigentum 6,1 Prozent.
Doch langsam wird es eng
Und doch stöhnt die Stadt unter ähnlichen Entwicklungen wie vergleichbare Metropolen. Wien wird bald die Zwei-Millionen-BewohnerInnen-Marke überschreiten. Und da immer mehr WienerInnen in Einpersonenhaushalten leben, wird auch in Wien der Wohnraum knapp – und damit auch teurer. „Die Stadt braucht dringend Wohnraum, der für nachkommende Generationen leistbar bleibt“, erklärt Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien. „Um dem Bevölkerungswachstum zu entsprechen, müssen pro Jahr mindestens 9.000 geförderte Wohnungen neu gebaut werden.“ Bei den geförderten Wohnungen handelt es sich allerdings nicht nur um Gemeindewohnungen, sondern auch um Wohnungen, die von Bauträgern errichtet werden, die mit einer Wohnbauförderung unterstützt werden. So lange der Bauträger diese Förderung zurückzahlt (in der Regel sind das 30 Jahre), ist er an eine Mietobergrenze gebunden. Danach müssen sich gemeinnützige Bauträger an Obergrenzen halten.
Ist der Bauträger hingegen nicht gemeinnützig, kann er nach der Rückzahlung des Darlehens seine Wohnungen ohne Preisbindung am Markt vermieten. Diese freien Preise gelten zwar nur für neue Mietverträge und heben alte Verträge nicht auf. Aber oft ist es auch langjährigen BewohnerInnen nicht klar, bei welchen Bauträgern sie eingemietet sind. „Es gibt aber Bauten, wo viele Menschen gedacht haben, dass sie in einer gemeinnützigen Genossenschaft leben. Dann wurde das Haus an einen Investor verkauft, erst dann wurde ihnen klar, dass ihr Bauträger nicht gemeinnützig war“, berichtet Ritt.
Grätzl und Langzeit-Mieterinnen
Nicht wenige Investoren verfahren höchst rüde mit den AltmieterInnen. Sie heben die Mietpreise an oder üben Druck auf Langzeit-MieterInnen mit alten und preiswerteren Mietverträgen aus. Oftmals wird versucht, diese langjährigen MieterInnen mit einer scheinbar hohen Summe aus dem Mietvertrag zu kaufen. Unangemeldete und unfreundliche Besuche von Handlangern der Investoren kommen dazu. Der Verein „Samstag in der Stadt“ kann auf etliche Erfahrungen dieser Art verweisen. Angesiedelt und aktiv in dem neuerdings sehr beliebten Viertel rund um den Schwendermarkt und die Reindorfgasse in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus, hat es der Verein mit sehr besorgten AnrainerInnen zu tun. Dubiose Machenschaften in einigen der Zinshäuser haben die MieterInnen des Viertels tief verunsichert. Seit 2012 öffnet sich die Schere zwischen Bevölkerungswachstum, Wohnbedarf und dem tatsächlichen Wohnungsneubau. Gut 70 Prozent der jährlich neu abgeschlossenen Mietverträge werden am privaten Wohnungsmarkt abgeschlossen. Wien hat einen höchst offensichtlichen Engpass an geförderten Wohnungen.
Privat und unerschwinglich
Davon sind aber nicht allein die Neuankömmlinge betroffen. Der Engpass betrifft auch Alteingesessene, deren Lebenssituation sich verändert hat. Das können etwa eine Scheidung, Familienzuwachs oder eine schwere Krankheit sein. Doch private Wohnungen werden immer teurer und die Vormerklisten für Gemeindebauten immer länger – ähnlich sieht es bei geförderten Bauträgern aus. Trotz alledem sind die Mieten im Vergleich etwa zu München auch auf dem privaten Sektor noch preiswerter.
Im Bemühen um neuen Wohnraum setzt die Stadt Wien einerseits auf Nachverdichtung in innerstädtischen Vierteln, andererseits auf die Schaffung von Bauflächen. In den vergangenen Jahren konnten noch große, zusammenhängende Flächen innerhalb der Stadt bebaut werden (u. a. Sonnwendviertel auf dem Südbahnhofgelände).
Aktuell finden sich Stadterweiterungsprojekte auf ehemaligen Bahnhofsarealen oder dem einstigen Flughafen in Aspern. Gebaut wird auch in Bezirken, wo noch Platz ist – dazu gehören etwa die Donaustadt und Floridsdorf jenseits der Donau. Doch langsam wird auch hier der Platz knapp. Eines der grundlegenden Probleme der Stadt sind die stetig wachsenden Bodenpreise. „Selbst in schlechter städtischer Lage kostet der Grund rund 600 Euro pro Quadratmeter Wohnnutzfläche. In den städtischen Gunstlagen werden sogar Spitzenpreise von bis zu 2.000 Euro verlangt“, weiß Christian Pichler von der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien. Trotz bestehender Rekordpreise warten viele BesitzerInnen noch ab, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Preise in fünf Jahren noch höher sein werden. Düster sieht es auch für Neubauten geförderter Wohnungen aus – das preisliche Limit für den sozialen Wohnbau liegt nämlich bei bescheidenen 235 bis 300 Euro pro Quadratmeter. Um diesen Quadratmeterpreis werden private Grundbesitzer nicht verkaufen. Damit kann der freie Markt das Problem der Finanzierung von Baugrund für den sozialen Wohnbau nicht lösen – greift die Stadt Wien nicht ein, werden soziale Wohnbauten zur Rarität. Die Stadt könnte allerdings bei Grundstückswidmungen oder Baubescheiden Einfluss nehmen. „Es muss eine Bodenpolitik gemacht werden, die einen gewissen Anteil an geförderten Wohnungen sichert. Doch bisher hat man sich in Wien da nicht rangetraut“, erklärt AK-Experte Ritt. Immerhin stellen auch Gebiete, die nicht sofort mit staatlicher Lenkung verbunden werden, entsprechende Regelungen auf. In der Schweiz werden Umwidmungsgewinne zu einem großen Teil abgeschöpft.
Verdichtung mit Qualität
In Südtirol gibt es befristete Widmungen, es wird auch vorgeschrieben, dass ein Anteil für den geförderten Wohnbau verwendet werden muss. Eine Lösung für den knapper werdenden Wohnraum in Wien ist auch eine dichtere Bebauung der Stadt – sie würde mehr Wohnraum schaffen. Denn wird auf bestehende Bauten aufgestockt, werden zentrale Lagen und bereits vorhandene Infrastruktur ausgenutzt. Wird im privaten Althausbestand verdichtet – Stichwort Dachbodenausbau –, stellt sich jedoch die Frage, wer sich diese Wohnungen leisten kann. Einer allgemein dichteren Bebauung kann Christoph Luchsinger, Professor am Institut für Städtebau der TU Wien, viel abgewinnen. Ist das Niveau des Konzepts gut, kann eine hohe Wohnqualität auch bei recht enger Bauweise erreicht werden. Dafür sind die Grundrisse der neu errichteten Wohnungen entscheidend – hier ortet Luchsinger einen Verbesserungsbedarf. Die Wohnanlage Simmeringer Haide des Architekten Franz Eberhard Kneissl bietet 26 Quadratmeter pro Bewohner – das ist eigentlich recht eng, doch dank eines spannungsvollen Spiels zwischen Innen- und Außenraum werde eine hohe Wohnqualität ermöglicht.
Geld für die Zukunft freischaufeln
Das zukünftige Wien muss nicht nur den geförderten Wohnraum erhöhen, sondern auch die dazugehörige Infrastruktur bereitstellen – u. a. Kindergärten, Schulen, Verkehrswege, Kanalnetze. Durch den starken Zuzug kommen viele junge Menschen nach Wien, dazu werden mehr Kinder geboren. Und die Stadt muss unabhängig von neuen Wohnvierteln auch mehr Schulen schaffen.
Dabei steckt Wien in einer finanziellen Zwickmühle, da die Stadt ein Nulldefizit erreichen muss. Wien würde zwar günstige Kredite bekommen, doch der Stabilitätspakt verhindert das. Denn darin werden die Bundesländer verpflichtet, Nulldefizite oder Überschüsse zu erreichen. Das gilt selbst bei enormem Bevölkerungswachstum und Krediten, die Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum fördern. AK-Experte Ritt: „In einer wachsenden Stadt ist das Nonsens.“ Mittlerweile gibt es Vorschläge, in diesem Punkt Ausnahmen zu vereinbaren: etwa durch die „goldene Regel der Finanzpolitik“, die jahrzehntelang Teil des deutschen Grundgesetzes war.
Diese nimmt fremdfinanzierte Investitionen, die auch künftigen Generationen nutzen, aus dem strikten Sparkorsett des Stabilitätspaktes aus. Freilich, die Umsetzung dieser Regel scheitert bisher am politischen Widerstand.
Christian Resei
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/17.
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Weitere Infos zum Thema
- Der Weg zur Gemeindewohnung
Seit 1. Juli 2015 erhalten InteressentInnen in Wien das sogenannte „Wohn-Ticket“. Das Ticket umfasst die Bereiche Gemeindebau, Genossenschaftswohnungen und gefördertes Eigentum. InhaberInnen des Wohn-Tickets werden informiert, sobald etwas Passendes frei wird. Alteingesessene WienerInnen werden bei der Vergabe bevorzugt. Konkret rücken InteressentInnen pro fünf Jahre Hauptwohnsitz automatisch drei Monate auf der Warteliste nach vorne. Die maximale Zeitersparnis beträgt neun Monate.
Voraussetzung für das Wohn-Ticket sind mindestens zwei Jahre Wien als Hauptwohnsitz und ein Mindestalter von 17 Jahren. Berechtigt sind: ÖsterreicherInnen, EU- bzw. EWR-BürgerInnen, anerkannte Flüchtlinge oder nach dem NAG (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) „langfristig Aufenthaltsberechtigte“.
Bei Gemeindewohnungen gelten Verdienstgrenzen. Für eine Einzelwohnung darf der/die BewohnerIn nicht mehr als 44.410 Euro netto im Jahr verdienen, bei größeren Haushalten gibt es eine Staffelung: 66.180 Euro für Zweipersonenhaushalte, drei Personen 74.900 Euro, bei vier Personen 83.610 Euro und für jede weitere Person plus 4.870 Euro.
Es gibt Gründe für eine Vorreihung, etwa wenn jemand in einer überbelegten oder gesundheitsschädlichen Wohnung lebt. Auch wenn zumutbare Sanierungsmaßnahmen keine Besserung der Wohnsituation erwarten lassen oder ein krankheits- oder altersbedingter Wohnungsbedarf besteht, wird vorgerückt. Weitere Punkte für eine Bevorzugung sind ein getrennter Haushalt durch eine Scheidung, die unverschuldete Aufgabe einer Dienstwohnung und eine Behinderung. Außerdem gibt es die JungwienerInnen-Vormerkung für Paare und Einzelpersonen unter 30 Jahren, die keine eigene Wohnung haben.
Es gibt Mindestmieten inklusive Betriebskosten. Bei nur einem Wohnraum fallen mindestens 300 Euro an, bei zwei Wohnräumen 450 Euro und bei drei Wohnräumen 650 Euro. Für vier Wohnräume beträgt die Miete 750 Euro, für fünf Wohnräume 850 Euro. - Günstigen Wohnraum schaffen!
Schon bald werden zwei Millionen Menschen in Wien leben. Dafür muss ausreichend Wohnraum geschaffen werden. Auch abgesehen vom starken Bevölkerungszuwachs durch die Migrationsbewegungen im Jahr 2015 müsste Wien jährlich 9.000 geförderte Wohnungen errichten. Doch seit 2007 wurden im Schnitt deutlich weniger als 6.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut. Der im Vergleich hohe Anteil an geförderten, gemeindeeigenen Wohnungen in Wien trägt dazu bei, dass die Mieten verhältnismäßig stabil bleiben. Im Unterschied zum privaten Wohnungsmarkt entwickeln sich die Mieten der Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen noch sehr moderat. Das zeigt sich etwa im Vergleich zu München: Während in Wien 22 Prozent des Bestandes Gemeindewohnungen sind, kann München nur mit 6 Prozent „preisgebundenen“ Wohnungen aufwarten. Die Folge: Ein Quadratmeter Miete in München kostet durchschnittlich mehr als das Doppelte. - Das Los der Gentrifizierung
Galten manche Gegenden noch vor einigen Jahren keinesfalls als gute Adressen, sind sie heute begehrte Wohnviertel. In Wien gilt das für Teile von Ottakring, den 2. Bezirk und 20. Bezirk rund um den Augarten oder den 15. Bezirk rund um den Schwendermarkt. Bevor es so weit war, zogen die niedrigen Mieten und leer stehenden Geschäftslokale eine Reihe junger Kreativer an. Mit der Belebung der Viertel investierte auch die öffentliche Hand in die Infrastruktur, etwa in die Neugestaltung von Plätzen, bessere Verkehrsanschlüsse und in die Veranstaltung von Festivals. Daneben gibt es meist eine öffentliche Unterstützung bei der Sanierung von Wohngebäuden.
Hat das Viertel eine gewisse Attraktivität erreicht, sind Privatinvestoren interessiert, Gebäude zu sanieren und sie auch dementsprechend mit Gewinn zu vermieten. Erfahrungen seit den 1990er-Jahren zeigen, dass eine öffentliche Beteiligung an den Sanierungskosten steigende Mietpreise nur bedingt verhindern kann. Der verstärkten Aufmerksamkeit der Immobilienbranche folgen in der Regel Mietpreisanhebungen beim Wohnungswechsel und Druck auf LangzeitmieterInnen mit alten, günstigen Mietverträgen. Ehemalige Studierende bleiben ihren Vierteln als gut verdienende AkademikerInnen treu, ihr Wohn- und Lebensstandard wird höher. Sie verhindern aber damit, dass sich die jetzigen Studierenden eine Wohnung in dieser Gegend leisten können. Die Folge: Ärmere Schichten werden aus ihren Vierteln verdrängt.
- Öffentlicher Raum für alle
Je mehr Menschen in der Stadt wohnen, desto größer ist der Bedarf nach öffentlichem Raum – und desto zahlreicher sind auch die Ansprüche an ihn. Öffentlicher Raum muss so gestaltet werden, dass sich die Menschen gerne darin aufhalten. Straßen, Plätze, Grünflächen und städtische Treffpunkte gehören allen BewohnerInnen.
Einerseits werden aber immer mehr Flächen kommerziell genutzt – u. a. für Schanigärten, Veranstaltungen, als Lager für Baumaterial. Andererseits wird der öffentliche Raum oftmals durch BürgerInnenbeteiligungsverfahren gestaltet. Die Krux: Hier setzt sich oft die Mittel- und Oberschicht gegen andere BürgerInnen durch, obwohl gerade diese besonders auf den öffentlichen Raum angewiesen sind. Deshalb müssen Entscheidungsprozesse derart begleitet werden, dass auch Menschen, die nicht so selbstbewusst argumentieren, gut vertreten werden. Denn gerade BewohnerInnen mit geringem Einkommen und wenig Mobilität können den Grünraum außerhalb der Stadt oft kaum nutzen. Nicht jeder Park kann zum Bobo-Spielraum mit Ruhezonen und Gemeinschaftsgärten werden – es muss u. a. auch Raum und Toleranz für Kinder einkommensschwacher Schichten geben. - Die Stadt muss mitwachsen
In den kommenden zehn Jahren wird in Wien allein die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren um 30.000 ansteigen. Auch die Zahl der älteren StadtbewohnerInnen, die heute über 75 Jahre alt sind, wird bereits im Jahr 2025 um 50.000 WienerInnen anwachsen. Mit dem Anstieg sollte auch die Infrastruktur Schritt halten können: Neue Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, aber auch SeniorInnenheime müssen errichtet werden. Allerdings gibt es für diese notwendigen Investitionen zu wenig Spielraum. Zwar würde die Stadt Wien derzeit günstige Kredite bekommen, doch der Stabilitätspakt verhindert das, obwohl das Geld nachweislich für Wohnbau, Schulen oder Verkehrsinfrastruktur eingesetzt würde. Eine Chance wäre jedoch, dass Wien im Finanzausgleich stärker als Wachstumsregion berücksichtigt und auf europäischer Ebene die „goldene Investitionsregel“ beschlossen wird – sie ermöglicht wichtige Kredite für die Infrastruktur. - Mehr S-Bahn, dichtere Intervalle
Der öffentliche Verkehr in Wien stößt heute teilweise an seine Grenzen. Wer zu Stoßzeiten mit der U6 oder U4 fährt, fühlt sich des Öfteren an Sardinendosen erinnert. Die S-Bahn sollte daher als Wiener Verkehrsmittel ausgebaut werden und damit entlastend wirken. Die Potenziale der Öffis sollten weiter ausgeschöpft werden – das betrifft die Optimierung des Stadtgrenzen-überschreitenden Regionalverkehrs genauso wie die Nutzung des innerstädtischen Schienennetzes für neue S-Bahn-Strecken als Ergänzung zum U-Bahn-Netz. Denn der Ausbau und die Adaption der S-Bahn sind wesentlich preiswerter als neue U-Bahn-Trassen. Außerdem sollte das Angebot von U- und S-Bahn besser aufeinander abgestimmt sein. Dazu gehört, den 10-Minuten-Takt auf allen S-Bahn-Linien einzuführen. Auch eine höhere Frequenz der U-Bahnen zu Stoßzeiten ist denkbar, wenn die U-Bahn-Garnituren so adaptiert werden, dass ein schnelleres Ein- und Aussteigen möglich ist – denn was das betrifft, gehören die WienerInnen zu den Langsamsten in Europa.