Ramona, 56 Jahre, Wien
„Ich habe nur Mindestsicherung, davon kann ich nicht leben. Also organisiere ich mir selber Arbeit – schwarz. Ich putze, gärtnere und pflege Menschen, egal was, ich mache alles. Hauptsache, ich kann mindestens 10 Euro jeden Tag dazuverdienen, damit ich über die Runden komme. Natürlich darf ich nicht krank werden. Ich muss immer arbeiten, jeden Tag, mindestens einen Haushalt machen, weil ich jeden Cent brauche. In den achtziger und neunziger Jahren hatte ich einen guten Job. Ich habe in einer Druckereifirma ein angemessenes Vollzeitgehalt bekommen, das waren ca. 1.600 Euro netto, umgerechnet. Aber dann kamen die Computer, meine Arbeitsstelle wurde automatisiert und ich war sie los. Also habe ich mich als Reinigungskraft selbstständig gemacht. In dieser Zeit habe ich innerhalb von 23 Monaten ganze 650 Wohnungen allein geputzt – und da waren teilweise sehr schmutzige dabei. Eines kann ich sagen: Fremde verdreckte Klos zu putzen ist ganz schön erniedrigend. Das Geschäft lief nicht besonders gut, ich habe allein geputzt, hatte keine Angestellten und so habe ich das bald bleiben lassen.
Dann hat mir ein angeheiratetes Familienmitglied vorgeschlagen, gemeinsam eine Reinigungsfirma zu eröffnen. Ich wurde als eine Sub-sub-Unternehmerin angegeben. Das hieß: Ich war nicht wirkliche Miteigentümerin der Firma. Offiziell war ich also so etwas wie freie Dienstnehmerin. Viele Reinigungsfirmen haben das so gemacht und machen es noch immer. Sie haben Aufträge bekommen – auch von großen, bekannten Unternehmen und teils sogar städtischen Institutionen –, Gebäude zu putzen, aber diese Firmen haben das eben an Sub- und Sub-sub-Unternehmen weitergeben. So habe ich geschuftet und das weitaus mehr als 40 Stunden in der Woche. Verdient habe ich gerade einmal um die 800 Euro. Weil ich ja offiziell selbstständig war, musste ich natürlich von diesem mickrigen Gehalt die Krankenkassenbeiträge bezahlen, die im Verhältnis zu dem, was ich verdient habe, sehr hoch waren. So hab ich mich verschuldet. Ich hab geklagt, und das Ganze landete vorm Arbeitsgericht, aber es kam nichts zu meinen Gunsten heraus.
So habe ich geschuftet und das weitaus mehr als 40 Stunden in der Woche. Verdient habe ich gerade einmal um die 800 Euro. Weil ich ja offiziell selbstständig war, musste ich natürlich von diesem mickrigen Gehalt die Krankenkassenbeiträge bezahlen.
Ich habe kein Vertrauen mehr in Menschen und bin kaputt. Mindestsicherung und schwarz putzen, damit kann man überleben, aber ein richtiges Leben ist das nicht. Am Anfang meiner Arbeitskarriere war ich eine richtige Dame, habe gut verdient, mochte meinen Job, konnte gut leben. Jetzt bin ich ein Sozialfall, und das tut weh – das tut verdammt weh.
Es ist ein Skandal, dass Menschen unter solchen Umständen arbeiten müssen. Dieses ganze System mit Leihfirmen und Sub-Unternehmen – dass es überhaupt erlaubt ist, für weniger als 1.500 Euro netto Vollzeit zu arbeiten! Es macht mich wütend. Irgendwelche Politiker*innen, die gar keinen Bezug zur Arbeit und zum Leben von uns Arbeiter*innen haben, entscheiden da über unsere Köpfe hinweg, leben aber selbst ein Leben im Wohlstand.
Es ist ein Skandal, dass Menschen unter solchen Umständen arbeiten müssen. Dieses ganze System mit Leihfirmen und Sub-Unternehmen – dass es überhaupt erlaubt ist, für weniger als 1.500 Euro netto Vollzeit zu arbeiten! Es macht mich wütend.
Sollen sich denn die Menschen zu Tode arbeiten? Sechs Stunden Arbeit am Tag ist vollkommen genug! Mit einem Sechs-Stunden-Tag hätte der Mensch noch einen freien Kopf für seine Erledigungen, seinen Haushalt, seine Familie, seine Hobbys, für Sport, wäre insgesamt glücklicher. Politiker*innen sollten meiner Meinung nach mindestens ein Jahr lang selber Arbeiter*innen sein, bevor sie irgendwelche arbeitsrechtlichen Entscheidungen treffen dürfen. Sie sollten erfahren, wie es ist, hart zu arbeiten. Sie haben ja gar keinen Bezug zum echten Arbeitsleben, und das ist das Problem.“
Lili, 35 Jahre, Wien
„Eigentlich bin ich nach Österreich gekommen, um zu studieren. Ich musste Geld verdienen und bin über eine Studienkollegin auf eine kleine Reinigungsfirma gekommen, die Mitarbeiter*innen gesucht hat. Unsere Aufgabe war es, Schulen in den Sommerferien zu putzen, bevor das Semester wieder anfängt. Man hat uns gesagt, dass es keine offizielle Arbeitszeit gebe – wir sollten uns einfach aufschreiben, wie lange wir gearbeitet haben. Mir wurde auch gesagt, dass ich angemeldet werde. Zwei Wochen lang habe ich jeden Tag außer sonntags von 6 bis 22 Uhr geputzt. Die Aufträge mussten so schnell wie möglich erledigt werden.
Für diese zwei Wochen habe ich mir ausgerechnet, wie viel ich verdienen würde. Der Stundenlohn betrug so etwa 6,50 Euro – das wären dann also um die 800 Euro gewesen. Bekommen habe ich 600 Euro. Ich wollte so nicht mehr arbeiten und ging zum AMS, um mich abzumelden. Dort sagte man mir dann aber, dass ich gar nicht angemeldet war. Ich war schockiert, das hätte mich meinen Aufenthalt in Österreich kosten können!
Danach brauchte ich dringend Geld und habe eine Zeitlang freiwillig schwarz gearbeitet und in privaten Haushalten geputzt. Das war richtig anstrengende Arbeit. Schon allein das Risiko, dass ich nicht legal arbeite, bereitete mir Angst und Sorgen – aber ich war über jeden Cent, den ich irgendwie verdienen konnte, froh. Die Menschen, bei denen ich privat arbeitete, waren sehr fordernd. Da habe ich nicht „nur“ geputzt, sondern auch Einkäufe erledigt oder zu Weihnachten Weihnachtsbäume in die Wohnungen geschleppt. Manchmal bin ich für einen Haushalt dreimal an einem Tag einkaufen gegangen und habe die vollen, schweren Einkaufstaschen durch die Straßen gezogen.
Einmal hat man mich gebeten, die Fenster zu putzen – aber von außen. Ich sollte mich mit einem Fuß rausstellen, weil die Fenster nicht ganz aufgingen. Das hat mir dann gereicht und ich habe gekündigt. Ich meine: Da arbeitete ich illegal, für sehr wenig Geld, war nicht versichert, und jetzt sollte ich noch mein Leben riskieren und in einem Hochhaus das Fenster von außen putzen?!
Einmal hat man mich gebeten, die Fenster zu putzen – aber von außen. Ich sollte mich mit einem Fuß rausstellen, weil die Fenster nicht ganz aufgingen. Das hat mir dann gereicht und ich habe gekündigt.
Danach habe ich eine feste Anstellung bei einer Firma gefunden, bei der ich auch heute noch angestellt bin. Es ist eine Leihfirma, die Gebäude von staatlichen Unternehmen reinigt. Dort bin ich sehr zufrieden, man geht mit den Reinigungskräften respektvoll um. Es ist eine Fixanstellung mit bezahltem Urlaub, Krankenstand und mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Knochenarbeit ist es dennoch. Jetzt bekomme ich für 40 Stunden die Woche ungefähr 1.270 Euro netto. Es ist okay, man kann damit leben … aber irgendwie auch nicht. Man kann überleben.
Niemand sollte sich durch Arbeit seine Gesundheit kaputt machen. Ich sage ja nicht, dass man hinter dem Geld her sein muss. Es sollte einfach angemessen sein.
Während der Corona-Ausgangsbeschränkungen habe ich auch gearbeitet, aber das war in Ordnung. Sicherheitsmaßnahmen wurden eingehalten und ich habe zum Glück für die gleiche Lohnauszahlung weniger gearbeitet. Natürlich wünsche ich mir etwas mehr Gehalt, vielleicht 1.500 Euro netto für eine 40-Stunden-Woche. Acht-Stunden-Tage sind akzeptabel, aber mehr sollten es auf keinen Fall sein! Wir wollen doch alle einfach frei von finanziellen Sorgen leben. Niemand sollte sich durch Arbeit seine Gesundheit kaputt machen. Ich sage ja nicht, dass man hinter dem Geld her sein muss. Es sollte einfach angemessen sein. Ich wünsche wirklich keinem, als Reinigungskraft arbeiten zu müssen. Am Ende des Tages bin ich kaputt, manchmal möchte ich nach der Arbeit ausgehen, etwas unternehmen, ich wäre ja eigentlich motiviert, aber ich kann einfach nicht mehr.“
Weiterführende Artikel
Vida in der Herbstlohnrunde: Faire Löhne für die Reinigungsbranche
Weshalb geringeres Einkommen eine schlechtere Gesundheit bedeutet